TSV 1860 München:König Owusu

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„Das, was heute passierte, kann man sich nicht ausmalen“: Prince Owusu trifft per Kopf in der Nachspielzeit zum 4:3 und bringt dem TSV 1860 München gegen Chemnitz noch den späten Sieg. (Foto: Renate Feil/imago images)

Michael Köllner, Trainer von Drittligist TSV 1860 München, setzt gegen den Chemnitzer FC auf Routine statt Jugend und erlebt beim späten 4:3-Sieg eine beeindruckende Rückkehr seiner Mannschaft.

Von Gerhard Fischer

Prince Owusu hat mit einer Aktion geschafft, was Prinz Charles in seinem ganzen Leben nicht gelang. Der Brite, mittlerweile 71, wird einfach nicht König, weil seine Mutter Elizabeth mit 93 Jahren immer noch regiert. Owusu, 23, köpfelte in der Nachspielzeit das 4:3 für den TSV 1860 gegen den Chemnitzer FC - und setzte dieser wahnwitzigen Partie die Krone auf. Stadionsprecher Stefan Schneider brüllte ins Mikrofon: "Das Tor für Sechzig erzielte Prince ..." Die Fans ergänzten: "Owusu!" Wieder Schneider: "Prince ..." Die Fans: "Owusu!" Und noch einmal Schneider: "König ..." Die Fans: "Owusu!"

Königin Elizabeth regiert seit fast 68 Jahren. Die Löwen sind seit 13 Spielen unbesiegt, das sind mehr als 120 Tage. Sie dürfen eher als Prinz Charles von einem Aufstieg träumen. Aber reden wollten sie hernach nicht davon, die Spieler nicht, der Trainer nicht.

Trainer Michael Köllner hatte Quirin Moll, 29, und Timo Gebhart, 30, anstelle von Dennis Dressel, 21, und Noel Niemann, 20, für die Startelf nominiert. Routine statt Jugend, wie in Großbritannien. Köllner glaubte wohl, dies sei das probate Mittel gegen robuste und formstarke Chemnitzer. Moll agierte als Sechser, Gebhart als Zehner. Das gehörte zum Matchplan der Löwen. "Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen", sagte der Philosoph Blaise Pascal. Es kommt also im Leben, und im Fußball, ohnehin anders, als man denkt. "Man hat sich vorher 1000 mal den Kopf zerbrochen, wie ein Spiel gehen könnte", sagte Köllner nach der Partie. "Aber das, was heute passierte, kann man sich nicht ausmalen."

Schon die Ereignisse der zweiten Minute warfen vieles, vielleicht alles über den Haufen: Niklas Hoheneder, auch schon 33, köpfelte aus vier Metern; Tormann Marco Hiller parierte; Hoheneder staubte ab. Die Löwen, in Person des zugeteilten Dennis Erdmann, hatten den Fehler gemacht, den Schützen alleine zu lassen; und der Schiedsrichter und seine Assistenten hatten den Fehler gemacht, dessen Abseitsstellung zu ignorieren. Schiedsrichter Marcel Gasteier missachtete außerdem, dass Tim Rieder nach einer Verletzungspause seit 68 Jahren an der Seitenlinie bereit stand, um wieder herein gewunken zu werden. Gasteier ließ Rieder draußen stehen wie ein Busfahrer einen ungezogenen Schüler, und die Gäste nutzten die Überzahl zum 0:2 (36.). Die Löwen leisteten erneut ihren Beitrag, diesmal in Person von Aaron Berzel, der einen langen Ball vor die Füße von Philipp Hosiner köpfelte. Hosiner passte, bedrängt von Hiller und Erdmann, auf Erik Tallig, der die Kugel flach ins leere Tor bugsierte. In der Blitztabelle war Chemnitz auf zwei Punkte an 1860 heran gerückt. "Jeder weiß, was hier los gewesen wäre, wenn wir heute verloren hätten", sagte der Fußballweise und 1860-Kenner Sascha Mölders nach dem Spiel.

Oh ja, Löwen können sehr kritisch sein, sehr nostalgisch, sehr euphorisch - und sehr wütend. Gasteier bekam das nach dem 0:2 zu hören. Das ganze Stadion pfiff und brüllte, auch die Spieler und der Trainer, der dafür Gelb sah, waren außer sich. Stefan Lex war der Erste, der Wut in Energie verwandelte. Er umkurvte Hoheneder und Matti Langer und hob den Ball über Torhüter Jakub Jakubov ins lange Eck. Das geschah drei Minuten vor der Pause. Und jeder Fußballweise weiß, wie wichtig ein Anschlusstreffer vor der Pause ist.

Die Löwen kamen dann früher aus der Kabine als die Gäste, so früh, dass der Rasensprenger, der das Spielfeld wässerte, seinen Betrieb noch nicht eingestellt hatte. Berzel und Philipp Steinhart wurden nass gespritzt, weil sie ins Gespräch vertieft waren. Aber das löschte ihr Feuer nicht. Als Maximilian Oesterhelweg den energisch aufgerückten Steinhart im Strafraum foulte, verwandelte Gebhart den Strafstoß (54.). Eigentlich ist Steinhart der Elferschütze, aber Gebhart ist offenbar in jeder Szene ein genialer Ballbehaupter. Er schnappte sich die Kugel, traf und zeigte nach dem Tor auf seine Rückennummer: Ich war's. "Ich bin nicht sauer auf Timo", sagte Steinhart hernach. "Ich bin froh, dass er ihn rein gemacht hat."

Als Lex wenig später einen Ball in den Strafraum schaufelte, stoppte Mölders, dieser geniale Ballverarbeiter, das krumme Ding mit der Brust und wuchtete es mit rechts in Tor (58.). Aber als Efkan Bekiroglu mit einem schlampigen Außenristpass Hosiner bediente und dieser zum 3:3 ausglich (64.), dachten viele: typisch Sechzig. Reißen mit dem Hintern ein, was sie aufgebaut haben. Doch dann stürmte 1860 mit Mann, Maus und Mentalität. Köllner, der den Sieg "mit Gewalt" wollte, wie er sagte, brachte den Stürmer Nico Karger und den Stürmer Owusu, der zu diesem Zeitpunkt noch Prince mit Vornamen hieß. Owusu köpfelte das 4:3 nach einer Ecke von, natürlich, Stefan Lex. Dann war Schluss, das Stadion jubelte, und Bekiroglu, der Pechvogel, sprang König Owusu in die Arme.

© SZ vom 02.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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