Tischtennis-WM: Timo Boll:Kleiner Triumph für Sisyphus

Lesezeit: 3 min

Als einziger Nicht-Chinese kann Timo Boll bei der Tischtennis-WM in Rotterdam einen Chinesen besiegen und gewinnt mit Bronze seiner erste WM-Einzelmedaille. Chinas sportliche Dominanz aber bleibt erdrückend.

Ulrich Hartmann

Bald kommen die nächsten Weltstars nach Rotterdam. Cat Stevens, Neil Diamond und Prince. Sie singen in der Ahoy-Arena im Süden der Stadt, das ist jene Halle, über deren Eingang bis Sonntag das riesige Bild eines jungen Mannes aus dem Odenwald hing. Alle, die das Foyer der Arena betraten, mussten zu Timo Boll aufschauen, und wie das Riesenfoto da so hing mit dem dynamischen Boll, bekam man schon ein bisschen ein Gefühl dafür, dass der deutsche Tischtennisspieler auch ein Weltstar ist.

Timo Boll.  (Foto: AFP)

Timo Boll, 30, ist Weltranglisten-Zweiter und ein globaler Tischtennisheld, aber er hat es auch bei der Weltmeisterschaft in Rotterdam nicht geschafft, sich am Ende gegen die dominanten Chinesen durchzusetzen. Im Halbfinale gegen Zhang Jike war das Turnier für ihn vorbei, darüber tröstete er sich allerdings mit seiner ersten WM-Einzelmedaille hinweg. Er sieht mit dieser Medaille "einen kleinen Makel in einer ansonsten ohnehin schon tollen Karriere" ausgeräumt. Mehr als Bronze war aber nicht möglich. Zhang Jike, 23, aus der ostchinesischen Provinz Shandong war einfach zu stark. Er besiegte im Finale auch noch den amtierenden Weltmeister Wang Hao. Zhang Jike ist an der Tischtennisplatte sozusagen Cat Stevens, Neil Diamond und Prince in einem. Nur viel jünger.

Ein einzelner Sieg über einen Chinesen war Boll bei dieser WM immerhin doch gelungen. Der Erfolg im Viertelfinale gegen Chen Qi, den schwächsten der sieben Chinesen, hat Boll Bronze und dem deutschen Tischtennis die erste WM-Einzel-Medaille seit Eberhard Schöler Anno 1969 beschert. Schöler saß in Rotterdam auf der Tribüne und fand nach dem Halbfinale: "Zhang Jike hat fast unheimlich gespielt." Auch Boll gestand: "Bei einigen Bällen war sogar ich erstaunt." Am Samstag hatte Boll gegen Chen Qi 4:1 gesiegt, im Halbfinale tags darauf unterlag er dem Weltranglisten-Dritten Jike in 1:4 Sätzen. Jike gewann das Finale gegen Wang Hao 4:2. Boll bestätigte in Rotterdam seine Rolle als weltbester Nichtchinese. Bei Olympia 2012 in London wird er einen neuen Angriff auf die robuste Hierarchie versuchen.

Boll hat in Rotterdam eine sehr solide Woche mit vereinzelten Glanzlichtern gespielt. Höchste Kunstfertigkeit war beim 4:1 gegen den Japaner Kenji Madsudaira, bei den 4:0-Siegen gegen Yanz Zi aus Singapur und den Schweden Robert Svensson sowie beim 4:2 gegen seinen deutschen Teamkollegen Dimitrij Ovtcharov im Achtelfinale noch nicht nötig gewesen. Doch als Boll am Samstag Chen Qi besiegt und Sonntag im Halbfinale den ersten Satz gegen Zhang Jike 11:5 gewonnen hatte, schien die Sensation möglich. "Am Anfang war er ängstlich", sagte Boll über Zhang Jike, "aber dann kam die Maschinerie ins Rollen." Boll, der gegen Jike in diesem Jahr in Qatar gewonnen sowie in Dortmund und Peking klar verloren hatte, musste mit nur noch 5, 3, 3 und 9 Punkten in den weiteren Sätzen die Überlegenheit des Kontrahenten anerkennen. Das Bild von der "Maschinerie" aber passt. Chinas Topleute spielen in ihren besten Momenten mit sagenhaftem Tempo und fast unmenschlicher Präzision. Diese Qualitätsstufe muss Boll noch erklimmen. "Ich muss weiter einen Rückstand aufholen auf die Chinesen."

Die Frage bleibt, ob er das noch schafft. "Timo ist bloß ein Mensch, er atmet und hat Gefühle", hatte Manager Andreas Preuß von Bolls Klub Borussia Düsseldorf vor der WM gesagt und davor warnen wollen, von Boll zu viel zu verlangen. Bolls Problem ist, dass man über die besten Chinesen manchmal glauben möchte, sie seien keine Menschen, atmeten nicht und hätten keine Gefühle. Sie treffen jeden Ball wie Roboter und sind praktisch unbesiegbar - jedenfalls für Nichtchinesen. Nur Boll hat in Rotterdam einen von ihnen besiegt, die anderen sechs schalteten einander intern aus. "Es war klar, dass sie sich gegenseitig eliminieren", erklärte Bundestrainer Jörg Roßkopf all jenen, die befürchtet hatten, im Finale könnten sieben Chinesen Rundlauf spielen. Im Männerfinale standen mit Wang Hao und Zhang Jike nur zwei Chinesen, in den anderen vier Endspielen allerdings weitere: Im Frauen-Einzel und -Doppel, im Männerdoppel und im Mixed - überall nur chinesische Finalisten, wie 2007 und 2009.

Als Boll gegen Zhang Jike verloren hatte, gab er dem chinesischen Fernsehen ein Interview. Die Chinesen verehren Boll sehr, aber er musste auch ihnen am Sonntag gestehen, dass sein Rückstand zum weltbesten Tischtennis noch immer groß ist. "Ich brauche einen absoluten Sahnetag, um sie zu besiegen", sagte Boll, "und ich habe Möglichkeiten, wenn sie nicht an ihrem Limit spielen." Am Sonntag war beides nicht der Fall. Ein paar Sätze Chinesisch sollte Boll am Ende noch in die Kamera sagen, aber er lächelte und wies die Bitte höflich zurück.

An seinem Chinesisch will er weiter arbeiten, an seinem Spiel auch. Zur Verbesserung von beidem spielt er im Sommer für ein paar Wochen in der chinesischen Liga mit. Boll gibt nicht auf. Er ist ein Sisyphus des Tischtennis und sieht seine Karriere-Aufgabe auch darin, weiter zu den Chinesen aufzuschließen. Mit seinen 30 Jahren will er das mehr als je zuvor.Ulrich Hartmann

© SZ vom 16.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: