TSV 1860:Schüchterne Schlosslöwen

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Gary Kargelmacher (M.) sieht Holsteins Kapitän Rafael Kazior enteilen. (Foto: Martin Stoever/Getty Images)

Nach der Nullnummer im Hinspiel in Kiel in herrscht Uneinigkeit, wie das Ergebnis zu deuten ist. Die Sechziger beziehen vor dem Rückspiel erneut ein Trainingslager — diesmal in Tirol.

Von Thomas Hahn, München/Kiel

Die Fußballer des TSV 1860 München sind dann doch gleich am frühen Samstagnachmittag heimgereist nach dem 0:0 im ersten Relegationsspiel um den Zweitliga-Verbleib bei Holstein Kiel. Und es ist gut möglich, dass ihr Trainer Torsten Fröhling das ziemlich schade fand. Fröhling mag den Norden. Er hat dort schon als Spieler und Trainer gearbeitet, seine Familie lebt in Hamburg, er hat viele Freunde an der Waterkant. Deshalb war es für ihn naheliegend, vor dem ersten Teil des schicksalhaften Saisonfinales ein kleines Trainingslager in Norderstedt einzulegen, fern den Münchner Turbulenzen. Und deshalb hat er am späten Freitagabend auch laut darüber nachgedacht, ob er mit der Mannschaft nicht noch bis zum Rückspiel am Dienstag dort bleiben sollte. "Eine Überlegung" nannte Fröhling diese Möglichkeit, die er dann nicht umsetzte. München mag in diesen Tagen nicht der gemütlichste Ort sein für einen Löwen-Trainer, aber ganz aus der Stadt rausbeamen kann er sich natürlich auch nicht.

Vor der entscheidenden Partie in der Arena wird Torsten Fröhling seine Spieler trotzdem nochmal an einem Ort zusammenziehen, an dem sie ungestört sind. Sie reisen sogar außer Landes, wenn auch nur ins benachbarte Tirol: Im Wellness-Hotel "Schloss Panorama Royal" in Bad Häring im Bezirk Kufstein bereiten sich die Löwen auf das entscheidende Spiel vor. Die Aufgabe am Dienstagabend (20.30 Uhr) ist zu groß, als dass Fröhling seine Leute ungeschützt der Aufmerksamkeit auf dem Giesinger Trainingsgelände aussetzen wollte. Zumal die Lage nach dem Hinspiel nicht entspannter geworden ist, denn so richtig schlüssig waren sich die Münchner selbst nicht darüber, was sie von diesem torlosen Unentschieden halten sollten. Null-null. Ist das gut? Ist das besser als nichts? Ist das schlecht?

Ein Kieler Ex-Löwe behauptet: "Wir haben 0:0 gewonnen"

Spieler und Trainer von Holstein Kiel sind jedenfalls ziemlich guter Laune gewesen nach ihrem Einsatz. Deren Chefcoach Karsten Neitzel neigt nicht zu übertriebenen Lobreden, und natürlich ist ihm auch am Freitagabend aufgefallen, dass seiner Mannschaft "die fußballerische Qualität an der Box" fehlte, um die kompakte Löwen-Abwehr so richtig in Verlegenheit zu bringen. Aber dass sein Team überlegen war und vor allem in der Spätphase der ersten Halbzeit nah am Torerfolg werkelte, hat er doch mit großer Zufriedenheit zur Kenntnis genommen. Zumal seine Spieler vor lauter Offensivgeist die Pflicht zum Verteidigen nicht vergaßen. "Für uns war es wichtig, früh zu stören und trotzdem nach hinten Sicherheit auszustrahlen", sagte Neitzel, "das hat die Mannschaft sehr, sehr gut gemacht." Manuel Schäffler, einst 1860, jetzt Stammkraft im Holstein-Sturm, sagte sogar: "Wir haben 0:0 gewonnen."

Kein Gegentor gefangen zu haben, ist für die Kieler ein Erfolg, der ihnen den entscheidenden Vorteil bringen könnte. Auswärts erzielte Tore zählen im Fall eines Unentschiedens doppelt, nach dieser bewährten Europacup-Formel funktioniert auch die Relegation - die Löwen müssen gewinnen, wenn sie die Versetzung verhindern wollen, für sie gibt es keine Ausflüchte mehr. Und das ist kein gutes Zeichen für eine Mannschaft, bei der man sich schon lange nicht mehr sicher sein kann, ob jeder ihrer Profis wirklich nur das Wohl des Kollektivs im Blick hat. Mittelfeldspieler Dominik Stahl sagte, mit der Torlosigkeit könne 1860 "gut leben", aber so richtig überzeugt war er davon nicht: "Wie viel das 0:0 dann Wert ist, wird sich am Dienstag zeigen." Und Löwen-Trainer Fröhling wirkte schon gar nicht entspannt. "Gefährlich" nannte er das Ergebnis und fügte fast flehentlich hinzu: "Ich hoffe, dass wir im Rückspiel schnellstmöglich die Fans auf unsere Seite ziehen."

Schon 40.000 Karten verkauft

Die Zuschauer können in der Tat eine echte Hilfe sein am Dienstag, wenn die Mannschaft ihnen den Eindruck vermittelt, dass es sich lohnt, für die Löwen zu brüllen. Die Fröttmaninger Arena wird so voll sein wie selten, wenn die Blauen darin spielen und nicht irgendein Derby die Massen mobilisiert. Pressesprecherin Lil Zercher meldete am Samstag aus der Abteilung Vorverkauf: "Wir haben die 40.000-Zuschauer-Marke geknackt." Wenn die Not groß ist, kramen ein paar Leute eben doch nochmal ihren Fan-Schal hervor, den sie wegen all der Kabalen und Beliebigkeiten im früheren Giesinger Arbeiterklub schon in den hinteren Ecken des Kleiderschanks abgelegt hatten. Es besteht die Aussicht auf eine Atmosphäre, die selbst den abgezocktesten Wandervogel nicht kalt lässt. Und die braucht diese Mannschaft auch, die aus den Wirren eines schlecht geführten Investoren-Projekts entstanden ist und selbst in Kiel den Eindruck nicht ganz verwischen konnte, dass ihr Verhältnis zum Verein zu kühl ist, um mit aller Konsequenz für ihn einzustehen.

Torsten Fröhling war zwar mit "der kämpferischen Einstellung sehr zufrieden". Aber er musste eben auch hinnehmen, dass sein Team wenig Zug zum Tor entwickelte. Dass es teilweise sehr tief am eigenen Strafraum stand und zu viele Fouls sammelte. Und dann waren da ja noch die Zornesgesten des Stürmers Rubin Okotie bei dessen Auswechslung, auch kein Ausweis von größtmöglichem Gemeinschaftssinn. Die Löwen strahlten in Kiel nicht jenen unbedingten Willen aus, der elf Männer zu einer Einheit verschweißt.

"Man hat gesehen, dass meine Mannschaft diesen Druck, dem sie seit Monaten ausgesetzt ist, nicht in spielerische Qualität umsetzen konnte", sagte Fröhling. Dieser Druck ist jetzt sogar noch größer, jeder weitere Fehler kann den Abstieg bedeuten, das weiß der Trainer. Am Samstagvormittag ließ Fröhling seine Spieler noch ein bisschen Regenerationstraining machen im Mannschaftshotel. Dann waren die Tage bei den netten Leuten im Norden vorbei. Torsten Fröhling musste zurück in den Süden, in die wilde, brüchige Fußballwelt der bedrohten Löwen. Schnell ging es von dort aus nach Tirol.

© SZ vom 31.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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