U21-Keeper Pollersbeck:Motiviert wie ein Neandertaler

Lesezeit: 2 min

Wechselt nach der U-21-EM zum HSV. Torwart Julian Pollersbeck. (Foto: Getty Images)
  • Im letzten Gruppenspiel der U 21-EM trifft der deutsche Torhüter Julian Pollersbeck auf Italiens Supertalent.
  • Gianluigi Donnarumma steht eine große Zukunft bevor, Pollersbeck erwartet in Deutschland große Konkurrenz.

Von Ulrich Hartmann, Krakau

Gianluigi Donnarumma, 18, ist nicht nur mit einem herrlich lautmalerischen Namen gesegnet, sondern auch mit einer dazu passenden Torwart-Karriere. Er hat den Fußball im Sturm erobert. Mit 16 Jahren debütierte er in der Serie A, mit 17 in Italiens A-Nationalmannschaft und jetzt wird sein Marktwert auf 25 Millionen Euro geschätzt. Während er mit Italiens U 21 bei der Europameisterschaft in Polen spielt, wird daheim spekuliert, ob sein nächster Klub Real Madrid, Paris, oder Chelsea ist.

Und weil Donnarumma bei einem Wechsel irrsinnig viel Geld verdienen und zugleich einen Treueschwur für den AC Mailand brechen würde, haben Fans ihn bei der EM mit Geldscheinen beworfen. Ob man auf so einen blutjungen Besserverdiener neidisch ist, wurde nun der deutsche U 21-Torwart Julian Pollersbeck gefragt - und er hat gewitzelt: "Nö, war doch nur Spielgeld."

Pollersbeck, 22, hat seinerseits mit 16 Jahren nicht in der ersten Liga debütiert, sondern die Realschule beendet. Mit 18 war er keine 25 Millionen wert, sondern wusste nicht mal, ob er vom Torwartsein je würde leben können. Er spielte damals für Wacker Burghausen II in der Bayernliga. Erst im September 2016 debütierte er für den 1. FC Kaiserslautern in der zweiten Liga, zwei Monate später in der U 21 des DFB. Im Juli wechselt er nun zum Hamburger SV in die Bundesliga.

An diesem Samstag stehen sich der Spätzünder Pollersbeck und das Riesentalent Donnarumma in Krakau gegenüber. "Den Donnarumma", sagt Pollersbeck, "finde ich gut, sehr gut sogar, was der mit 18 Jahren wegfischt, ist Wahnsinn." Trotzdem deutet einiges darauf hin, dass Donnarumma am Wochenende nach Hause fährt, während Pollersbeck am Dienstag im EM-Halbfinale stehen könnte.

Die deutsche U 21 braucht im letzten Gruppenspiel gegen Italien am Samstag (20.45 Uhr, ARD) nur ein Unentschieden, um den Gruppensieg zu sichern. Die Italiener wären dann von Tschechien abhängig und vermutlich draußen. Pollersbeck hat als einziger Torwart im Turnier noch keinen Gegentreffer zugelassen. "Julian ist mental sehr stark und hat großes Potenzial", lobt U 21-Torwarttrainer Klaus Thomforde. Bei Donnarumma jedoch gerät er richtig ins Schwärmen: "Er ist für seine 18 Jahre sehr weit - er ist außergewöhnlich, sensationell."

Pollersbeck ficht das nicht an, er erlebt gerade die aufregendste Zeit seiner Laufbahn. Innerhalb eines Jahres hat er es von der Lauterer Zweitliga-Ersatzbank zur EM und in die Bundesliga geschafft. Dass seine Karriere in diesem Tempo weitergeht, ist unwahrscheinlich, denn das A-Nationalteam hat für die nächsten Jahre kaum Bedarf: "Mit Ter Stegen und Leno haben wir ja gerade erst zwei junge Torhüter dort oben platziert", sagt Thomforde. Sind die beiden eines Tages jenseits der 30, wird Pollersbeck kein Kandidat mehr sein. Ein Perspektivmann fürs A-Team müsste nun um die 18 sein, aber einen deutschen Donnarumma gibt es nicht. Die U 18-National-Torhüter Lennart Grill und Niclas Thiede spielen für die A-Jugend von Kaiserslautern und Bochum - Donnarumma hat für Milan bereits 68 Spiele in der Serie A bestritten.

Der sehr verwöhnten Torhüter-Nation Deutschland wird gerade aufgezeigt, dass Torhüter von Weltformat nicht auf Bäumen wachsen. Andere Nationen haben momentan vielleicht sogar bessere Perspektiven - auch die Engländer, oft als Torwart-Diaspora diffamiert, haben in Jordan Pickfort gerade ein spektakuläres Talent. Der 23-Jährige wechselt jetzt für knapp 30 Millionen Euro vom AFC Sunderland zum FC Everton.

Im Halbfinale könnte Pollersbeck gegen Pickfort ein weiteres spektakuläres Torwart-Duell erleben. Druck fürchtet der gebürtige Altöttinger dabei nicht: "Druck braucht man", sagt er, "hätte der Neandertaler keinen Hunger gehabt, wäre er nicht auf die Jagd gegangen, wäre ihm nicht kalt gewesen, hätte er kein Feuer gemacht."

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Deutsche U 21
:Schillernder als die goldene Generation

Die U 21 wirkt so souverän wie lange keine deutsche Auswahl mehr bei einer EM. Trainer Stefan Kuntz führt das Team anders als mancher Vorgänger.

Von Ulrich Hartmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: