Tischtennis:Deutliche Brustverbreiterung

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Setzt sich im Duell zweier Freunde durch: Lev Katsmann vom TTC Neu-Ulm in der Partie gegen Maksim Grebnev. (Foto: Andreas Liebmann)

Internationale Erfolge haben dem jungen Team des TTC Neu-Ulm auch für die Liga einen Schub gegeben. Im bayerischen Derby bekommt das der TSV Bad Königshofen zu spüren.

Von Andreas Liebmann

Wenn er schon keinen Einsatz hatte, konnte er sich wenigstens nützlich machen. Also sprang Vladimir Sidorenko auf, stieg die Tribüne empor, schlängelte sich durch die Zuschauer, verschwand in der Kabine und kehrte nach einigen Augenblicken zufrieden mit seinem Fundstück zurück. Das bayerische Derby in der Tischtennis-Bundesliga zwischen dem TTC Neu-Ulm und dem TSV Bad Königshofen hatte sein erstes Kuriosum.

Kurz zuvor war Sidorenkos Neu-Ulmer Teamkollege Lev Katsmann mit dem Schläger an der Tischkante hängen geblieben, was eine tiefe Furche in seinen Vorhandbelag riss. Sidorenko, an diesem Tag nur Ersatzmann, brachte dem Teamkollegen also dessen Zweitschläger. Und wahrscheinlich hatte es etwas mit der dicken Freundschaft der beiden zu tun, dass Katsman seinen Konkurrenten Maksim Grebnev nun nicht triumphierend angrinste mit diesem Prunkstück in der Hand. Denn Grebnev hätte wohl einiges dafür gegeben, hätte auch ihm jemand einen Zweitschläger herbeizaubern können. Sein Wettkampfracket war zuvor nämlich durch die Kontrolle des Schiedsgerichts gefallen, der Belag war um eine Winzigkeit dicker als erlaubt.

Weil Grebnev aber keinen Ersatz dabeihatte, musste er sich den ungewohnten Schläger seines Teamkollegen Bastian Steger ausleihen - der schnelle 1:6-Rückstand zu Spielbeginn ließ ahnen, welches Handicap Grebnev sich mit diesem Fauxpas eingehandelt hate. Ausgerechnet an diesem Tag, an dem ihn sein Trainer Koji Itagaki überraschend als Nummer eins aufgestellt hatte. Ausgerechnet gegen Neu-Ulm, wo er Teil der Trainingsgruppe ist. Ausgerechnet gegen seinen Freund Katsman, mit dem er zweimal in der Jugend und einmal bei den Erwachsenen Doppel-Europameister wurde - eher er vor Kurzem mit Sidorenko auch noch die Jugend-WM gewann.

Stoisch wartet Sgouropoulos, bis sein Gegner überdreht - so gelingt ihm der erste Saisonsieg

Es war eines dieser Puzzleteile, die aus einem Wettstreit zweier bis dahin punkgleicher Teams um den fünften Platz letztlich eine auf dem Papier einseitige Sache machten: Mit 3:0 setzte sich der TTC Neu-Ulm am Donnerstag durch, die Gäste waren entsprechend bedient.

Dass das Derby genauso gut anders herum hätte ausgehen können, war danach allen Beteiligten bewusst. Das begann damit, dass Bad Königshofens Filip Zeljko im ersten Einzel eine 2:0-Satzführung gegen Ioannis Sgouropoulos und beim 10:8 im vierten Satz Matchbälle vergab. Zeljko war mal wieder heiß gelaufen, pushte sich, brüllte, monierte aber auch immer wieder die Aufschläge seines Gegenübers, die er für nicht regelkonform hielt. Und Sgouropoulos? Gab keinen Mucks von sich. 0:4 lautete seine bisherige Saisonbilanz in der Liga, und hätte er die Matchbälle nicht mit starken Aufschlägen abgewehrt, man hätte danach vermutlich gemeint, der junge Grieche hätte sich mal wieder in sein Schicksal ergeben gegen den entfesselt wirkenden Zeljko. "Er ist einfach ein anderer Typ", erklärte Neu-Ulms Trainer Dmitrij Mazunow später, "aber er kämpft trotzdem um jeden Ball." Sgouropoulos ist vor wenigen Wochen U21-Europameister geworden, nun verfolgte er stoisch, wie sein Gegner im fünften Satz überdrehte und letztlich 1:11 unterging - für den Neu-Ulmer war es der erste Saisonsieg.

Als jüngstes TTBL-Team war der TSV Bad Königshofen einst unterwegs. Inzwischen ist Neu-Ulms Mannschaft jünger

Katsman, 20, machte dann gleich die ersten drei Punkte nach seinem Schlägerwechsel, wie um zu verdeutlichen, dass er durch das kleine Malheur keinen Nachteil hatte. Grebnev, 19, biss sich zwar hinein in diese Partie, aber es reichte nicht: 11:7, 12:10, 8:11, 11:9 setzte sich Katsman durch. Beide Trainer hatten mit ihrer Aufstellung zu überraschen versucht, so ergab es sich, dass nach dem Duell der Youngster die Routiniers aufeinandertrafen, Tiago Apolonia, 35, und Bastian Steger, 40. Beide an Position drei, obwohl sie eigentlich die Spitzenspieler ihrer Teams sind. Auch hier sah Steger schon wie der Sieger aus, ehe ihn eine eigene Auszeit bei 7:5-Führung im fünften Satz aus dem Tritt brachte.

Draußen in der Kälte stand der Mannschaftsbus des TSV Bad Königshofen und er bot Passanten einen Blick in die Vergangenheit. Ein Foto zeigt die Mannschaft im Schwimmbad, Mizuki Oikawa und Darko Jorgic sind noch dabei. "Deutschlands jüngstes TTBL-Bundesligateam on Tour", steht auf der Seitenscheibe. So hatten sie sich damals in die Liga emporgekämpft, als junge Wilde. Der TTC Neu-Ulm kam später dazu. Aktuell ist er jünger. Ganz banal per Wildcard hatte Klubchef Florian Ebner 2019 die Ligazugehörigkeit organisiert, und auf exakt demselben Weg hatte sich der TTC in dieser Saison auch seinen ersten Champions-League-Startplatz ergattert - zur Wettkampfpraxis für die Jungen, wie es hieß. Inzwischen stehen sie dort im Viertelfinale, und das zahlt sich gerade doppelt aus. Bei den internationalen Auftritten, in denen es wenig zu verlieren gab, setzten sich Sidorenko, Katsman, Sgouropoulos und Kay Stumper in zwei Gruppenphasen durch und sammelten Selbstvertrauen - was ihnen nun auch in der hochkarätigen Bundesliga hilft. "Mit so einem Kreuz sind sie zurückgekommen", stellte Ebner zufrieden fest und breitete die Arme aus. Bei seinem Einstieg hatte der Verleger sicher auf etwas mehr Publikum gehofft, die Pandemie machte alles noch komplizierter. Am Sonntag geht es für beide Teams auswärts weiter. Aber im Januar, da werden die Neu-Ulmer in ihrer Halle in Pfaffenhofen erstmals ein Champions-League-Heimspiel präsentieren. Und ihr Kreuz ist seit Donnerstag noch breiter.

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