Transfermarkt:Das Lauern der Haie

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Spielerberater Dietmar Ness, einer der einflussreichsten Männer im Frauenfußball, sorgt sich nach der EM um die Bundesliga.

Von Frank Hellmann, Enschede

Dietmar Ness kann von sich behaupten, den Pulsschlag dieser Frauenfußball-Europameisterschaft gefühlt zu haben. An einem typischen Arbeitstag des wichtigsten deutschen Spielerberaters sah man ihn mitunter: morgens mit den Eltern der deutschen Nationalmannschaftskapitänin Dzsenifer Marozsan in Vught frühstücken, mittags mit der österreichischen Kapitänin Viktoria Schnaderbeck in Wageningen Kaffeetrinken, zwischendrin mit seinen Spielerinnen WhatsApp-Nachrichten schreiben und abends auf einer Tribüne sitzen. So jemand bekommt mit, was wirklich läuft.

Ness, 50, hat allein zehn deutsche EM-Spielerinnen unter Vertrag, darunter Lena Goeßling, Anja Mittag, Mandy Islacker oder Marozsan. Mit seinem Familienunternehmen Ness & Network, in dem Ehefrau Susanne und Tochter Lydia mithelfen, sowie ein Netzwerk aus Juristen, Medienprofis und Steuerberatern, berät er weltweit 80 Fußballerinnen. Ness war in den Niederlanden von Anfang bis Ende fast durchweg präsent.

Das Halbfinale Dänemark gegen Österreich beobachtete er in Breda, nun kommt er zum Finale Niederlande gegen Dänemark am Sonntag (17 Uhr/ZDF und Eurosport) nach Enschede. Statt über Technik oder Taktik, Spielsysteme oder Spielphilosophien spricht er in diesem Sommer aber lieber über die Entwicklung auf dem Markt einer Sportart. Einen Markt, in dem auch für die im Fußball stets zweifelhaft beleumundeten Agenten nicht das ganz große Geld fließt. "Frauenfußball ist da ungefähr auf einer Stufe mit dem Basketball oder dem Handball der Männer. Den Männerfußball kann man mit nichts vergleichen. In Deutschland mit keiner anderen Sportart." Einen Markt jedoch, auf dem sich etwas bewegt.

"ManCity will die Nummer eins der Welt werden - bei den Männern und Frauen"

Gewiss, seine Aushängeschilder, Marozsan, Deutschlands Fußballerin des Jahres, oder Ada Hegerberg, Europas Fußballerin des Jahres, dazu Frankreichs Nationalstürmerin Eugénie Le Sommer, allesamt beim Champions-League-Sieger Olympique Lyon entlohnt, könnten vom Fußball gut leben, aber generell gilt: "Fast jede Nationalspielerin muss sich parallel um ihre Berufsausbildung kümmern. Deshalb habe ich höchsten Respekt, was alle Spielerinnen leisten. Frauen sind da ein Vorbild für Männer, die nach dem Profifußball heute noch oft ins Bodenlose fallen."

Die Spielerinnen Millie Bright (l.) und Vivianne Miedema im Kopfballduell. (Foto: John Thys/AFP)

Vor mehr als zehn Jahren zog es Ness in ein sehr bodenständiges Segment, das seitdem stetig gewachsen ist. Gerade beobachtet er staunend, wie sich der Vereinsfußball in Europa entwickelt - und damit ein Sinnbild ist für das Turnier. Dass die Topklubs in Frankreich längst zweistellige Millionenbudgets für die Frauenteams stemmen, ist bekannt. Doch nun machen weitere renommierte Männervereine ernst, vor allem aus England - dem einzigen Favoriten, der es ins Halbfinale schaffte.

"ManCity will die Nummer eins der Welt werden - bei den Männern und Frauen. Sie haben bereits ein weltweites Scouting-Netzwerk aufgebaut", erzählt Ness. Als er ein Talent aus Südamerika vorschlug, stellte er fest, dass sich besagte Spielerin längst im Fahndungsraster der Citizens befand, deren Cheftrainer Nick Cushing regelmäßig in den EM-Stadien anzutreffen war. Nicht nur Manchester City hat mit dem angedockten Women's Football Club große Pläne, sondern auch die Londoner Vorzeigevereine Chelsea und Arsenal. Deren Frauen könnten bald vermehrt deutsche Spielerinnen anlocken, glaubt er. Und nicht nur Linda Dallmann, eine der hoffnungsvollsten Newcomerinnen, kann sich einen Wechsel nach England auch gut vorstellen.

Bald könnten öfter Ablösesummen für Spielerinnen fließen

Die FA Women's Super League, davon ist der Agent Ness überzeugt, wird kurz- und mittelfristig zur großen Herausforderung für die Frauen-Bundesliga. Die Warnsignale seien untrüglich: "Es ist auffällig, wie viel Weitsicht die Engländer zeigen. Sie interessieren sich insbesondere für Vertragslaufzeiten." Es könnte in Zukunft bald mehr längerfristige Verträge mit festgeschriebenen Ablösen geben, die für den abgebenden Vereins lukrativ sind, glaubt er. Noch ist es die Ausnahme, dass Spielerinnen aus laufenden Verträgen mit ordentlichen Entschädigungen herausgekauft werden, wie bei Bundesliga-Torschützenkönigin Islacker bei ihrem Wechsel vom 1. FFC Frankfurt zum FC Bayern geschehen. Ness sagt: "Ich glaube aber, dass das in naher Zukunft häufiger passieren wird."

In der Nische Frauenfußball geht es vergleichsweise gesittet zu, noch. Ein Frauenturnier ist kein Spielerbasar wie eine Männerveranstaltung, der Transfermarkt kein Haifischbecken. Ness sieht "von Spielerinnenseite aus viel Respekt gegenüber den Vereinen und Verbänden - da wird nicht einfach ein Vertrag gebrochen". Wenn er mit seinen 20 an der EM beteiligten Nationalspielerinnen sprach, erzählt er, "dann ging es oft um profane Dinge." Viele brauchten einfach jemanden zum Reden, weil ihre Familien nicht dabei waren.

Doch schon bald könnte es in solchen Gesprächen um ganz andere, nicht mehr so profane Dinge gehen. Vielleicht schwimmt der Spielerberater Dietmar Ness demnächst in einem kleinen Haifischbecken.

© SZ vom 06.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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