TSV 1860 München:Der Fallschirm reißt

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Nach etlichen Spielzeiten, in denen sich der TSV 1860 München nur mit Mühe retten konnte, scheitert der Klub in der Relegation am SSV Jahn Regensburg - und ist nun erstmals seit 1993 drittklassig.

Von Markus Schäflein

Es war zur Tradition geworden, dass die Fröttmaninger Arena am Saisonende, wenn das Damoklesschwert ganz nahe über ihr schwebt, plötzlich auch bei einem Heimspiel des TSV 1860 München gut gefüllt ist. Da kamen sie in Scharen, die Löwenfans, die es ja doch noch gibt, Dicke, Dünne, Große, Kleine, Kinder, Rentner, Investorenfreunde, die von der Champions League träumen, Traditionalisten, die für eine selbstbestimmte Zukunft gerne in die Bayernliga gehen würden, und die ob der Klubpolitik zerrissenen Ultras. Einfach alle (außer natürlich die Arenaverweigerer, die es ja auch gibt). 62 200 Menschen stellten diesmal einen Rekord für ein Relegationsspiel zwischen zweiter und dritter Liga da und sorgten, nun ja, für Champions-League-Atmosphäre. Sie waren es gewohnt, dass es hintenraus dann doch immer was zu feiern gab.

Doch diesmal war alles anders. Der dritte Versuch hintereinander ging nicht mehr gut, eine verkorkste Saison auf den letzten Drücker zu retten. Die vielen Menschen mit den entsetzten, traurigen und wütenden Gesichtern bildeten ein Gemälde, auf dem abgebildet war, was bei diesem Verein in den vergangenen Jahren systematisch ruiniert worden ist. Und die Fratze des wütenden Löwen, als die aufgebrachten Fans aus der Nordkurve zehn Minuten vor Schluss den Platz stürmen wollten und eine lange Spielunterbrechung verursachten. Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot an, um den Weg zu versperren; Assistenztrainer Daniel Bierofka eilte zur Beruhigung herbei. "Außer Biero könnt ihr alle geh'n", war die gesangliche Antwort.

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(Foto: Andreas Gebert/dpa)

Kopfüber: Der Münchner Marnon Busch (oben) im Duell mit Erik Thommy von Regensburg - einer der vielen Zweikämpfe zu Beginn des Spiels.

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(Foto: Andreas Gebert/dpa)

Und Tor! In der 30. Minute erzielt Kolja Pusch (r.) vorbei an Michael Liendl (l.), Torwart Stefan Ortega (Mitte) und Kai Bülow (2.v.r.) den ersten Treffer für die Jahn Regensburg.

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(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Die Regensburger feiern ihren Torschützen Kolja Pusch (unten) nach dem 1:0 überschwänglich.

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(Foto: Andreas Gebert/dpa)

Noch eine vergebene Chance für die Sechziger: Christian Gyktjaer schaut sichtlich geknickt auf den Boden. Die Gäste dominieren das Spiel - ein Ligaunterschied ist nicht erkennbar.

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(Foto: Peter Kneffel/dpa)

2:0 in der 41. Minute: Marc Lais von Jahn Regensburg köpft seine Mannschaft in die zweite Liga.

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(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Bittere Erkenntnis für Trainer Vitor Pereira: Den Abstieg der Sechziger konnte er nicht verhindern. Nach 24 Jahren muss sich 1860 wieder mit der dritten Liga anfreunden.

1860 verlor 0:2 (0:2) - mit dem portugiesischen Trainer Vitor Pereira, Zugängen aus aller Welt und Altgedienten ohne Perspektive war diesmal zu viel kaputt gegangen, um es hintenraus noch schnell zu kitten. Die über 5000 mitgereisten und alle in Rot gekleideten Regensburger durften feiern, der Jahn ist mit neu gebauter Arena im Eiltempo in die zweite Liga zurückgekehrt.

Pereira ersetzte den gesperrten Verteidiger Marin Pongracic durch Kai Bülow, den Relegationshelden von 2015, der gegen Kiel damals in letzter Minute den rettenden Treffer erzielte. Auch Bülow konnte diesmal nichts machen. Im Sturm begann Christian Gytkjaer für Sascha Mölders. Bei den Regensburgern war Flügelstürmer Jann George wieder dabei, für ihn musste Uwe Hesse weichen.

Die erste Chance hatte nach elf Minuten der Jahn, doch Marco Grüttner schoss weit über die Querlatte (11.). Die Regensburger übernahmen, wie zu erwarten nach dem 1:1 im Hinspiel, sofort die Initiative. Gefährlicher waren aber zunächst die Löwen bei ihren Gegenstößen. In der 23. Minute hatte Gytkjaer Pech - er stand nach einem Steilpass ungedeckt vor Jahn-Torhüter Philipp Pentke, wurde aber von Schiedsrichter Daniel Siebert wegen einer vermeintlichen Abseitsposition zurückgepfiffen (23.).

Es folgte nach einer halben Stunde der Schock für die Löwen: Der vom FC Augsburg an den Jahn verliehene Erik Thommy setzte sich über die linke Seite gegen Marnon Busch durch und passte flach in die Mitte, Kolja Puschs Direktabnahme flog sehenswert ins Tor - 0:1. "Wir woll'n euch kämpfen seh'n", sangen die Fans wie schon im Hinspiel. In der 40. Minute scheiterte Gytkjaer auf Zuspiel von Stefan Aigner an Pentke (40.), dann kam es noch schlimmer für die Löwen: Flanke Marcel Hofrath, Kopfball Marc Lais, 0:2 (41.) - beide Spieler hatten sich kaum einer Gegenwehr zu erwehren. Sechzig, das zu Spielbeginn noch keinen eigenen Treffer zum Erfolg benötigt hatte, brauchte nun drei Tore. Die Jahn-Fans dominierten nun die Atmosphäre, überall sonst machte sich das Entsetzen breit. "Scheiß auf den Scheich, Scheiß auf sein Geld", sangen die Münchner Ultras trotzig. Kurz vor der Pause verhinderte 1860-Torwart Ortega das 0:3 gegen Pusch.

Zur zweiten Hälfte brachte Pereira Mölders und Ivica Olic für Gytkjaer und Aigner, in der 56. Minute noch Maxi Wittek für Felix Weber. Es half alles nichts, Sechzig wurde vom Drittligisten nun regelrecht vorgeführt, nie kam mehr eine Art von Spannung auf. Die Totenstille im Löwenblock wurde von "Wir sind Löwen und ihr nicht"-Rufen unterbrochen. Als Sechzig nach 75 Minuten noch immer keine Torchance in der zweiten Hälfte verzeichnet hatte, bereiteten die Ultras die Drohkulisse vor. Schließlich wurde doch zu Ende gespielt, obwohl immer wieder Sitzschalen und Stangen aufs Feld geworfen wurden.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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