Tödliche Attacke auf Linienrichter in den Niederlanden:Auf dem Schlachtfeld

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In den Niederlanden haben drei jugendliche Amateurfußballer einen Linienrichter totgeprügelt. Anlass war der Ärger über eine Abseitsentscheidung. Schonungslos wie nie führt der Tod an der Seitenlinie den Niederländern vor Augen, welche Gewalt sich an Wochenenden auf den Fußballplätzen des Landes entlädt.

Von Thomas Kirchner und Javier Cáceres

Wer am Dienstag die niederländische Presse studierte, konnte die Erinnerung an Stanley Kubricks A Clockwork Orange kaum unterdrücken. Die Erinnerung an die Bilder besinnungsloser Gewalt von Heranwachsenden. Denn das, was sich in einer Schlafstadt namens Almere vor den Toren Amsterdams zugetragen hatte und in der niederländischen Öffentlichkeit Entsetzen auslöste, war ja genau das, was der Kubrick-Film thematisierte: ein Akt sinnloser Aggression am Rande eines Amateurfußballplatzes, der ein Todesopfer forderte. Richard Nieuwenhuizen, 41, der am Sonntag bei einem Fußballspiel der Mannschaft seines minderjährigen Sohnes, dem "SV Buitenboys", als Linienrichter eingesprungen war, starb, weil drei 15- und 16-jährige Jugendfußballer mit einer Abseitsentscheidung nicht einverstanden waren.

Die Spieler vom Vorortklub "SV Nieuw Sloten" traten Nieuwenhuizen so lange und kräftig, dass er tödliche Kopfverletzungen erlitt. Die drei mutmaßlichen Täter wurden am Montag festgenommen und sollen am Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt werden; es wird wegen Totschlags ermittelt.

Schonungslos wie nie führt der Tod an der Seitenlinie den Niederländern vor Augen, welche Gewalt sich an Wochenenden auf den Fußballplätzen des Landes entlädt. Ähnlich wie in Deutschland übrigens. Nicht dass man sich in den Niederlanden der Probleme nicht bewusst gewesen wäre. Im Gegenteil.

Nicht umsonst werden jährlich Hunderte Zwischenfälle gemeldet, am Dienstag wurde bekannt, dass auch an einem weiteren Ort, in Haarlem, ein Linienrichter angegriffen wurde. Ein Gewaltausbruch mit Todesfolge ist im Amateurfußball bislang aber nur ein einziges Mal aktenkundig geworden: Erst in der vergangenen Woche wurde ein junger Fußballer zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, nachdem er - fast auf den Tag genau vor einem Jahr - einem 77-jährigen Zuschauer mit einem Tritt die Milz zerfetzt hatte.

Der niederländische Fußballverband KNVB startete schon vor längerer Zeit eine Fairness-Kampagne mit TV-Spots. Gewalttaten, insbesondere gegen Schiedsrichter, werden stärker geahndet, Klubs mit Wiederholungstätern können aus dem Spielbetrieb ausgeschlossen werden. Allein 2011 habe der Verband 74 Spielern die Spielerlaubnis entzogen.

Doch all das wirkt im Lichte der Ereignisse vom Sonntag seltsam hilflos. Ähnlich hilflos wie der frühere Nationalspieler Frank De Boer, der nun Ajax Amsterdam trainiert und keine Antwort auf die Frage findet, wie "es bei 15- und 16-jährigen Jungs zu solchen Kurzschlüssen" kommen kann. "Wir müssen etwas tun, das ist verrückt", sagte De Boer.

Ähnlich hilflos war auch Marcel Oost, der Vorsitzende des "SV Buitenboys". Der ehrenamtliche Vereinschef schilderte der Zeitung De Telegraaf, wie Nieuwenhuizen nach dem Abpfiff von den Teenagern des "SV Nieuw Sloten?" verfolgt und angegriffen worden sei. Und dass der Linienrichter erst noch nach Hause aufgebrochen, doch dann zum Vereinsheim zurückgekehrt sei.

Nieuwenhuizen habe über Unwohlsein geklagt und sei in ein Krankenhaus gebracht worden. Dort habe Oost ihn noch besucht - und von Nieuwenhuizen einen Spruch zur Begrüßung gehört, der einen im Nachhinein schaudern lässt. "He, Marcel, alles okay? Was für ein Scheißfußball!", habe Nieuwenhuizen gesagt. Da habe er noch gedacht, "er würde sich wieder erholen", sagte Oost.Doch es kam anders.

"Es ist unmöglich, Worte dafür zu finden, dass jemand beim Ausüben seines Hobbys zum Opfer eines solchen Angriffs wird", sagte Anton Binnemars, der beim niederländischen Fußballverband die Amateurfußball-Abteilung leitet. Auch beim Vorstand des SV Nieuw Sloten sitzt der Schock tief. Er bat die Familie des Opfers um Vergebung und zog das Team aus der Liga zurück.

Der Sportbeauftragte der Amsterdamer Stadtverwaltung regte an, ein fußballfreies Wochenende auszurufen. Um nachzudenken, wie der Gewalt Einhalt geboten werden kann. Der Fußballverband entschied hingegen: Vor den Spielen wird eine Schweigeminute eingelegt. Und alle laufen mit Trauerflor auf.

© SZ vom 05.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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