Tischtennis:"Das Risiko ist zu hoch"

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Auch Dimitrij Ovtcharov lässt die WM in China lieber aus. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Wegen strikter Corona-Restriktionen verzichten Topspieler wie Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov auf die Team-Weltmeisterschaft in China. Deutschland schickt eine junge Mannschaft um Europameister Dang Qiu, Österreich reist gar nicht an.

Von Ulrich Hartmann

Die Reise zum Mittelpunkt der Tischtenniswelt ist ein Abenteuer voller Gefahren. Ein- und Auslass ist ausschließlich an zwei festen Tagen möglich. Wer früher wieder raus will, muss eine Woche in Quarantäne; noch länger darbt, wer sich mit Corona ansteckt. Auch diese Gefahren haben vier der derzeit fünf besten Tischtennisspieler Deutschlands dazu bewogen, nicht an der Mannschaftsweltmeisterschaft im chinesischen Chengdu teilzunehmen.

Der Weltverband listet unter seinen besten Spielern derzeit Dimitrij Ovtcharov auf Platz zehn, Patrick Franziska auf 13, Timo Boll auf 15 und Ruwen Filus auf 21. Mit ihnen in Bestform könnte man den dominanten Chinesen gefährlich werden, doch weil die Familienväter Ovtcharov und Boll nach Verletzungen ohnehin noch nicht wieder in bester Konstitution sind und weil Franziska und Filus auch aus familiären Gründen nicht im fernen China festsitzen wollen würden, werden alle vier von diesem Freitag an nicht dabei sein.

Der Österreichische Tischtennis-Verband verzichtet sogar komplett darauf, eine Frauen- und eine Männermannschaft zur WM zu schicken. "Das Risiko ist zu hoch", sagt der Verbandspräsident Wolfgang Gotschke und kritisiert: "Wir wissen nicht, wie ein möglicherweise mit Corona infizierter Spieler aus China wieder zurückkommen soll, dafür bietet der Veranstalter keine Lösungen an."

Der deutsche Sportdirektor stellt klar: "Wir vollziehen damit bei den Herren noch keinen Generationswechsel"

Beim Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) indes haben sie Spieler in der zweiten Reihe, die sich freuen, mal international im Rampenlicht zu stehen. Der Einzel-Europameister von München, Dang Qiu (Weltranglisten-Neunter), Benedikt Duda (Nr. 36) und Ricardo Walther (Nr. 74) bilden eine immerhin konkurrenzfähige Mannschaft. Und noch einen WM-Grund gibt es für ein deutsches Quintett: Für Qiu, in Nürtingen geborener Sohn chinesischer Eltern, für Fan Bo Meng, in Würzburg geborener Sohn chinesischer Eltern, für Kay Stumper, Sohn einer chinesischen Mutter, sowie für die in China geborenen Han Ying und Shan Xiaona ist es die erste WM in China und also aus familiären Gründen etwas ganz Besonderes.

Boll und Ovtcharov lassen die Team-WM aus, also führt Europameister Dang Qiu (im Bild) das deutsche Team an. (Foto: Marius Becker/dpa)

"Wir haben lange diskutiert und uns die Entscheidung nicht leicht gemacht", sagt Sportdirektor Richard Prause über den Verzicht auf die Topspieler. Boll und Ovtcharov waren vor der EM in München lange verletzt und Franziska ist kürzlich erstmals Vater geworden. Alle drei sollen während ihrer WM-Pause Form aufbauen; danach könnten sie bei zwei hochdotierten World-Table-Tennis-Turnieren Punkte für die Weltrangliste und damit fürs wichtige Olympia-Ranking sammeln. Für Mitte Oktober ist ein mit 800 000 Dollar dotiertes Turnier in Macau geplant, Ende Oktober sollen in Xinxiang die mit einer Million Dollar dotierten WTT-Finals ausgespielt werden. Bei der Team-WM dagegen werden erstmals keine Punkte für die Einzel-Weltrangliste vergeben.

"Auch mit dem langfristigen Blick auf die Olympischen Spiele muss man die Belastung dosieren", sagt Bundestrainer Jörg Roßkopf: "Timo laboriert noch immer leicht an seiner Verletzung, Dima war lange verletzt und Patrick hatte, weil er Papa geworden ist, weniger trainiert. Außerdem muss man der nachfolgenden Generation früh Verantwortung übertragen, denn sie muss lernen, mit Drucksituationen umzugehen." Sportdirektor Prause stellt aber klar: "Wir vollziehen damit bei den Herren noch keinen Generationswechsel, sondern nehmen die junge Generation schon einmal in die Pflicht. Ähnlich wie im vergangenen Jahr bei der EM, als die Damen und die Herren ohne fünf der sechs Olympiastars jeweils Gold gewannen und wichtige Erfahrungen sammelten."

Für die Spielerinnen und Spieler, die anreisen, läuft die WM unter strikten Bedingungen ab. Mit der Ankunft sämtlicher Teilnehmer am Flughafen in Chengdu am vergangenen Montag hat der 'Closed Loop' begonnen - eine geschlossene Gesellschaft. Dadurch blieb allen die eigentlich obligatorische Quarantäne erspart. Alle Athleten sind in einem abgegrenzten Hotelkomplex untergebracht. Dort können sie sich frei bewegen, auch in einer Außenanlage. Täglich wird ein PCR-Test durchgeführt.

Am 10. Oktober reisen sämtliche Spielerinnen und Spieler wieder ab. Die deutsche Delegation fliegt per Charterflug zunächst von Chengdu nach Singapur und von dort heim nach Deutschland. Diese Flüge sind fest terminiert, auch für den Fall, dass beide Mannschaften deutlich früher ausscheiden. Prause findet immerhin: "Wir können uns bei dieser WM relativ frei bewegen, und damit ähnelt die Situation jener bei einer normalen WM, denn auch dort wäre gar keine Gelegenheit, die Gegend oder die Stadt zu erkunden."

Und sportlich? "Am Traum, Weltmeister zu werden, ändert sich gar nichts", sagt Roßkopf: "Wir visieren eine Medaille an, und wenn man erst mal in diesem Bereich ist, geht sowieso alles." Auch Frauen-Bundestrainerin Tamara Boroš sähe ihre Spielerinnen gerne im Kampf um eine Medaille mitmischen. Petrissa Solja sei zwar leider verletzt, "aber mit Han Ying, Shan Xiaona, Nina Mittelham, Sabine Winter und unserem Talent Annett Kaufmann haben wir ein gutes Team", sagt Boroš: "Wir sind an fünf gesetzt, daher ist das Viertelfinale unser erstes Ziel."

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