Tennisspieler Sebastian Ofner:Falco mischt Wimbledon auf

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Ziemlich surreal: Sebastian Ofner steht in Wimbledon in der dritten Runde. (Foto: imago/GEPA pictures)
  • Der Österreicher Sebastian Ofner ist Nummer 217 der Weltrangliste und hatte vor Turnierbeginn noch nie ein Match im Hauptfeld der ATP-Tour gewonnen.
  • Nun schlägt er Jack Sock in fünf Sätzen und steht in der dritten Runde von Wimbledon.
  • Dort trifft er auf Alexander Zverev - und hat womöglich sogar eine Chance.

Von Matthias Schmid, London

Als Sebastian Ofner am späten Donnerstagabend Platz sechs auf der Anlage in Wimbledon verlässt, leiten ihn die Sicherheitsleute durch die Menschenmassen. Aber voran kommt der Spieler nicht. Plötzlich wollen sich wildfremde Menschen mit ihm fotografieren lassen, sie halten ihm irgendein Utensil hin, auf das er seine Unterschrift kritzeln soll. "Wahnsinn", sagt der Tennisspieler aus Österreich zu einem Freund, der neben ihm läuft. "Ich kann das gar nicht glauben."

Der 21-Jährige aus Bruck an der Mur in der Steiermark wird noch eine Weile brauchen, um begreifen zu können, was in den vergangenen Tagen in London passiert ist. Ofner hatte vor Turnierbeginn noch nie ein Match im Hauptfeld auf der ATP-Profitour gewonnen, er hatte noch nie an einem der vier großen Grand-Slam-Turniere teilgenommen, er hatte noch nie auf Gras gespielt - und nun steht er nach seinem Fünfsatzerfolg gegen den Weltranglisten-18. Jack Sock plötzlich in der dritten Runde von Wimbledon.

Vier Mal das Hotel gewechselt

Vor seinem ersten Match in der Qualifikation trainierte Ofner gerade einmal zwei Stunden auf dem schnellen Untergrund. Dann besiegte die Nummer 217 der Welt nacheinander Spieler, die viel höher in der Rangliste platziert sind als er. "Ich hatte selbst angenommen, dass ich hier ein Match spiele und wieder nach Hause fliege", erzählt der Österreicher am Donnerstagabend perplex. Deshalb hatte Ofner auch seinen Heimflug schon wieder am Tag nach dem ersten Qualifikationsmatch gebucht. Doch statt einer Partie kamen vier weitere hinzu, inklusive zwei im erlesenen Hauptfeld der besten 128 Spieler. Am Samstag kämpft er nun um den Einzug ins Achtelfinale. Ofner hat offenbar ein besonderes Gespür für Gras.

Den Rückflug hat Ofner inzwischen auf unbestimmte Zeit verschoben, er hat zum vierten Mal das Hotel gewechselt. Seine Kleidung für das Hauptfeld musste er sich erst einmal selber kaufen, da er keinen Sponsor hat. Im Wimbledon-Fanshop suchte er sich weiße T-Shirts, Hosen und eine Trainingsjacke aus. Gezahlt hat er mit einem Gutschein über 250 Pfund, den er von den Veranstaltern ausgehändigt bekam. Zwei Paar Rasenschuhe bekam er von einem Ausrüster geschenkt. "Ich habe jetzt zwei Tennisdress für ein Match, damit ich auch mal mein T-Shirt wechseln kann", sagt er.

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Nach dem Sieg gegen Sock sitzt Ofner in dem kleinen Interviewraum und muss erstmals in seiner Karriere auch Fragen auf Englisch beantworten. Er spricht ruhig und leise. "Ich habe das alles selbst nicht für möglich gehalten", sagt er. Gegner am Samstag in der dritten Runde ist der derzeit wohl beste Nachwuchsspieler der Tour, Alexander Zverev. "Er ist ein Top-Ten-Spieler", schwärmt Ofner und klingt wie ein Fan, der im Preisausschreiben eine Trainingseinheit mit seinem Vorbild gewonnen hat.

Doch er ist gegen Zverev keineswegs chancenlos. Ofner spielt ein aufregendes Tennis, er bringt alles mit, was einen guten Rasenspieler ausmacht. Sein Aufschlag und seine Vorhand sind seine besten Schläge. Aber auch mit der Rückhand kann er von der Grundlinie direkt punkten, weil er sie schnell und flach zu spielen vermag. Gegen Sock gewann er zunächst die ersten beiden Sätze, ehe sich mehr Fehler einschlichen. Doch als es am Ende darauf ankam, war nicht der Favorit stärker, sondern der krasse Außenseiter aus Österreich. Er bliebt in den entscheidenden Momenten ruhig und agierte mit viel Selbstvertrauen. "Sebastian war im Kopf schon immer sehr stark", erzählt seine Mutter. Die Eltern sind spontan nach London gereist, um ihren Sohn auf dem Platz zuschauen zu können. Auch sie hatten schon einen Heimflug festgelegt und buchen nun noch einmal um.

Ofner war nie ein Überflieger in Österreich wie der Weltranglisten-Achte Dominic Thiem. Er war zu dünn und zu schmächtig, viel kleiner als seine gleichaltrigen Kollegen. Mit 15 Jahren war er nicht einmal 1,60 Meter groß. Erst spät hat er angefangen zu wachsen. "Ich bin mit 20 noch größer geworden", sagt Ofner. Mittlerweile misst er 1,91 Meter.

Mit 19 Jahren, nach der Matura, beschloss Ofner, sich voll und ganz dem Tennis zu widmen. Er trat in das Bundesheer ein und begann in der Akademie von Günter Bresnik in der Wiener Südstadt zu trainieren. Sein Coach dort ist der Vater von Thiem.

"Ich finde den Spitzennamen nicht tragisch"

Warum er plötzlich so eine Leistungsexplosion erlebt, kann er allerdings selbst nicht erklären. Er schüttelt nach dem Erfolg gegen Sock immer wieder ungläubig den Kopf und zieht die Schultern hoch. Durch seinen Einzug in die dritte Runde hat er nun auch ein paar Sorgen weniger. 90 000 Pfund, etwa 116 500 Euro, hat er jetzt schon sicher. Und es könnte ja noch ein paar Euro dazukommen.

Im vergangenen Jahr schaute Ofner Wimbledon am Fernseher an, während er irgendwo in Österreich ein Turnier der untersten Profikategorie spielte. Ein Jahr später nun wird er schon mit prominenten Österreichern verglichen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Falco lässt sich nicht leugnen. Die dunklen Haare hat Ofner wie der Musiker mit viel Gel nach hinten gekämmt. "Ich finde den Spitzennamen nicht tragisch", sagt Ofner und lacht. Auf einen anderen Vergleich ist er sogar ein wenig stolz: Ofner hat mehr Spiele auf Gras gewonnen als jeder andere Spieler aus der Steiermark. Also auch mehr als der ehemalige Weltranglistenerste Thomas Muster, der alle seine Matches in Wimbledon verlor und weiland meinte: Gras sei nur etwas für Kühe. Ofner sieht das inzwischen ganz anders.

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