TSV 1860 München:Stolpernde Kapelle

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Gegen Karlsruhe stehen sich die Löwen erneut selbst im Weg und verlieren zum vierten Mal in Serie. Sie haben den Spuk nicht beendet - vorerst helfen aber die Ergebnisse der Hinterherhinkenden.

Von Gerhard Fischer

Efkan Bekiroglu ist der eleganteste Spieler des TSV 1860 München. Er hat auf dem Rasen eine stolze, aufrechte Haltung, wenn er steht und wenn er läuft. Annahme und Verarbeitung des Balles geschehen in einer fließenden Bewegung. Die Löwenfans durften also hoffen, als Bekiroglu in der 74. Spielminute an der Strafraumgrenze des Karlsruher SC auftauchte und nicht, sagen wir, der rustikale Herbert Paul; der wurde zweimal dort vorstellig, sah einmal Gelb wegen einer Schwalbe und einmal Gelb-rot, weil er den Ball verlor und foulte. Nein, Bekiroglu würde das anders lösen, ganz sicher, er drang also leichtfüßig in den Sechzehner ein, schoss - und traf die Hand des heraus eilenden Torhüters Benjamin Uphoff. Hätte Bekiroglu das Tor getroffen, dann hätten die Löwen zum 1:1 ausgeglichen.

Nach dem 0:2 (0:1) gegen den solide abgezockten KSC wurde natürlich über diese Szene geredet. Trainer Daniel Bierofka vermutete in der Pressekonferenz, Bekiroglu habe vermutlich drei Gedanken gleichzeitig gehabt: schießen, den Torwart umspielen oder auf den links mitgelaufenen Phillipp Steinhart passen. Auf drei sich überlagernde Gedanken folgt meistens eine misslungene Ausführung.

Bierofkas Vermutung deckte sich aber nicht mit dem, was Efkan Bekiroglu selbst zuvor im Spielertunnel gesagt hatte, übrigens mit gesenktem Kopf und gebückter Haltung: Er habe den neben ihm laufenden Steinhart gar nicht gesehen. Vielleicht ist das gerade das aktuelle Problem der Löwen. Nur wer in sich ruht, hat den Blick für den anderen.

Wie sollen sie also wieder in die Spur kommen nach zuletzt null Punkten und null zu sieben Toren in vier Spielen? Oder steigen sie tatsächlich noch ab?

Bierofka sprach vom Glauben, der jetzt wichtig sei. Es ging nicht um Christentum, Buddhismus oder Hinduismus, also einer möglichen, aber unwahrscheinlichen Wiedergeburt des TSV 1860 als skandalfreier Spitzenklub. Bierofka sagte, die Spieler müssten wieder an sich glauben. Er selbst glaube an sie und an den Ligaverbleib; und er werde das vorleben: "Panik wird schon von außen hereingetragen." Das Wichtigste seien Erfolgserlebnisse. Auch deshalb trete 1860 am Dienstag im Toto-Pokal in Aschaffenburg in bester Besetzung an, Bierofka sagte: "mit der vollen Kapelle."

Mit der vollen Kapelle hatte 1860 auch gegen Karlsruhe gespielt. Gut, Felix Weber fehlte gelbgesperrt, dafür kehrte der verletzte Jan Mauersberger zurück. Ebenso wie Sascha Mölders (nach Gelbsperre) und Bekiroglu (nach Rotsperre). Der elegante Spieler hatte sich ja in Braunschweig als ungezogener Mensch gezeigt und Gegenspieler Kessel angespuckt (in einem Fanforum wurde dies als "Spukattacke" verurteilt, als wäre Bekiroglu alleine dafür verantwortlich, dass das Abstiegsgespenst in Giesing einmarschiert ist).

Leider war es ausgerechnet Bekiroglu, der vor dem 0:1 den ersten von fast siebentausend Löwen-Fehlern beging: Er verlor - etwa 20 Meter vor dem eigenen Tor - den Ball an den früheren Löwen Marvin Pourié, der sogleich einen Eckball erzwang. Als dieser in den Strafraum flog, herrschte bei den Sechzigern ein hektisches Durcheinander, das man sonst nur von Pausenhöfen kennt. Mehr als einen kläglichen Klärungsversuch schafften sie nicht, weshalb der Ball, der wie ein herrenloses Motorboot umher flitzte, schließlich beim aufgerückten KSC-Verteidiger David Pisot einen Anker fand. Pisot schoss aus 20 Metern, der Ball wurde leicht abgefälscht und landete hoch im Löwentor (3.).

In der 12. Minute stolperte Simon Lorenz bei einer Abwehraktion über den Kollegen Herbert Paul und tat sich weh. Man muss gar nicht gemein sein, um hier ein Verhaltensmuster der ersten Halbzeit zu erkennen: Die Löwen standen sich selbst im Weg. Da brachte zum Beispiel Lorenz mit einem zu kurzen Rückpass Marco Hiller in Bedrängnis; und Hiller brachte mit einem schlampigen Abwurf Bekiroglu in Bedrängnis. Sechzig hatte außerdem kein Flügelspiel, denn Nico Karger wurde zu defensiv eingesetzt und Stefan Lex hinter den Spitzen Mölders und Prince Owusu.

Bierofka stellte zur Pause um, für Owusu, der sich die Bälle zu leicht abnehmen ließ, kam Semi Belkahia. Dieser reihte sich in ein mutiges 3-4-3-System ein, vorne stürmten nun Lex (rechter Flügel), Mölders (Mitte) und Karger (linker Flügel). Fehlte zuletzt die Körperspannung bei den Löwen, in dieser zweiten Hälfte war sie wieder da. Es fehlte bloß, so Jan Mauersberger, ein "dreckiges Tor". Bekiroglu und später Steinhart scheiterten am geschmeidigen Uphoff, bevor Wanitzeks Kontertreffer das Spiel entschied (92.).

Natürlich wäre es gut, wenn die Löwen in aufrechter Haltung wieder selbst Punkte einsammeln und dem Spuk ein Ende bereiten würden. Vorerst helfen aber die Ergebnisse der Hinterherhinkenden: Die SpVgg Unterhaching, Energie Cottbus und Fortuna Köln verloren ihre Spiele.

© SZ vom 29.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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