Tischtennis:Geisterspiele gegen die Vergangenheit

Lesezeit: 3 min

Quarantäne statt Europameisterschaft: Vladimir Sidorenko blieb der sportiche Erfolg in Kroatien verwehrt. (Foto: Michael Bermel/Eibner/imago)

Zum Start in die Tischtennis-Bundesliga muss Neu-Ulms Talent Vladimir Sidorenko gegen Bergneustadt gleich seine Robustheit beweisen - in einem Team, das vorrangig aus hoch veranlagten Nachwuchskräften besteht.

Von Andreas Liebmann

14 Tage faulenzen in Kroatien, es gibt schlimmere Arten, einen Sommer zu verbringen. Anzusehen ist Vladimir Sidorenko diese schöpferische Pause allerdings nicht, zumindest ist der 19-Jährige alles andere als braungebrannt, wie sein Klubchef Florian Ebner vom TTC Neu-Ulm kürzlich feststellte. Kein Wunder: Sidorenko durfte sein Hotelzimmer in jenen 14 Tagen nicht verlassen. Er saß in Quarantäne fest. Und ganz sicher hatte er sich seinen Sommer nicht nur aus diesem Grund anders vorgestellt.

Für Sidorenko beginnt an diesem Samstag (19 Uhr) die neue Tischtennis-Erstligasaison mit einem Heimspiel gegen den TTC Schwalbe Bergneustadt. Allerdings muss man wohl darauf hoffen, dass Ebner Recht hat damit, dem Teenager eine robuste Mentalität zuzuschreiben, denn gleich zum Ligastart wird er den Geistern seiner jüngsten Vergangenheit über den Weg laufen.

Es fängt an damit, dass Bergneustadt den Spanier Alvaro Robles mitbringen dürfte, und das wird Sidorenko ganz sicher daran erinnern, warum er eigentlich nicht an den Olympischen Spielen in Tokio teilnahm. Ende April hatte er im Finale des europäischen Qualifikationsturniers in Guimaraes (Portugal) nämlich Matchbälle gegen Robles: zwei bei 10:8-Führung im siebten Satz, danach drei weitere - dann setzte sich doch der 30-jährige Robles durch, 15:17. Das war es mit dem Olympiaticket.

Teamkollege Kay Stumper hat sich an Sidorenkos Stelle den U19-EM-Titel geschnappt

Und dann gab es da noch die Jugend-Europameisterschaften, eigentlich ein idealer Trostpreis. 2020 hatte Sidorenko den Titel in der Altersklasse U21 gewonnen, nun hätte er ihn sich in der U19 holen können. Doch dann wurde ein russischer Teamkollege positiv auf das Coronavirus getestet - und Sidorenko musste trotz negativen eigenen Tests zwei Wochen lang in Isolation. "So lange allein in einem viereckigen Raum, ohne Training, nur ein bisschen was für Rücken- und Bauchmuskulatur machen, das war schon hart", sagt sein Trainer Dmitrij Mazunov. "Es wäre seine letzte Jugend-EM gewesen. Klar war er geknickt, aber das bringt nichts, das muss er jetzt beiseite schieben, je schneller, desto besser."

Zumal es sich nicht vermeiden lässt, dass Vladimir Sidorenko auch dem neuen U19-Europameister nun häufig über den Weg laufen wird - denn er spielt mit ihm in derselben Mannschaft: Kay Stumper hat sich an Sidorenkos Stelle Ende Juli im kroatischen Varazdin den Titel geschnappt, den einst auch Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska eroberten. "Er hat das prima gemacht", lobt Mazunov den 18-Jährigen, "spielerisch und mental. Er hat im letzten Jahr viel investiert."

Aus Stumpers Erfolg ergibt sich nun eine kuriose Situation: Sidorenko hatte 2020 seinerseits die Nachfolge von Ioannis Sgouropoulos als mehrmaligem Jugend-Europameister angetreten - und der inzwischen 21-jährige Grieche trägt in dieser Saison ebenfalls das Trikot des TTC Neu-Ulm. Nimmt man noch den russischen Zugang Lev Katsman, 20, hinzu, der die EM im Doppel in der Jugend und zuletzt sogar bei den Männern gewann, weiß der TTC also kaum noch wohin mit all seinen jungen Europameistern. "Hört sich gut an", findet auch Trainer Mazunov, "aber wichtiger wird sein, dass alle als Einheit funktionieren." Auch Klubchef Ebner lässt sich natürlich nicht blenden. "Wir haben jetzt vielleicht vier der sechs talentiertesten Spieler dieses Alters in Europa, wir wissen aber auch, dass sie noch nicht im optimalen Tischtennis-Alter sind. Die Jungs werden jetzt nicht die Liga rocken." Und die gilt zumindest hinter Düsseldorf und Saarbrücken als noch ausgeglichener als im Vorjahr, der Ligaverbleib wird für kaum ein Team ein Selbstläufer.

Nebenbei hat Neu-Ulm auch eine Wildcard für die Champions League ergattert

Die Neu-Ulmer Heimspiele werden auch in dieser Saison in Pfaffenhofen an der Roth ausgetragen. Am Samstag sind nur 35 Prozent Zuschauerauslastung erlaubt, Ebner hofft, dass es bald mehr werden. Sgouropoulos, der eine Neue, hat vor seinem Debüt 15 Kilo Gewicht abgespeckt, der andere, Doppelspezialist Katsmann, rechtzeitig vor den richtungsweisenden Partien gegen Bergneustadt und am Mittwoch darauf in Bremen eine Covid-19-Infektion überstanden. Der TSV Bad Königshofen, zu dem Katsmans Standard-Doppelpartner Maksim Grebnev gewechselt ist, startet am Sonntag zu Hause gegen Ochsenhausen, am Mittwoch geht es in Mühlhausen weiter.

Der Portugiese Tiago Apolonia ist nun der letzte verbliebene Routinier im Neu-Ulmer Kader, eigentlich die Zuverlässigkeit in Person, doch so seltsam es klingt: Gerade ihn sieht Ebner als "größte Unbekannte". Denn Apolonia war sehr wohl in Tokio, wo er im Team-Wettbewerb Timo Boll unterlag. Ebner sieht es mit Sorge, dass es nun schon weitergeht, ohne Urlaub, ohne Regeneration. Sie werden Apolonias Erfahrung aber brauchen, zumindest in der TTBL. Nebenbei hat Neu-Ulm auch eine Wildcard für die Champions League ergattert, die soll aber eher der Wettkampfpraxis dienen - als Spielwiese für all die jungen Europameister.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: