TSV 1860 München:Blasmusik und Darlehen

Lesezeit: 3 min

Die Anhänger des TSV 1860 München genießen zum Auftakt der vierten Liga in Memmingen das Gefühl, mal wieder zu gewinnen - und so genannten "ehrlichen Fußball" zu sehen.

Von Markus Schäflein, Memmingen

Um 16.54 Uhr werden an der Bodenseestraße, gegenüber des kleinen Stadions, die ersten Wildpinkler in Trikots des TSV 1860 München gesichtet. Ansonsten geht das Leben in der kreisfreien Stadt Memmingen, 42 622 Einwohner, an diesem Donnerstagnachmittag seinen gewohnt ruhigen Gang. Rentner sitzen im Eiscafé, Fahrradtouristen holen sich eine Brotzeit beim Bäcker. Grölende oder gar marodierende Horden von Fußballfans sind in der Fußgängerzone nicht zu sehen. Dass in rund zwei Stunden das Regionalligaspiel des örtlichen FC gegen den aus der zweiten in die vierte Liga abgestürzten TSV 1860 stattfindet, zeigt sich nur daran, dass Polizeibusse in Kolonne durch die Innenstadt fahren, mit Blaulicht, aber ohne Sirene. Es gibt keine Eile. Auf den Hinweis, die zahlreiche Polizei sei wegen eines Spiels von 1860 München da, sagt ein Mann: "Ich dachte, Sechzig spielt in der Bundesliga."

In der Bundesliga, dort hat Sechzig seit 2004, seit dem gravierenden Elfmeter-Fehlschuss von Francis Kioyo, nicht mehr gespielt - aber immerhin in der zweiten, bis zur Vorsaison und bis zur folgenschweren Personalpolitik des jordanischen Investors Hasan Ismaik, die mit dem Abstieg endete - und bis zu jenem Schwarzen Freitag, an dem Ismaik die fehlenden elf Millionen Euro für die Drittligalizenz nicht zur Verfügung stellte.

Nun also Memmingen, vierte Liga, aber mit Sicherheitsmaßnahmen wie im Profifußball. Die Sechzig-Fans - allzu viele waren es nicht, es passen ja nur 5000 Zuschauer in das selbstredend ausverkaufte Bodenseestadion - wurden von der Polizei vom Bahnhof zum Stadion und zurück eskortiert, ein Hubschrauber kreiste über der Stadt. Am Ende hieß es im Polizeibericht: "Kleinere Zwischenfälle wurden von den Einsatzkräften registriert. Darunter eine von einem Gäste-Fan verursachte Schmiererei in der Toilette des Bahnhofs sowie drei Beleidigungen zum Nachteil von Fans und Einsatzkräften. Daneben leisteten Polizeibeamte zweimal Erste Hilfe nach Stürzen von Fans von einer Mauer."

Der TSV 1860, der Bayerische Fußball-Verband und auch die große Ultragruppierung hatten gebetsmühlenartig an die Fans appelliert, sich bei den Landpartien der Löwen anständig aufzuführen; in dieser Hinsicht war der Auftakt geglückt, und sportlich auch. 1860 gewann 4:1, und Memmingens Trainer Stefan Anderl stellte fest, dass "diese Qualität in der Regionalliga nichts verloren" habe. In der Münchner Startelf standen vier Spieler, die in der vergangenen Saison zum Zweitligakader gehörten, dazu kamen Verstärkungen aus der dritten Liga. Und dann sind da ja noch die zahlreichen Talente aus dem eigenen Nachwuchsleistungszentrum, die in der vergangenen Saison als U21 bereits Zweiter in dieser Regionalliga wurden.

Den meisten Anhängern war anzumerken, wie sehr sie nicht nur das Gefühl schätzen, mal wieder gewinnen zu dürfen, sondern auch ihre neue Mannschaft und das neue Umfeld. Viel war an diesem Abend von so genanntem "ehrlichen Fußball" die Rede. Das verwundert nicht nach der vergangenen Spielzeit, die so unehrlich war wie vermutlich keine andere in der langen und an Unehrlichkeiten nicht armen Klubhistorie. Kaum einer schien unglücklich zu sein, dass die Auswärtsfahrten in dieser Saison nach Seligenporten und Pipinsried führen statt nach Düsseldorf und Berlin.

Geschäftsführer Fauser lobt den möglichen neuen Investor Mey

Rahmenprogramm gab es auch. Es spielten die Schönegger Almmusikanten, die "Betriebskapelle der Schönegger Käse-Alm", in der Halbzeitpause versprach der Bürgermeister dem FC Memmingen, mehr Toiletten im Stadion zu errichten, in der zweiten Spielhälfte fiel die Stadionuhr aus. Und die Löwen-Fans machten sich einen Spottgesang der FC-Bayern-Anhänger aus den Achtzigerjahren zu eigen, einer Zeit, in der sie auch schon mal bei den Amateuren spielten und deren Revival sie nun begehen: "In der Bayernliga", sangen sie, "so ist es bekannt, fahr'n die Giesinger Bauern mit der S-Bahn aufs Land" - auf die Melodie von "An der Nordseeküste". Mehr Entertainment brauchen sie nicht.

Zwischen Blasmusik und Blödelei ging es allerdings, wie immer bei Sechzig, auch um viel Geld und um Machtkämpfe. Angetrunkene mit Bierflasche in der Hand auf dem Parkplatz unterhielten sich über den Aufsichtsrat und über Darlehen. Etliche Fans sangen zwischenzeitlich mal wieder ihren Schmähgesang gegen Investor Ismaik, was dessen Verteidiger auf den Plan rief - die Anhängerschaft ist immer noch tief gespalten, auch wenn der klare Sieg bei herrlichem Wetter und die Maßgabe, sich zum Auftakt ordentlich zu benehmen, dies einen Abend lang kaschierten. 1860-Geschäftsführer Markus Fauser nahm in der Halbzeit bei Sport1 Stellung zum Interesse des Milliardärs Gerhard Mey vom Automobilzulieferer Webasto, als neuer Investor einzusteigen: "Er kommt aus München, ist ein Urgestein. Das könnte gut passen."

Ob nun ein Memmingenspiel oder ein Millionenspiel besser zu 1860 passt, ist die seit fast zwei Jahrzehnten und seit Präsident Wildmoser schwelende Frage, die mit dem Absturz nicht beantwortet ist. Die Antwort lautet wohl: beides, und nichts von beidem. Dass irgendwas nicht stimmt, wenn Sechzig bei den Amateuren spielt, wurde klar, als ein Viertligaspiel in den 22-Uhr-Hauptnachrichten des Radiosenders Bayern 3 thematisiert wurde. Der Reporter zählte, ganz sachlich, alle Torschützen auf und schloss mit den Worten: "Nico Helmbrecht machte mit dem 4:1 den Deckel drauf."

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: