TSV 1860 München:Die blaue Schnecke will nicht mit

Lesezeit: 3 min

"Solange wir nicht gewinnen, müssen wir eher nach unten schauen": In einem windigen Spiel mit zwölf gelben Karten trennt sich der TSV 1860 1:1 von Magdeburg. Die Münchner wirken kraftlos.

Von Gerhard Fischer

Fast jedes Fußballspiel hat einen Moment, in dem seine Statik auf einen Schlag verändert werden kann. Es lief die 69. Minute im Grünwalder Stadion, als Schiedsrichter Tobias Fritsch dem TSV 1860 München einen Elfmeter zusprechen wollte. Die Löwen kickten in dieser Phase lausig, der 1. FC Magdeburg schickte sich an, das Führungstor zu erzielen. Aber jetzt zeigte Fritsch auf den Kalkpunkt im Strafraum der Gäste. Er meinte, er habe ein Handspiel von Jurgen Gjasula gesehen. Ein verwandelter Elfer hätte das 2:1 für 1860 bedeutet. Phillipp Steinhart stand schon bereit, den Strafstoß auszuführen.

Die Minuten vergingen. Der seltsam unentschlossene Fritsch befragte seinen Assistenten. Der war zwar 45 Meter von jenem Fleckchen Rasen entfernt gestanden, an dem Gjasula Hand gespielt haben sollte. Aber offenbar überzeugte er Fritsch davon, den Elfer zurück zu nehmen. Steinhart durfte nicht schießen, die Fans durften nicht jubeln. Stattdessen schimpften sie. Nein: Sie tobten. Es blieb beim 1:1, und 1860 hat jetzt seit zwölf Spielen nicht verloren. Aber nach dem vierten Remis in Serie wirken die Löwen nun wie Schnecken, die das Rennen um die Aufstiegsplätze partout nicht aufnehmen wollen.

Der deutsche Meister von 1966 empfing also den einzigen Europapokalsieger der DDR

1860 München gegen Magdeburg, das ist heute ein Drittligaspiel. Wer aber hörte, wie sich die Löwenkurve von Beginn an gegen einen sehr lauten Gästeblock wehren musste, der ahnte, wie viel Emotion und Tradition da aufeinander prallten. 1860, das kürzlich, also 1966, noch deutscher Meister war, traf auf den einzigen Europapokalsieger der DDR: Magdeburg besiegte 1974 im Finale den AC Mailand, übrigens vor bloß 5000 Zuschauern. Zuletzt ist der FC abgestiegen, von der zweiten in die dritte Liga, und weil er schon wieder gefährdet ist, hat er den Trainer gewechselt: Claus-Dieter Wollitz übernahm im Winter.

1860 musste auf Rechtsverteidiger Marius Willsch (gesperrt) und Sechser Daniel Wein (verletzt) verzichten. Trainer Michael Köllner brachte positionsgetreu Herbert Paul und Tim Rieder, er behielt also sowohl seine defensive Viererkette bei als auch seine Raute im Mittelfeld. In der ersten Halbzeit funktionierte das, denn die ballsicheren Löwen kontrollierten das Spiel - und gingen in Führung. Stefan Lex schlug eine Ecke in den Strafraum, Dennis Erdmann köpfte auf den Kopf von Aaron Berzel, und von dessen prachtvollem schwarzen Schopf rauschte die Kugel wie von einem Katapult abgefeuert unter die Latte. Berzel spielt übrigens eine vorzügliche Saison als Anführer der Löwen-Abwehr.

Nach der Pause kickten die Sechziger, als hätte man ihnen den Stecker gezogen. Gut, Magdeburg stürmte nun mit dem eingewechselten Torjäger Christian Beck und mit mehr Nachdruck. Und der Wind blies den Löwen ins Gesicht. Aber warum waren sie plötzlich so kraftlos, so unkonzentriert? Warum versprangen nicht nur den blauen Grobmotorikern die Bälle, sondern auch einem Künstler wie Efkan Bekiroglu? "Der Wind darf nicht die Ausrede sein, dass wir teilweise so von der Rolle waren", meinte Berzel, der damit auch verbal überzeugte.

Als Torwart Marco Hiller etwas übereifrig sein Tor verließ und mit Sören Bertram kollidierte, verhängte Fritsch einen Elfmeter, den er nicht zurück nahm. Gjasula verwandelte (ausgerechnet in der 60. Minute) und hatte wenig später Glück, dass der Schiedsrichter in einer anderen Elfersache wieder für Magdeburg entschied (siehe Beginn dieses Artikels). Fritsch wirkte in diesem Spiel, in dessen Pause für das Schiedsrichterwesen geworben wurde, nicht sonderlich souverän. Er zeigte zwölf gelbe Karten, obwohl alle anständig spielten. Eine Karte sah Wollitz, der von der Tribüne aus wie Werner Lorants Wiedergänger wirkte: Er schimpfte und fuchtelte mit den Armen, als boxe er gegen einen unsichtbaren Gegner. Köllner mochte Fritsch nicht beurteilen, und die beiden Elferentscheidungen auch nicht. "Es ist, wie es ist", sagte er. Köllner ist gläubiger Christ, in diesem Moment redete er eher wie ein Buddhist.

Am Ende hatte 1860 Glück, denn Costly, Conteh und Co. ließen famose Chancen aus. Marcel Costly köpfelte vorbei, Sirlord Conteh scheiterte zweimal freistehend an Hiller, der an Handballtorwart Andreas Wolff in dessen Hexerphase erinnerte: Einen Schuss von Conteh wehrte Hiller ab, indem er den Fuß fast in Kopfhöhe hielt.

Berzel sagte hernach, dieses Remis fühle sich wie eine Niederlage an. Vielleicht deshalb, weil die Leistung - jene nach der Halbzeit - keinen Punkt verdient gehabt hätte? Oder weil der Abstand nach oben wieder nicht verkürzt werden konnte? "Solange wir nicht gewinnen", meinte Lex, "müssen wir eher nach unten schauen."

© SZ vom 24.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: