TSV 1860:Kitsch und Bekiroglu

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Nach dem 3:0 gegen Zwickau darf der TSV 1860 etwas Mut schöpfen. Die Löwen wissen jetzt: Ihre Mannschaft kann Tore schießen, auch wenn Sascha Mölders nicht trifft.

Von Philipp Schneider

Die orangefarbene Sonne hing über der Westkurve und sah aus wie einer dieser großen Deckenspots in den Fernsehstudios. Sie leuchtete über die Kurve hinweg auf den grünen Rasen und tauchte ihn in eine ihm wesensfremde Farbe, als Efkan Bekiroglu den Sprint zu einer kleinen Ehrenrunde anzog. Mitunter kann es etwas kitschig zugehen im Grünwalder Stadion. Und das war jetzt so ein Moment. 2:0 führte der Fußball-Drittligist TSV 1860 München am Mittwochabend gegen den FSV Zwickau, die Löwen auf den Rängen sangen ihre alten Lieder, sie feierten den ersten Sieg in dieser Saison. Und sie hatten nun einen Helden gefunden, der ihnen diesen geschenkt hatte. Efkan Bekiroglu hatte zunächst auf bemerkenswerte Weise einen Freistoß geschlenzt. Mit dem Innenrist vorbei an der Mauer in den Winkel (33. Minute). Und in der zweiten Hälfte hatte er den Ball ins lange Eck geschickt, nach Vorarbeit von Sascha Mölders, der eine Flanke auf ihn ablegte: und zwar mit dem Knie (60.). Bekiroglu wurde nach der Partie mit Sprechchören gefeiert. Und der Schütze berichtete über seine zwei Tore: "Freistöße übe ich halt immer. Und das zweite Tor war jetzt nicht sehr schwierig."

"Heute gab es brutalen Drittligafußball - und wir haben uns belohnt", findet Bekiroglu

Als dann eine Minute vor Schluss auch noch Herbert Paul für den 3:0-Endstand sorgte, da waren die Löwen um eine Erkenntnis reicher: Nach zwei Partien, in denen die Mannschaft von Trainer Daniel Bierofka phasenweise ordentlich gespielt hatte, war der dritte Spieltag einer, an dem die Löwen im von ihnen ausgerufenen Jahr der finanziellen Konsolidierung etwas Mut schöpfen dürfen. Sie wissen jetzt: Die Mannschaft kann Tore schießen, auch wenn Mölders nicht trifft. Und sie kann tatsächlich hoch gewinnen. "Zwei Spiele hätten wir den Sieg verdient gehabt. Heute gab es brutalen Drittligafußball - und wir haben uns belohnt", sagte Bekiroglu.

Im Gästeblock hing auf Höhe der Grasnarbe ein rotes Banner mit weißen Buchstaben. "Respektiert die Fans" stand darauf. Nur die Fans aus Zwickau waren nicht da. Beziehungsweise: nicht viele Fans. Im Vorfeld der Partie war es zu einigen Irritationen rund um eine Zaunfahne des Zwickauer Fanclubs "Red Kaos" gekommen. Die Staatsanwaltschaft München ging noch einer Anzeige nach, wonach ein stilisiertes S auf der Fahne an eine verfassungswidrige Truppe aus der düstersten Phase der deutschen Geschichte erinnern könnte. Die Anhänger von "Red Kaos" boykottierten deshalb geschlossen die Partie und verzichten auf die mehr als 350 Kilometer lange Reise. Teile der Löwenfans zeigten sich solidarisch und präsentierten ihrerseits ein Banner: "Staatsanwaltschaft München. Verfassungswidrig seid nur ihr."

Bierofka nahm im Vergleich zum 1:2 in Braunschweig zwei Änderungen seiner Startelf vor: Aaron Berzel rückte für den gesperrten Kapitän Daniel Weber in die Innenverteidigung. Und auf der rechten Außenbahn ersetzte Marius Willsch den jungen Fabian Greilinger. Der 18-Jährige saß auf der Bank, zusammen mit dem Last-Minute-Transfermarktgeschenk von Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik, auch bekannt als Timo Gebhart, auf dessen Startelf-Debüt die Fans noch immer warten. Er wolle das Geschenk erst dann so richtig auspacken, wenn Gebhart im Training nahezu 100 Prozent seiner Leistungsfähigkeit erreicht habe, sagte Bierofka.

Die Gesänge auf Giesings Höhen mal wieder Spitzenklasse, der Fußball eher mau: So ging es los gegen Zwickau. Nach fünf Minuten fiel Herbert Paul im Strafraum hin, Elfmeter gab es nicht, das war völlig in Ordnung. Die Löwen mühten sich, Zwickau auch. Die Gäste probierten es mit hohen Bällen, von rechts, von links. Der Ableger einer solchen Flanke fiel vor die Füße von Julius Reinhardt. Reinhardt schoss hart. Aber Reinhardt schoss hart vorbei. Etwas glücklich war das 0:0 in diesem Moment für die Münchner, die ihrerseits mit wenig Kreativität aber hoher Leistungsbereitschaft dagegenhielten. Und dann fiel Bekiroglu zu Boden.

Er kann das ja: den Ball am Fuß mit so viel aufreizender Lässigkeit am gegnerischen Strafraum Spazierenführen, bis ein Gegner des Anblicks dieser aufreizenden Lässigkeit überdrüssig wird und beschließt, Bekiroglu gewaltsam von seinem Spielgerät zu trennen. So bereitete Bekiroglu seinen Kunstschuss auch noch selbst vor. Und weil Sascha Mölders kurz darauf zu einem Konter ansetzte, der letztlich nur vom Fuß von Zwickaus Schlussmann Johannes Brinkies gestoppt wurde, war für einige Momente Einiges geboten im Städtischen Stadion an der Grünwalder Straße. Auch die Gäste trugen etwas dazu bei: Gerrit Wegkamp schickte kurz vor der Pause einen Fallrückzieher weit am Tor vorbei.

Die erste Chance nach der Pause hatte Zwickaus Christopher Handke, der einen Kopfball in Rücklage vorbeisetzte. Zwickau drückte und drängte weiter, doch die Löwen warfen sich mit Inbrunst in die Schüsse: Paul blockte einen von Direktabnahme von Nils Miatke (69.), Phillipp Steinhart einen Heber von Handke (74.). Zwickau spielte am Mittwoch wahrlich nicht schlechter als Sechzig, aber die Münchner erzielten die Tore. Torwart Hendrik Bonmann fasste die Wahrheit so zusammen: "Wir waren heute nicht so gut wie gegen Braunschweig. Dafür haben wir 3:0 gewonnen."

© SZ vom 01.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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