TSV 1860 München:Klare Verhältnisse

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Der frühere Präsident und jetzige Ismaik-Statthalter Peter Cassalette wird auf der Mitgliederversammlung nicht entlastet. Der Verwaltungsrat und seine investorenkritische Politik werden bestätigt.

Von Markus Schäflein

Zu Beginn bat Versammlungsleiter Daniel Bauer die Mitglieder darum, diesmal darauf zu verzichten, das so genannte "Scheichlied" zu singen oder zu pfeifen. Der Schmähgesang gegen den jordanischen Investor Hasan Ismaik hatte ja im Vorjahr die Münchner Veranstaltungshalle Zenith bei der Mitgliederversammlung des TSV 1860 erfüllt. Auch Präsident Robert Reisinger, der keinerlei weitere Darlehen und Ideen von Ismaik mehr annehmen will, appellierte zu Beginn an die Fairness: "Wir müssen lernen, besser zu streiten." Der Appell hatte mäßigen Erfolg.

Helmut Kirmaier ist in Eile: "Ich bin noch auf eine Gruppensexparty eingeladen."

Reisinger selbst und sein Vorgänger Peter Cassalette hatten sich vor der Veranstaltung ein mediales Scharmützel geliefert, vor dem Hintergrund der anstehenden Abstimmung über die Entlastung. Und natürlich ging es dabei mal wieder um den Umgang mit Ismaik. Reisinger hatte Cassalette via Bild-Zeitung vorgeworfen, er habe in der Geldverbrennungsspielzeit 2016/17, die mit dem Abstieg aus der zweiten Liga endete, "an der Seite von Ismaik als Macher gelten" wollen: "Er hat sich gern mit Sportdirektor, Trainer und Spielern in den Zeitungen gezeigt und hat die Hire-and-Fire-Politik mitgemacht." Reisinger sei "kein falscher Fünfziger, sondern ein falscher Sechziger", entgegnete Cassalette, mittlerweile Statthalter Ismaiks, in einer Pressemitteilung der Investorenseite. "Reisinger war als Verwaltungsrat selbst Teil der Schuldenpolitik."

Und nun stand also die brisante Entlastung des Präsidiums für jene verheerende Spielzeit an. Zunächst wurde mit deutlicher Mehrheit für eine Einzelentlastung der Präsidiumsmitglieder entschieden - und dann ebenso deutlich Cassalette die Entlastung verweigert. Von 1210 Stimmberechtigten entschieden sich nur 141 dafür, 779 dagegen. Juristisch hat das in der Regel nichts zu bedeuten, symbolisch war es ein weiterer Nadelstich gegen die Investorenseite. Klar entlastet wurden hingegen Reisinger, Sitzberger und Schmidt sowie alle aktuellen sowie ehemaligen Verwaltungsräte.

Jenes neunköpfige Gremium wurde komplett neu gewählt. Alle amtierenden Verwaltungsräte durften im Rahmen des "Berichts des Verwaltungsrats" Reden halten und auf Erfolge und Ziele verweisen, während sich die anderen Kandidaten laut Tagesordnung nicht vorstellen durften. "Das ist eigentlich eine Wahlkampfveranstaltung der Amtierenden", klagte Klaus Ruhdorfer vom oppositionellen "Team Profifußball". Und der ihn unterstützende frühere Erfolgstrainer Karsten Wettberg meinte, der Verwaltungsrat habe "seinen Heimvorteil sehr genutzt. Ein Tätigkeitsbericht sollte es sein, aber es war Werbung." Reisinger erklärte daraufhin, dass alle Kandidaten nun doch "zwei bis drei Minuten" erhalten sollten, sich vorzustellen.

Besonders prägnant geriet dabei selbstredend der Auftritt von Helmut Kirmaier. "Ich hoffe, dass es nicht so lange dauert, denn ich bin noch auf eine Gruppensexparty eingeladen und will nicht, dass die ohne mich anfangen", sagte er, wofür er lautstarke Buhrufe erhielt. "Ich bin für eine Satzungsreform mit Briefwahl, für das Team Profifußball und pro Hasan Ismaik." Zum Schluss grüßte er noch den Präsidenten von Hannover 96, der gegen die 50+1-Regel kämpft: "Viel Erfolg, Martin Kind."

Helmut Reiter vom "Team Profifußball" sagte: "Man kann sich mich gut merken, Reiter wie der vom Pferd." Als bessere Redner erwiesen sich Ruhdorfer und Jesko Trahms. Der ebenfalls zur Opposition gehörende frühere Profi Bernhard Winkler war als Letzter an der Reihe und sprach tatsächlich: "Ein Hasan Ismaik kann nichts dazu, dass wir sportlich abgestiegen sind." Wohl noch nie ist ein verdienter ehemaliger Spieler auf einer Versammlung eines Fußballklubs so ausgebuht und ausgelacht worden. Die auf Facebook attackierte Schauspielerin Senta Auth erschien gar nicht.

Dass die Opposition - Reden hin, Reden her - keine Chance haben würde, war schon lange vor der Wahl klar. Die Atmosphäre im Saal machte deutlich, dass die Anhänger der amtierenden e.V.-Seite, beispielsweise die Fanorganisation Pro1860 und die Ultras, deutlich in der Mehrzahl waren. Die andere große Fanorganisation Arge hatte wieder einmal kaum Mitglieder zur Versammlung gebracht, die meisten geplanten Busse wurden mangels Interesse gar nicht angeboten. Gewählt wurden denn auch die bisherigen Räte um den Vorsitzenden Markus Drees sowie die dazu von Pro1860 vorgeschlagenen Christian Groß, Gerhard Mayer und Norbert Steppe. Winkler landete als bester Vertreter des "Teams Profifußball" abgeschlagen auf dem zehnten Platz und zog nicht ein.

Die Verhältnisse - und der tiefe Graben zwischen den vorderen und den hintersten Reihen der Halle - wurden schon bei der Aussprache der Mitglieder deutlich. Als etwa ein gewisser Dr. Kienle Reisinger harsch kritisierte ("Heute hat er wieder gespalten"), bekam er etwas Applaus und sehr viele Pfiffe. Und ein Herr Ertelt fragte mit Blick aufs Stadion: "Was passiert, wenn wir mal wieder ans Tor zur ersten Liga klopfen?" Auch er wurde lautstark ausgebuht. Und schon als der Name Franz Hell, Allesfahrer aus der Arge, bloß aufgerufen wurde, ging ein Grummeln durch den Saal. Hell, der das "Team Profifußball" mit organisiert hatte, sagte: "Ich bin seit 48 Jahren in diesem Verein und habe so eine Stimmung, abgesehen vom letzten Jahr, nie erlebt." Eine Rednerin berichtete, ihre 11-jährige Tochter habe Flyer für die Opposition verteilt und sei übel beleidigt worden. Reisingers Appell an die Streitkultur war wohl nicht überall angekommen.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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