TSV 1860 München:Tag der Propheten

Lesezeit: 3 min

Ich war's! 1860-Profi Rubin Okotie (Mitte) bejubelt seinen Hattrick, der aber nicht zum Sieg gegen Paderborn genügte. (Foto: MIS/imago)

Nach dem verrückten 4:4 gegen Paderborn erscheint der Verbleib von Hattrick-Torschütze Rubin Okotie ungewiss - sein Berater sieht keinen Gesprächsbedarf.

Von Philipp Schneider

Am Tag nach dem irrwitzigen Spiel trieben kalte Windböen feinen Nieselregen gegen die Scheiben von Deutschlands berühmtester Vereinsgastronomie. Und innen, in der hintersten Ecke des gut temperierten Löwenstüberls, saß der zweiterfahrenste Zweitligatrainer der Republik hinter einem Glas Früchtetee, als er sich mit der Aufgabe konfrontiert sah, diesen Irrwitz irgendwie einzuordnen. Einfach würde das nicht werden. Benno Möhlmann zog sich die Wollmütze vom Kopf, dann warf er die Stirn in Falten.

Einiges war geschehen am Samstag beim 4:4 (1:0) zwischen dem SC Paderborn und dem TSV 1860 München. Einem Spiel mit so vielen Vorkommnissen wie in einem dieser Saisonrückblicke am Jahresende. Abgesehen von acht Toren gab es: einen gestohlenen Elfmeter in Kombination mit einem unberechtigten Platzverweis wegen vermeintlicher Schwalbe, einen Hattrick von Sechzigs Rubin Okotie, der nie zuvor einen Hattrick erzielt hatte, und dann noch den Ausgleich in der Schlussminute für den SCP. "Ein verrücktes Spiel", befand Paderborns Stefan Effenberg, der ja lange Zeit ein verrückter Profi war, über seine sechste Partie als Trainer.

"Ich dachte schon: Das wird nicht unser Tag. Aber dann hat mich die Mannschaft eines Besseren belehrt", befand am Sonntag auch Benno Möhlmann, immerhin Trainer mit der Erfahrung aus 506 Zweitliga-Spielen. Gestern nach dem Spiel habe er nicht gewusst, ob er trauern oder jubeln solle. Und heute? "Je länger man weg ist, muss ich sagen: Ist ein bisschen blöde, dass wir keine drei Punkte haben." Dann rührte er mit Schwung im Tee.

Je länger man weg war, wurde es auch nicht weniger erstaunlich, dass Möhlmann einem Reporter der Neuen Westfälischen dieses 4:4 zwei Tage vorher als Tipp in den Block diktiert hatte; der Reporter schrieb das so auf: Möhlmann tippt 4:4. Den Einwurf, er sei so etwas wie ein Sterndeuter oder Weissager, wollte Möhlmann am Sonntag aber nicht gelten lassen. Es sei Zufall gewesen, er tippe grundsätzlich nicht auf die eigene Mannschaft. "Und wenn doch, dann immer 4:4 oder halt 8:8."

Dass Okotie den Klub im Sommer ablösefrei verlassen könnte, stört sicher nicht nur Hasan Ismaik

Zu Möhlmanns Glück wurde die ganze Prophezeiungs-Thematik nicht weiter ausgeführt. Dafür der an Details und Wirrungen reiche Spielverlauf, in dem Sechzig einen 0:2-Rückstand zur 4:3-Führung drehte und diese verspielte: In den ersten 56 Minuten hatte es noch so ausgesehen, als würden die Münchner im 16. Spiel auf gewöhnliche Weise ihre neunte Niederlage beziehen. Den ersten Treffer erzielte der ehemalige 1860-Profi Moritz Stoppelkamp (17.), den der ehemalige Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner im Vorjahr nach Paderborn hatte ziehen lassen, um zahlreiche Spanier zu verpflichten, die mittlerweile alle wieder fort sind. Dann nahm Möhlmann Korbinian Vollmann vom linken Flügel aus dem Spiel, den er allerdings nur indirekt kritisieren mochte: "Wir müssen nicht den einen gegen den anderen ausspielen. Aber es ist richtig, dass die linke Seite nicht funktioniert hat, und diesmal lag es nicht an Neudecker." Der markante Zweimeterdrei-Hüne Fejsal Mulic kam in die Partie - "ich denke, dass ich nicht nach dem gehe, was schön aussieht oder gut anzusehen ist", erklärte Möhlmann.

Das Spiel wurde erst wild, nachdem Hauke Wahl fünf Minuten nach Wiederanpfiff zum 2:0 für Paderborn erhöht und Gary Kagelmacher zum 1:2 in der 57. Minute verkürzt hatten. Dann umkurvte Neudecker im Strafraum einen Gegenspieler und zog zum Tor, ehe er nach Berührung von Niclas Hoheneder zu Boden ging. Neudecker fordert zu recht Elfmeter, sah aber: Gelb-rot. "Keine Ahnung, was der Schiri da machen wollte", klagte Okotie.

Am Spielfeldrand protestierten noch Neudeckers Mitspieler, als Mahir Saglik aus der Distanz das 3:1 erzielte. "Ich dachte: Jetzt muss sich das Spiel erst einmal beruhigen", erinnert sich Möhlmann: "Aber dann hat es sich nicht beruhigt, es stand sofort 3:2!" Und elf Minuten später 3:3. Okotie traf erst per Kopf nach einer Flanke von Adlung. Dann entschied sich der Österreicher dazu, anstelle von Mulic zu schießen, der sich den Ball im Strafraum gerade so weit vorgelegt hatte, dass Okotie mit dem Fuß dran kam. "Das war eine gute Idee von Okotie", sagte Möhlmann, wohlwissend, dass Mulic berühmt ist für Trainingsschüsse, die in Giesings Wäldern landen. Als er ihm den Ball wegnahm, habe Mulic "im ersten Moment geschrien, aber dann hat er sich gefreut", erzählte Okotie. Zwei Minuten vor Schluss traf er noch zum 4:3, dann Nick Proschwitz zum 4:4. Vor allem beim letzten Treffer gab Torwart Vitus Eicher kein gutes Bild ab, als er sich nach einer Flanke von Marcel Ndjeng spät festlegte. "Du kannst nicht halb rausgehen und dann wieder stehenbleiben", befand Möhlmann.

Bliebe noch zu klären, wie es mit Okotie weitergehen wird bei 1860. Aller hartnäckigen Fragen nach seiner beruflichen Zukunft in München erwehrte sich der Österreicher am Sonntag mit dem noch hartnäckiger vorgetragenen Hinweis, sein Vertrag sei bis kommenden Sommer gültig. Mehr gebe es nicht zu sagen. Dass er den finanziell klammen Klub dann ablösefrei verlassen würde, dürfte nicht nur Investor Hasan Ismaik stören, von dem in diesem Winter ohnehin keine großen Investitionen zu erwarten sind. Schließlich hatte der Jordanier bei seinem letzten Besuch mit der Geschäftsführung "vereinbart, den Weg, auf unsere Talente zu setzen, konsequent weiterzugehen". Möhlmann verriet nun, er habe gehört, dass in der nächsten Zeit keine Vertragsverhandlungen mit Okotie stattfinden werden, weil dessen Berater "das von ihrer Seite zurückgestuft" hätten. "Wer weiß schon, was im nächsten Sommer ist?", fragte Okotie. Er dachte da nicht einmal an den Propheten Möhlmann.

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: