Tour-Zweiter Christopher Froome:Der Schnellste darf nicht gewinnen

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Christopher Froome ist in Kenia geboren und aufgewachsen, hat in Südafrika studiert. Er ist der beste Fahrer im Feld und könnte als erster Brite die Tour de France gewinnen. Doch er muss den Erfolg seinem Landsmann und Mannschafts-Kapitän Bradley Wiggins überlassen.

Andreas Burkert

Tagessieger Alejandro Valverde schluchzte. Bradley Wiggins kämpfte unterwegs mit Tränen. Christopher Froome nicht. Er schwitzte nur etwas. Er erträgt das alles, sagt er, "ich bin zufrieden". Sein Team gewinne die Tour, und er mache seinen Job. Sein Job ist Radsport.

Auf dem Anstieg nach Peyragudes am Donnerstag hat Christopher Froome (r.) immer wieder auf seinen Kapitän Bradley Wiggins warten müssen. (Foto: dpa)

Es ist jetzt nicht mehr weit bis Paris. Sonntag auf den Champs-Élysées wird wieder die Hölle los sein. Die Hasardeure des Sprints messen sich noch einmal, ehe die schönen Bilder des Siegerpodiums entstehen, mit dem Triumphbogen im Hintergrund. Wiggins wird ganz oben sein, das weiß er seit der letzten Bergetappe vom Donnerstag zur Skistation Peyragudes. "In der letzten Steigung hatte ich fast Tränen in den Augen", sagte er. Der 32-Jährige ist ein stolzer Mann, er hat eine sagenhafte Saison hinter sich, er gewann Paris - Nizza, in der Romandie, die Dauphiné. Und jetzt gewinnt er als erster Brite die Tour. Weil Chris Froome, 27, der Sieger der 99. Tour de France, nicht siegen darf.

Frankreich ist indigniert am Tag nach dem Abschied aus den Pyrenäen. Weil Froome dem Mann im Maillot Jaune nicht davonfuhr. Radsport hat eine große Tradition in der Heimat der Tour, man akzeptiert die Regeln dieses Teamsports, obwohl sie oft seltsam anmuten. Doch das, was der domestique Froome und sein Sky-Kapitän Wiggins auf den letzten drei Kilometern bis Peyragudes aufführten, empfanden die Franzosen doch als zu viel der Ritenhörigkeit - und als Beleidigung ihres Rennens.

Ein Gewinner, eine Frage", titelte das Hausblatt L'Équipe und schrieb: "Wiggins hat die Tour gewonnen. Aber Froome wirft pointiert die Frage auf, ob er das als ehrenvoller Gewinner tat."

Froome hätte eigentlich die Tour gewonnen. Als erster Brite. Für Sky. Doch er hatte der Stallorder zu gehorchen.

3000 Meter vor Peyragudes forcierte Froome - und plötzlich war da erneut diese Distanz zu Wiggins. Froome drehte sich um, ließ sich zurückfallen, redete mit Wiggins. Gab ihm Handzeichen, doch bitte zu folgen, er fragte dann, ob er Valverde nachfahren dürfe. Zweimal wiederholte sich diese Farce. Valverde siegte. Der ergebene Chauffeur fuhr 19 Sekunden dahinter als Zweiter herein, gleichauf mit Wiggins.

"Ich verstehe das nicht, er hat schon in den Alpen zweimal auf ihn gewartet, er würde die Tour gewinnen", sagte der belgische Klassementvierte Jurgen van den Broeck. Der französische Augenzeuge Thibaut Pinot, Vierter der Bergankunft, sagte, Fromme hätte "Valverde locker eingeholt und gewonnen, und er könnte auch die Tour gewinnen". Der 22-Jährige nannte Froome einen "Équipier deluxe".

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Chris Froome verzichtet zum zweiten Mal auf einen Sieg bei einer der drei großen Rundfahrten. Bei der Vuelta 2011 wurde er Zweiter hinter Juan José Cobo. Weil Sky zu spät realisierte, dass er stärker war als Wiggins, der nach einem Schlüsselbeinbruch in der Tour zurückgekehrt war. Froome schlug im Zeitfahren Wiggins, der am Ende Dritter wurde. Bei der Tour hat Froome nun vor dem Zeitfahren am Samstag 2:05 Minuten Rückstand auf den Spezialisten Wiggins. Das kann er gegen diesen rouleur nicht aufholen. Doch allein 1:34 Minuten kassierte er auf der ersten Etappe: ein Platten kurz vor dem Ziel. In Prolog und im ersten Zeitfahren verlor er auf Wiggins nur eine halbe Minute. Das hätte er in der Alpenrampe von La Toussuire oder in Peyrasudes spielend aufgeholt. Er, der "weiße Kenianer" mit den dünnen Beinen.

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Wie Wiggins taucht auch Froome recht unvermittelt unter den stärksten Kletterern auf. Sky sieht das als Resultat einer wissenschaftlichen Trainingslehre. Doch Froome kann zudem auf einen Bezug zum Hochgebirge verweisen: Er ist in Nairobi geboren, bis 14 lebte er in der Höhe Kenias; danach schickten ihn seine Eltern, Engländer aus Brighton, in ein Internat nach Johannesburg, er studierte dort später Ökonomie. Bei der Kapstadt-Tour fiel der Amateurfahrer dem früheren italienischen Weltmeister Claudio Corti auf. Barloworld verpflichtete ihn, für 30 000 Euro Jahresgehalt; Froome zog nach Italien. Ein Jahr nach dem Dopingfall Moisés Dueñas bei der Tour machte das Team dicht; die meisten der britischen Profis gingen zu Sky.

Seit 2008 besitzt Froome einen britischen Pass, bei Olympia startet er mit Wiggins auch im Zeitfahren. Fühlt er sich britisch? "Ich weiß nicht", sagte er zuletzt, "ich bin in Nairobi groß geworden, mehr Zuneigung fühle ich zu Afrika." Vielleicht soll auch deshalb eher der Brite Wiggins gewinnen, obwohl er in Belgien geboren wurde, aber eben schon mit zwei Jahren nach England zog.

Doch ist ihm diese Art des Sieges nicht unangenehm?

Wiggins wand sich: "Chris wollte auf Etappensieg gehen, und ich sagte, ,yeah . . . ah . . . pff'." Er schnappte nach Luft, "ich war gerade in einer anderen Welt, wirklich". Nach La Toussuire, als Froome vom Teamchef zurückgepfiffen worden war, gab sich Wiggins ebenfalls unwissend: Der Funk habe nicht funktioniert. Und rechtfertigen brauche er sich nicht.

Radsport bleibt sonderbar. Er überlässt Profis wie dem einstigen Fuentes-Kunden Valverde Siege, damit dieser hinterher, gebeten um etwas Läuterung, unter Gelächter sagen darf: "Ich bin gegen Doping, was soll ich sonst sagen?" Und er feiert nun also Wiggins, der die Tour nicht nur mit den Beinen gewann, sondern dank der Ansagen aus dem Begleitwagen. Froome bleibt der bislang größte Erfolg und Wiggins' Versprechen: "Chris wird irgendwann die Tour gewinnen, ganz klar, und ich werde ihm helfen."

© SZ vom 21.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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