Tennis:Von der Leine gelassen

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Der Champion und der heimliche Hausherr: Alexander Zverev begrüßt während seiner Siegesrede Barney, den Hund des Hauptsponsors. (Foto: Marius Becker/dpa)

Beim zweiwöchigen Kölner Turnier müssen die Veranstalter Rückschläge wegstecken. Das gelingt dank dem frei aufspielenden Alexander Zverev, der sich auf die Unterstützung seines großen Family&Friends-Anhangs verlassen kann.

Von Milan Pavlovic, Köln

"Halbzeit" gibt es im Tennis gewöhnlich nur bei den zweiwöchigen Grand-Slam-Turnieren. Im Corona-Herbst 2020 ist aber auch das anders. In Köln finden erstmals in der Geschichte der Männertour zwei Turniere hintereinander am selben Ort statt. Und egal, was nun in der "zweiten Halbzeit" passiert: Alexander Zverev geht mindestens mit einem Titel nach Hause. "Ich habe schon jetzt ein Turnier gewonnen", sagte er mit einem Lächeln, das man auch unter der unvermeidlichen Maske erkannte. "Lasst mich mal zwei Minuten freuen, und dann schauen wir weiter."

Auch die Veranstalter atmeten kurz durch. Selten hat man ein Turnier erlebt, bei dem auf den ersten Blick so viel schief- oder zumindest anders als geplant lief wie bei der Rückkehr des Profitennis nach Köln. Die Hiobsbotschaften für den Veranstalter, der so stolz war, die beiden Lizenzen kurzfristig an Land gezogen zu haben, rissen nicht ab. Zunächst musste die Zuschauerkapazität wegen der Corona-Pandemie von 6000 auf 999 reduziert werden. Im allerersten Match flog flugs die deutsche Nummer zwei raus, Jan-Lennard Struff schimpfte anschließend über den frisch präparierten Hartplatz als den "vielleicht langsamsten, auf dem ich je gespielt habe". Ihm folgten in viel zu rascher Folge der ehemalige Weltranglistenerste Andy Murray sowie der stets unterhaltsame Mischa Zverev, und irgendwie passte es, dass der vermeintliche Lokalmatador Oscar Otte nach seiner Zweitrundenniederlage verriet, dass er seit wenigen Wochen ("und erstmals in meinen 27 Jahren") kein Kölner mehr sei, sondern in Essen wohne.

Ernsthaft betroffen nahmen die Ausrichter am zweiten Turniertag zur Kenntnis, dass die Zahl der Zuschauer noch einmal gesenkt wurde, auf 250, da verzichtete man lieber ganz auf Besucher. Die Laune wurde bestimmt nicht besser durch ein widersprüchliches Grußwort der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die Verständnis für die Zuschauer-Entscheidung erwartete, andererseits dafür warb, die "Stadt zu entdecken": ein Besuch der Kölner Altstadt mit dem weltbekannten Dom und zwölf Romanischen Kirchen sei "möglich; unsere vielfältige Gastronomie und der lokale Einzelhandel stehen Ihnen - wenn auch eingeschränkt - offen. Ich ermuntere Sie: Nutzen Sie Ihren Aufenthalt in Köln". Die Spitzenspieler Stan Wawrinka und Gaël Monfils werden das nicht tun können, sie sagten für die zweite Kölner Woche ebenso verletzt ab wie Murray und der an Nummer drei gesetzte Spanier Roberto Bautista Agut, der beim ersten Versuch in Köln noch das Halbfinale erreicht hatte.

Und dennoch: Trotz aller Rückschläge wirkte es glaubwürdig, dass Turnierdirektorin Barbara Rittner und der nimmermüde Promoter Edwin Weindorfer nach dem ersten Finale ein positives Zwischenfazit zogen. Ihr Glück war, dass Alexander Zverev die ganze Woche mit guter Laune und noch besserem Tennis aufwertete. Das wiederum war möglich, weil alles getan wurde, damit er sich auch ohne Trips zu den zwölf Romanischen Kirchen heimisch fühlen konnte. Vater, Mutter, Bruder Mischa, dessen Frau und Kind, den Physiotherapeuten und zwei Hunde hatte der Familienmensch um sich, ungefähr 25 Leute umfasste sein Zirkel - er könne sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt von so viel Familie und Freunden umgeben gewesen sei, sagte Zverev. Es fehlte nicht viel, dann hätte er Barney adoptiert, den Struppi-artigen kleinen weißen Hund des Hauptsponsors, der zugleich die beste denkbare Werbefigur war, weil er auf den am Spielfeldrand drapierten Matratzen sehr fotogen schlief. "Wo ist der Hund?", fragte Zverev während seiner Siegesrede, "ich vermisse ihn" - und wartete, bis Barney von der Leine gelassen wurde und zu ihm trippelte.

Auch sportlich konnte Zverev hochzufrieden sein, er hatte sein bestes Tennis für das Finale aufgehoben, in dem der talentierte junge Gegner Félix Auger-Aliassime mit seinem hohen Tempo dem Deutschen paradoxerweise in den Schläger spielte. Erstmals in seiner Profikarriere hat Zverev damit drei Spiele hintereinander gegen Kontrahenten gewonnen, die aus seinem Jahrgang oder noch jünger sind. Wie ein großer Onkel, wenn nicht gar väterlich, tröstete er den 20-jährigen Kanadier, mit dem er in der Corona-Zwangspause zwei Monate lang oft in Monaco trainiert hatte: "Du wirst noch viele, sehr viele Turniere gewinnen." Das half ein bisschen, schließlich hatte Auger-Aliassime soeben auch das sechste Finale seiner Laufbahn verloren.

Zverev hatte seinerseits Spaß am Lob gefunden. Auch die riesige Kölner Halle wurde ausgiebig gewürdigt. "Warum geht das ATP-Finale von London nach Turin? Diese Arena ist doch viel schöner." Je weiter er in der "zweiten Halbzeit" kommt, desto häufiger kann er sie genießen. Sein zweites Kölner Turnier könnte dabei mit einem Kuriosum beginnen: mit einem Match gegen Fernando Verdasco, gegen den Zverev schon sein Auftaktmatch der ersten Woche bestritten hatte. Diese Art des Murmeltiertags gibt es bei einem Grand-Slam-Turnier wirklich nicht.

© SZ vom 20.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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