Tour de France:"Übertragen wir sauberen Sport?"

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Fritz Pleitgen, Präsident der Europäischen Rundfunkunion, über die ARD, bindende Verträge und rekordverdächtige Kommunikationsfehler.

Christopher Keil

Zwölf Jahre war Fritz Pleitgen, 70, Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Seit 2006 führt er die Europäische Rundfunkunion als Präsident. Die EBU wurde 1950 gegründet. In ihr sind heute 75 Fernseh- und Rundfunkanstalten aus 56 Ländern Europas, Nordafrikas und des Mittleren Ostens organisiert. Vor allem beim Gruppenkauf von Sportrechten hat die EBU große Bedeutung. Im Einzelverfahren könnte kaum ein Sender die teuren Lizenzen für Fußball-WM, Olympia oder auch Tour de France finanzieren. Mit der ARD liegt die EBU nun im Streit über einen Vertrag mit dem Veranstalter der Tour de France (ASO), den die EBU für ARD und ZDF geschlossen hat. Die ARD ist der Auffassung, dem Millionen-Deal nicht beigetreten zu sein und kündigte an, nicht mehr live von der Tour berichten zu wollen. "Nach den EBU-Regeln", sagt Pleitgen, "hat die ARD einen Vertrag geschlossen."

Fritz Pleitgen: viele Jahre Intendant des WDR und seit 2006 Präsident der Europäischen Rundfunkunion (Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Pleitgen, beim Streit mit der ARD geht es darum, ob eine Offerte, die die ARD am 15. Januar gegenüber der EBU formuliert hat, bindend ist mit der Abgabe oder erst bei Erfüllung von Bedingungen, die mit der Abgabe verknüpft sind. Nach gültiger EBU-Regelung soll das schriftliche Interesse bereits reichen, unabhängig von damit verbundenen Konditionen, etwa zum Preis, oder, wie im Falle der Tour de France, verpflichtenden Anti-Doping-Klauseln.

Pleitgen: Das ist richtig. Die EBU verhandelt nur auf der Grundlage verbindlicher Zusagen ihrer Mitglieder, sonst braucht sie erst gar nicht anzutreten. In den "EBU Sports Rights Acquisition Rules and Procedures" sagt Paragraph 2: "Wer ein Gebot abgegeben hat, kann es nicht einseitig zurückziehen, sobald sich die Garantorengruppe gebildet hat." Nach diesen Regeln hat die ARD der EBU den Auftrag erteilt, auch in ihrem Namen mit der ASO, dem Veranstalter der Tour de France, einen Vertrag auszuhandeln und auf der Basis des Angebots abzuschließen.

SZ: Noch einmal gefragt: Weil die EBU für eine große Gruppe Verträge schließt, reicht eine Email, in der das EBU-Mitglied ARD sein an Bedingungen gekoppeltes Interesse ausdrückt?

Pleitgen: Das war mehr als Interesse, das war ein klares Gebot. Das ist Praxis seit Jahren. ARD und ZDF haben dafür kompetente, autorisierte Mitarbeiter. In dem Moment, in dem man in so ein Verfahren reingeht - den Erwerb von Sportrechten - besteht eine Bindewirkung.

SZ: Die ARD hat einen gültigen Dreijahres-Vertrag mit der ASO über die EBU geschlossen?

Pleitgen: Die ARD ist mit dem ZDF in einem gültigen EBU-Vertrag. Beide haben gemeinsam ein qualifiziertes, vorschriftsmäßiges Gebot eingereicht. Als Lizenzsumme wurden zusammen sechs Millionen Euro pro Jahr eingebracht. Deutlicher geht es nicht. ARD und ZDF waren bei Gesprächen mit der ASO dabei.

SZ: War das Einfügen von Anti-Doping-Klauseln ein deutscher Vorstoß?

Pleitgen: Die schärfsten Anti-Doping-Forderungen kamen von ARD und ZDF, was ich als EBU-Präsident sehr unterstützt habe. In diesem Teil ist das EBU/ASO-Abkommen ein "deutscher Vertrag".

SZ: Die ARD stellte am 15. Januar zu den Anti-Doping-Klauseln noch zwei, drei Bedingungen auf. Hat die EBU alle erfüllen können?

Pleitgen: Ja. ARD und ZDF haben ihren Finanzbeitrag fast um die Hälfte auf die erwähnten sechs Millionen Euro gedrückt. Als der EBU eine Million zum Vertragsabschluss fehlte, habe ich in einer Sitzung des Executive Boards gesagt: "Lasst die Deutschen vom Haken, sie zahlen immer noch genug. Wir, die EBU, werden die Risikolücke übernehmen und holen uns die Million von anderen Mitgliedern durch Weiterverkäufe." Seit dem 15. Januar konnte es für ARD und ZDF nicht mehr um das Ob gehen, sondern nur noch um das Wie.

SZ: Aus der ARD ist zu hören, dass in einem Schreiben vom 21. April deutlich gemacht worden sei, sich zu den von der EBU ausgehandelten Konditionen nicht an der Tour zu beteiligen.

