Tennis:Vor dem heiligen Hirscher

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Dominic Thiem wird in seiner Heimat Österreich frenetisch bejubelt. Doch beim Turnier in Wien muss er nun den Spagat zwischen Profi und Lokalheld bewältigen.

Von Gerald Kleffmann, Wien

Andrej Rublew hatte Mitleid verdient. Als er einen Volley ins Netz gestochen hatte, klatschte das Publikum. Dann traf er die Filzkugel mit dem Rahmen, der Ball knallte gegen das Hallendach: tosender Applaus. Und einmal ließ er per Videobeweis prüfen, ob ein Ball des Gegners vielleicht im Aus gelandet war. Die Wiederholung zeigte: Linie. Volksfeststimmung! Als der Russe, 20, mit dem Beatles-Bob schließlich verloren hatte, folgte der drehbuchreife Abspann. Während Rainhard Fendrich vom Band "Ei äääm from Ooostria!" schmachtete, hielten manche rot-weiß-rote Fahnen hoch. Scheinwerferlichter blitzten hin und her. Das Gefühl drängte sich auf: Großes hat stattgefunden. Und aus hiesiger Sicht war das wohl auch so.

Ein ganz besonderer Österreicher hatte gewonnen.

Dominic Thiem war es, der Rublew besiegte, 6:4, 6:3. Zwar nicht im Finale von Wimbledon, dafür in der ersten Runde des ATP-Turniers "Erste Bank Open 500" in der Wiener Stadthalle. Damit ist schon viel erzählt. Keine Ahnung, wie das wird, sollte der 24 Jahre alte Profi erstmals die Veranstaltung gewinnen. Aber fest steht: Um ihn, den freundlichen Mann aus Wiener Neustadt, dreht sich sehr, sehr viel.

Mit jedem Punkt wird es lauter: Dominic Thiem aus Wiener Neustadt hat seine Anhänger in Wien zum Turnierauftakt entzückt. Foto: HANS PUNZ/afp (Foto: Hans Punz/AFP)

Er ist der Local Hero. Grundsätzlich ergibt diese Spezies in jeder Nation eine spezielle Geschichte. Aber hier ist Österreich. Das Land, in dem man Sachen sagt wie "narrisch" und "da wirst du deppert". Es ist ein leidenschaftliches Land. Der Dienstagabend, als Thiem seinen ersten Auftritt hatte, wurde vom Veranstalter Thiemstag genannt. Das wurde knallhart durchgezogen bei jeder Nennung. Müßig zu erwähnen, dass die Halle rappelvoll war. Einige wurden heimgeschickt. Keine Karten mehr.

Federer ist nicht zu haben, die Lösung lautet nun: "Dominic plus internationalem Star"

Nun ist es nicht so, dass Thiem 24 Stunden am Tag, wenn er in der Heimat ist, in Beschlag genommen wird. Er kann sich schon frei bewegen. Aber parallel zu seinem sportlichen Aufstieg - Mitte November nimmt er zum zweiten Mal hintereinander beim ATP Tour Final der besten acht Profis in London teil - hat er eben neue Dimensionen der Popularität erreicht. Der Mediendienst APA-DeFacto zählte in den vergangenen zwölf Monaten 5181 Printberichte zu Thiem. So viele wurden bei keinem anderen Österreicher hier registriert, nicht beim heiligen Marcel Hirscher, dem sechsmaligen Ski-Gesamtweltcupsieger (4321), nicht bei FC-Bayern-Fußballer David Alaba (4152), der zuletzt einen lukrativen Deal verlor. Eine Bank möchte jetzt mit einem anderen Gesicht werben: dem von Thiem. Bei der Sportlerwahl ist er unter den letzten fünf Kandidaten, klar. Er oder Hirscher, darauf wird es hinauslaufen.

"Österreich ist ein kleines Land, wenn jemand im Sport Erfolg hat, wollen die Menschen daran teilhaben", sagt Herwig Straka. Der Turnierdirektor spürt Thiems gestiegenen Wert aus eigener Perspektive: Dessen Antrittsgage erhöht sich jährlich. "Noch ist es nicht so, dass er allein die Veranstaltung trägt", sagt Straka, der auch Thomas Muster, den früheren Local Hero und French-Open-Sieger managt, "aber er ist auf dem Weg dorthin." Zeitgleich zu Wien findet das Turnier in Basel statt. Damit ist ausgeschlossen, dass Roger Federer kommt, der begehrteste Spieler. Straka versucht, die zweitbeste Lösung zu bieten: "Dominic plus internationalen Star". Diesmal ist das Alexander Zverev, 22, was auch passt: Der Deutsche und Thiem sind Kumpels. Und Sportler, die solche Geschichten hergeben, sind gute Sportler für Vermarkter. Thiem ist für Österreich ein Glücksfall. Nicht nur sportlich. Auch menschlich.

"Dominic ist ein authentischer Bursche", urteilt Günter Bresnik. Er ist der Erschaffer Thiems, er trainiert ihn, seit der ein Bub war. Früher hat er Boris Becker und Henri Leconte gecoacht. Sein lesenswertes Buch nannte er nicht: Die Bresnik-Methode. Er nannte es: Die Dominic-Thiem-Methode. Darin schildert er, wie systematisch er ihn aufgebaut hat. Das Verblüffende: Trotz Drills ist kein Kunstprodukt entstanden. Wenn Bresnik von Thiem schwärmt, zählt er zu Recht nicht erst dessen Erfolge auf, zweimal French-Open-Halbfinale, acht Turniersiege. "Der ist sympathisch, den wünscht man sich als Schwiegersohn", sagt Bresnik. Thiem nehme sich Zeit, für Interviews, Autogramme, mache nichts widerwillig, pflege Freundschaften. Ein amerikanischer Journalist beschrieb Thiem mal als Langweiler, der, obwohl in den Top Ten, keinen berühre. "Schnurzpiepegal", sagt Bresnik. Der Reporter war überdies wohl nie in Wien. Bei PR-Auftritten quetschen sich die Kinder vor Thiem. Alles bei ihm ist öffentliches Thema. Auch die neue Frisur natürlich.

Thiem selbst erfüllt "mit einer gewissen Leichtigkeit" seine Rolle, sagt Straka, "er ist von der Persönlichkeit ein Mann geworden". Thiem profitiert dabei vom Schutz anderer, Ziehvater Bresnik wirft sich vor ihn, Muster mahnt oft, die Erwartungshaltung sei manchmal zu hoch. Druck spürt Thiem trotzdem. Zuletzt hatte er zweimal früh verloren, in Asien. Umso erleichterter war er nach dem Sieg gegen Rublew. Der Jubel der Massen? Kollektive Erleichterung. Keine Krise beim Local Hero. Seit 2013 war Thiem nicht mehr im Viertelfinale in Wien. Sollte er den Franzosen Richard Gasquet am Donnerstag besiegen, dürfte Fendrich vom Band wieder seinen Einsatz haben.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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