TSV 1860 München:Auf der Suche nach der Gier

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Beim 1:2 gegen Wehen Wiesbaden funktionieren beim TSV 1860 München nur die Offensivstandards gut.

Von Christoph Leischwitz

Vermutlich hatte Nicklas Shipnoski keine Lust auf Oktoberfest. Lange nach dem Spiel gegen den TSV 1860 München saß er zusammen mit sechs Mitspielern des SV Wehen Wiesbaden auf dem Rasen des Grünwalder Stadions, streckte entspannt die Beine von sich und blinzelte in die Sonne. Ihm war etwas gelungen, was auf der Wiesn nicht gelingt: Er stürzte sich erst recht spät ins Getümmel, fand aber sofort Zugang zum Spiel. Weil die Türsteher der Gastgeber äußerst fahrlässig gewesen waren. Der zur zweiten Halbzeit eingewechselte Shipnoski brauchte nur 17 Spielminuten, dann hatte er die Partie gegen die Löwen gedreht. 2:1 gewannen die Gäste in den textmarkergelben Trikots. Bei den Löwen dagegen funktionieren derzeit nur die Offensivstandards recht gut. So ziemlich alles andere ist ausbaufähig. Vier Tage vor dem Drittliga-Derby am Mittwochabend bei der SpVgg Unterhaching. Die erste Analyse von Trainer Daniel Bierofka fiel kurz und knapp aus: "Wir haben heute keinen Sieg verdient, ganz einfach", sagte er mit einem unterdrückten Beben in der Stimme. Bierofka hatte das gefehlt, was ihm im Spiel seiner Mannschaft stets am wichtigsten ist: Leidenschaft.

Die Fans in der Westkurve hatten sich eine vermutlich motivierend gemeinte Choreografie ausgedacht: Zum Oktoberfest-Start hielten sie alte Fotos und Tausende cremefarbene Blätter in die Höhe, die ein Bild ergaben wie eine überdimensionale Schaumkrone. Zu Beginn des Spiels dürfte die Stimmung in den Zelten auf der Theresienwiese aber besser gewesen sein: Die erste gute Chance hatten die Gäste, als Sechzigs Herbert Paul bei einer flachen Hereingabe den Ball nicht traf und so Stephan Andrist frei zum Schuss kam - er setzte den Ball ans Lattenkreuz (15.). Wenig später schoss Alessandro Abruscia erstmals auf das Wiesbadener Tor, Keeper Markus Kolke klärte zur Seite. Es sollte für lange Zeit die einzige Möglichkeit der Sechziger aus dem Spiel heraus sein.

Dafür lief es nach Eckbällen aber so gut wie schon oft in der aktuellen Saison. Zunächst scheiterte Adriano Grimaldi per Kopf aus kurzer Distanz (23.), dann traf der zuvor unkonzentrierte Paul eher glücklich: "Wir schenken es eigentlich so ähnlich wie in Rostock wieder her, das ist bitter", sagte Paul, der sich über sein Tor bei besagtem spiel in Rostock bedingt freuen konnte (Endstand 2:2), über sein Tor diesmal aber gar nicht. "Wir hatten keine guten Bälle ins letzte Drittel", so seine Begründung für den fehlenden Einfallsreichtum im Spiel nach vorne. Wehen Wiesbaden habe das gut gemacht, "sie hatten unsere beiden Stürmer ganz gut im Griff." Die Gäste versuchten auch mit unorthodoxen Mitteln, die Freistöße der Sechziger zu verharmlosen, indem sie zum Beispiel die Abseitslinie rund 30 Meter vor dem eigenen Tor aufzogen. Doch viele Standards der Löwen blieben trotzdem gefährlich.

Bierofka fehlte die "Gier", tatsächlich gewinnen zu wollen, aber nicht nur beim Herausspielen von Chancen. "Wir köpfeln den Ball bei einem Standard direkt zum Gegenspieler", sagte er über das 1:1, das Phillipp Steinhart aufgelegt hatte, "beim 2:1 haben wir keine Staffelung im Zentrum, zu wenig Druck auf den Ball außen", ärgerte er sich. In der Tat hatte Alf Mintzel unwahrscheinlich viel Platz für seine Flanke aus dem Halbfeld, die am hinteren Pfosten Shipnoski fand. Der traf den Ball nicht einmal richtig, dieser kullerte aber zur Führung für die Gäste ins ferne Eck (62.). "Und dann haben wir erst wieder angefangen, diese Gier zu entfachen", sagte Bierofka.

Die personifizierte Gier stand da gerade am Seitenrand. Der Trainer hatte Sascha Mölders schon vor dem Rückstand einwechseln wollen. Das recht eng sitzende Wiesn-Trikot der Sechziger zeigte deutlich einen möglichen Grund auf, warum der 33-Jährige zurzeit nicht in der Startelf steht. Trotzdem: Erst mit Mölders Einwechslung war Sechzig wieder die gefährlichere Mannschaft. Mölders hätte die Partie beinahe im Alleingang gedreht, mit seinen beiden Drehschüssen aufs kurze (80.) und aufs ferne Eck (90.+3) scheiterte er am starken Keeper Kolke. Für seine Kopfballvorlage, die letztlich knapp am Kasten vorbeikullerte, fand sich kein Abnehmer.

"Wir haben nicht in die Räume gespielt, in die wir sonst spielen", sagte der andere Angreifer, Grimaldi. Das müsse man jetzt aus den Köpfen bekommen, am Mittwoch stehe ja schon das nächste Spiel an. Dazu sagte er: "Ich komme nicht aus München, das ist kein Derby für mich, sondern ein Spiel wie jedes andere." Wenn das so ist, dann dürfte zumindest für ihn gelten: Er war am Samstag noch nicht mit dem Kopf beim Derby.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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