Pleitgen: An mich ist ein solches Schreiben nicht gegangen, auch nicht in Kopie. Erst im September hat die ARD mit mir in dieser Angelegenheit Kontakt aufgenommen. Inzwischen weiß ich, dass die ARD im Juni den zuständigen EBU-Direktor informierte - nach den gemeinsamen Regeln zu spät, worauf die EBU mündlich gleich aufmerksam machte. Alleingänge zu Lasten anderer wirken auf die Partner in der EBU weder solidarisch noch professionell. Wenn das ARD-Beispiel Schule macht, können wir den gemeinsamen Sportrechte-Erwerb vergessen, dann brauchen wir uns um Olympia, Biathlon, Nordische Wettbewerbe und andere schöne Sachen nicht mehr zu bemühen. Einzeln erworbene Rechte sind durchweg viel teurer.

SZ: Mit welchen Konsequenzen muss die ARD rechnen?

Pleitgen: Es wird unmöglich sein zu sagen: Wir sind dem Vertrag nicht beigetreten. Es gibt für die ARD nur die Möglichkeit, auf der Basis des geschlossenen Vertrages einen Weg zu finden, ihre Vorstellungen durchzusetzen.

SZ: Es gibt also Ausstiegsklauseln?

Pleitgen: Die gibt es. Reichlich.

SZ: Die ARD hat in einer Mitteilung mit dem geminderten Wert der Tour de France argumentiert, verursacht durch aktuelle Dopingfälle bei deutschen Fahrern und durch den Rückzug des deutschen Rennstalls Gerolsteiner.

Pleitgen: Schwer zu sagen, ob das reicht. Die ASO sagt: "Wir haben den härtesten Anti-Doping-Klauseln zugestimmt, die es bisher bei internationalen Verträgen dieser Art gegeben hat. Wir haben die schärfsten Kontrollen durchführen lassen und Doping-Sünder aufgespürt, die mit den bisherigen Methoden in welcher Sportart auch immer nicht geschnappt worden wären. Das Internationale Olympische Komitee will das System übernehmen. Es ist deshalb ein Treppenwitz, uns mit Vertragsausstieg zu bestrafen." Es ist zu befürchten, dass sich Sportverbände nicht animiert fühlen, scharf zu kontrollieren, wenn ihnen Vertragsausstieg droht. Übertragen wir dann sauberen Sport? Machen wir bei anderen Sportarten wie Boxen oder Fußball gleiche Auflagen?

SZ: Warum will niemand der Intendanten gewusst haben, dass die EBU ein Mandat von ARD und ZDF für Verhandlungen mit der ASO gehabt hat?

Pleitgen: Die ARD ist ein vitales, aber auch kompliziertes Wesen. Im Oktober festzustellen, dass seit Januar eine Bindewirkung besteht, ist rekordverdächtig.

SZ: Wie teuer würde es für die ARD werden, den EBU-Vertrag mit der ASO nicht anzuerkennen?

Pleitgen: Es geht für ARD und ZDF um gut 20 Millionen Euro für drei Jahre. Dazu könnten Schadenersatzforderungen wegen ausgebliebener Sponsorengelder kommen. Die EBU wird die Summe sicher nicht übernehmen wollen. Ob das ZDF sich gerne daran beteiligt, wage ich zu bezweifeln. Es kann nicht sein, dass der Gebührenzahler die Zeche begleichen muss. Das habe ich schon beim umjubelten Ausstieg 2007 kritisiert. Sollte das jetzt wegen eines Kommunikationsfehlers schief gehen, dann wird es ziemlich ernst.

SZ: Wer hätte denn bei der ARD Bescheid wissen müssen?

Pleitgen: Man hätte nur die ARD-Koordination zu fragen brauchen. Die Sache erinnert mich an den Ullrich-Vertrag. Seinerzeit wusste von uns auch keiner etwas. Gegenwärtig hoffe ich, dass die Gremien wissen, was beispielsweise für Olympia 2014 und 2016 von ihrem Sender erwartet wird.

SZ: Grundsätzlich kann man Sympathie haben für die Entscheidung der ARD, die Tour de France nicht mehr stundenlang live zu übertragen. Der Tour-Veranstalter ASO spielt mit dem Gedanken, den Doping-verdächtigen Serien-Tour-Sieger Lance Armstrong (USA) starten zu lassen und auch das Doping-verdächtige Astana Team zuzulassen.

Pleitgen: Selbstverständlich kann man der Meinung sein, die Tour nicht zu übertragen. Das hätte dann schon 2007 erklärt werden müssen. Jetzt sollte man den Blick nach vorne richten. Der neue Vertrag beginnt am 1. Januar 2009. Dann wird sich zeigen, ob die Verpflichtungen eingehalten werden. Für ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender ist es nicht hinnehmbar, wenn das Dopingkontrollsystem aufgelockert würde und Armstrong oder des Dopings stark verdächtigte oder überführte Fahrer an der Tour dabei wären. Ich bin der gleichen Meinung und habe dies über den EBU-Generaldirektor die Tour-Verantwortlichen wissen lassen.

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