Tennis:Wider das Filzballtrauma

Lesezeit: 3 Min.

Andy Murray wurde unbescheiden im Achtelfinale von Wimbledon erwartet. Johanna Konta nährt im Frauen-Wettbewerb die Hoffnung der Briten, in London könnte diesmal ein 40 Jahre währendes Leid beendet werden.

Von Barbara Klimke, London

Jahr um Jahr hat Andy Murray als einziger Brite die Erwartungen einer Tennisnation mit einem kleinen Seufzer auf den Schultern getragen. Diesmal ist er froh, wenn er die Bürde in der zweiten Wimbledon-Woche teilen kann. Es sei sehr schön, noch einige seiner Kollegen im Geschäft zu wissen, sagte der schottische Titelverteidiger, als er, wie üblich, zu den Aussichten seiner Landleute Stellung nehmen sollte. Nicht, dass das an seiner eigenen Vorbereitung auf das Achtelfinale am Montag gegen den Franzosen Benoît Paire das Geringste ändern würde. "Aber vielleicht wird es ja mal ruhiger um mich", sagte Murray. "Das ist immerhin möglich."

Undenkbar ist es in der Tat nicht. Denn fest steht schon jetzt, dass Britannien einen fantastischen Sommer erlebt. Seit einer Woche ist keine Regenwolke mehr über den Centre Court gezogen. Die Zuschauer holen die Strandkleidchen und bedruckten Shorts aus dem Schrank, mit denen sie sich sonst nur an die Costa Brava wagen. Und in Wimbledon schlagen sich die heimischen Profis so wacker, dass die Zeitung Sunday Times rät, die Wimpelkette vom Dachboden zu holen und für eine Tennisparty abzustauben.

England hält den Atem an: Hat Johanna Konta das Zeug, als erste Engländerin seit 1977 (Virgina Wade) das Wimbledon-Turnier zu gewinnen? (Foto: John Walton/dpa)

Andy Murrays Einzug in die Runde der letzten Sechzehn war zu erwarten. In dieser Hinsicht ist das heimische Publikum recht anspruchsvoll geworden, seit der junge, damals noch eher schmächtige junge Mann aus Dunblane 2013 als Erster seit Fred Perry den Titel im All England Club gewann und das Mutterland des Rasentennis von einem 77 Jahre alten Filzballtrauma erlöste. Murray, mittlerweile 30, ist der Titelverteidiger an der Church Road und hat seit 2008 kein Achtelfinale im Wimbledon mehr verpasst. Fast lächerlich aber erschien noch vor Jahresfrist die Aussicht, dass ihm ausgerechnet Johanna Konta folgen könnte. Die 26-jährige britische Nummer eins, in Sydney geboren, lebt zwar in Eastbourne an der Südküste, einem Ort, der für seine hübsche Tennisanlage mit den gepflegten Rasenplätzen bekannt ist. Aber ihre Ausflüge nach Wimbledon endeten stets glücklos: Bis zu diesem wundersamen Sommer hatte sie in sechs Jahren nur drei Matches gewonnen. Nun wird sie von den Buchmachern sogar als Favoritin auf den Titelgewinn geführt.

Es wäre der erste Triumph für eine britische Tennisspielerin seit 1977, als die Queen, damals ganz in Pink, die große Silberschale an Virginia Wade im rosa Strickjäckchen überreichte, wie bis heute auf den leicht verblichenen Wandfotos im Klubgebäude zu sehen ist. "40 Jahre Leid", fassten Kommentatoren die Bilanz des britischen Frauentennis noch vor kurzem zusammen. Mittlerweile aber ist auch Andy Murray, der Weltranglisten-Erste, guten Mutes, dass die Kollegin die große Virgina Wade nachahmen könnte: "Johanna behält auch in brenzligen Situationen eine Ruhe, die mich beeindruckt", sagte er.

Murray hat das Warten hinter sich - aber er muss noch an seiner Konstitution büffeln, um seinen Titel zu verteidigen. (Foto: dpa)

Offenbar zahlt es sich aus, dass Konta seit einiger Zeit mit einem Mentaltrainer zusammenarbeitet, der ihr beibrachte, nicht in Panik zu verfallen, wenn ein paar Longline-Bälle in Serie jenseits der weißen Linien auf den Rasen krachen. In ihrem hart umkämpften, intensiven Zweitrundenmatch gegen die Kroatin Donna Vekic behielt Konta auf beeindruckende Weise bis zum Schluss die Nerven, als sie ihren Matchball erst im dritten Satz zum Stand von 10:8 verwandelte.

Schlägt Konta die Französin Garcia, ist sie die erste Britin im Viertelfinale seit 1984

Nach einem lockeren Sieg über die Griechin Maria Sakkari trifft Großbritanniens Beste, im Turnier an Nummer sechs gesetzt, nun auf die Französin Caroline Garcia. Gegen diese war sie zuletzt im Frühjahr in Indian Wells chancenlos, aber auch dieser Niederlage kann sie etwas Positives abgewinnen: "Das ist nur eine weitere Gelegenheit gegen einen Gegner anzutreten, der eine sehr Form hat. Ich finde, das ist eine gute Herausforderung für mich."

Sofern Johanna Konta auch dieses Match übersteht, wäre sie die erste Britin in einem Wimbledon-Viertelfinale seit Jo Durie 1984. Aber falls das nicht gelingt, hat Britannien in diesem Wundersommer durchaus weitere Chancen. Denn auch im Mixed-Wettbewerb bahnt sich Triumphales an: Jamie Murray, der Bruder von Andy, hat sich mit der ehemaligen Schweizer Weltklassespielerin Martina Hingis zusammengetan. Sie siegten prompt im ersten Match 6:3 und 6:0, obwohl sie vorher nur ein halbes Stündchen miteinander Bälle geschlagen hatten. Jamie Murray, vor Jahresfrist die Nummer Eins der Doppelweltrangliste, ist im Männerwettbewerb mit Partner Bruno Soares schon gescheitert. Hingis aber stachelt ihn zu Großem an.

SZ-Grafik; Quelle: Wimbledon (Foto: N/A)

Und auch in der traditionsreichen Doppelkonkurrenz, die in Wimbledon wie das Frauen-Einzel schon seit 1884 ausgetragen wird, dürfen die Briten weiter jubeln: Der Publikumsliebling Marcus Willis, der im vergangenen Jahr den All England Club als Qualifikant verzückte, ist mit neuem Partner Jay Clarke angetreten. Und gemeinsam haben sie die Favoriten Mahut/Hebert aus Frankreich aus dem Turnier gekegelt. Es könnte eine unterhaltsame Rasenparty in der zweiten Wimbledon-Woche geben: Die Wimpel aufzuhängen und die Gläser mit Pim kaltzustellen, ist in diesem Inselwundersommer nicht verkehrt.

© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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