Tennis:Tiefenzerwühlt

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Sagt leise Servus: Die geschlagene Titelverteidigerin Angelique Kerber verabschiedet sich vom Publikum in Melbourne. (Foto: Thomas Peter/Reuters)

Titelverteidigerin Angelique Kerber ist bei den Australian Open in Melbourne auch daran gescheitert, dass sie nie jene Leichtigkeit und jenen Mut fand, der sie 2016 zu ihren großen Titeln geführt hatte.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Da saß also Serena Williams, tiefenentspannt, wie nur sie es sein kann, wenn sie gerade gewonnen hat, und hörte sich jede Frage konzentriert an. Es ging zunächst um ihren Achtelfinalsieg gegen die Tschechin Barbora Strycova an diesem Montag, klar, das 7:5, 6:4 verschaffte der 35-Jährigen ein bisschen Frieden. "Es war gut für mich, dass ich es geschafft habe, zu gewinnen, es war nicht mein bester Tag", sprach sie. Kurze Zeit später wurde sie um Auskunft gebeten, ob sie auch schockiert gewesen sei ob der Niederlagen von Andy Murray und Angelique Kerber tags zuvor; die neuen Weltranglisten-Ersten aus Schottland und Deutschland hatten überraschend die Achtelfinal-Hürde nicht nehmen können. Da antwortete Williams: "Yeah, Murray war ein Schock."

Das andere Match hatte sie nicht mehr gesehen, gab sie preis, da lag sie im Bett, "ich habe immer noch etwas Jetlag", verriet sie. Williams hatte dementsprechend nichts weiter zu Kerber zu sagen, außer: "Es waren einige interessante Wochen für Angie. Sie musste mit vielem umgehen. Ich denke, sie hat es geschafft, auf ihre bestmögliche Weise damit umzugehen." Länger hat Williams über ihren neuen Verlobten gesprochen und wie sie ihn in Italien kennengelernt hatte, in Rom: "I love Italy!", tirilierte sie.

Williams' Bewertung der heftigen 2:6, 3:6-Niederlage, die Kerber am Vorabend von der hyperselbstbewussten Coco Vandeweghe aus Kalifornien kassiert hatte, traf indes perfekt die Stimmung, die das Aus der inzwischen 29-Jährigen aus Kiel in Melbourne verursacht hatte. Vor einem Jahr hatte Kerber eine Eruption in der Welt des Tennissports ausgelöst, die am griffigsten die Herald Sun mit dem Titel "Ker-Boom" widerspiegelte. Diesmal? "Coco wirft Kerber raus", lautete die sehr nachrichtliche Überschrift in derselben Zeitung. Kein Foto von Kerber, nicht mal ein Zitat von ihr flankierte den Bericht. Auch in anderen Medien hielt sich die Aufarbeitung in Grenzen, aber schon das Ende ihres letzten Spiels war ja merkwürdig gewesen. Weil sich das Match zwischen Roger Federer und Kei Nishikori unter dem ständigen Jubel von 15 000 Zuschauern in der Rod Laver Arena in den fünften Satz gezogen hatte, kamen Kerber und Vandeweghe spät nachts auf den Platz. Nach 1:07 Stunden waren sie fertig, kurzer Jubel, zwei Pressekonferenzen, Abgang. Das war fast schon alles.

Dieser nüchterne Schluss passte so gar nicht zu den Schwingungen, mit denen Kerber in Melbourne, an den Ort ihres Durchbruchs, angereist war. Williams hatte das in ihren drei knappen Sätzen doch angedeutet: Die Branche hatte deutlich intensiver als noch vor ihrem ersten Grand-Slam-Titel auf Kerber geschaut. Erstmals überhaupt in ihrer Karriere ist sie ja als die Nummer eins bei einem Top-Turnier angetreten. "Das fühlt sich schon etwas anders an", das hatte Kerber bei jedem ihrer Auftritte betont.

Tiefenentspannt wie Serena Williams sah sie selten aus. Am Ende ist Kerber wohl auch an der Aufgabe gescheitert, jene Lockerheit, jene Leichtigkeit zu finden, die sie im Januar 2016 ausgestrahlt und die sie durch die zwei Wochen getragen hatte. "Es braucht seine Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen", sagte die 18-malige Grand-Slam-Siegerin Martina Navratilova in Melbourne. Sie nahm einerseits Kerber in Schutz: "Man erhält auf einmal noch mehr Aufmerksamkeit, und sie hat ja auch Serena Williams die Nummer eins abgenommen. Das war etwas Besonderes. Jetzt schaut man ihr eben genau über die Schulter. Du weißt ja nie, wie Menschen dann auf solche Situationen reagieren", sprach sie. Andererseits, so frei ist Navratilova immer noch, auch im runden Alter von 60: "Angie hat auf jeden Fall defensiver gespielt, als sie es hätte tun sollen."

Eigentum verpflichtet, heißt es. Im Tennis, das war Navratilovas Botschaft, heißt es: Die Nummer eins verpflichtet. "Du kannst nicht einfach deinen Platz nur verteidigen, du musst vorangehen und offensiver spielen. Gegen Vandeweghe hat sie sich viel zu weit hinter die Grundlinie fallen lassen", erklärte Navratilova, "und dann wurde sie vom Platz geschossen. Sie sollte aggressiver spielen."

Manchmal wirkt Kerber ein bisschen allein gelassen

Allerdings ist dafür Mut erforderlich, und genau der hatte Kerber oft gefehlt, selbst in den beiden ersten Runden hatte sie trotz komfortabler Führungen fragiler als gewohnt gewirkt und sich jeweils erst im dritten Satz gerettet. Weshalb sie gegen Vandeweghe chancenlos war? Kerber führte keine großen Ausflüchte an, die Vorbereitung hätte gestimmt, sie sei fit gewesen, ihr Team dasselbe, das sie so schätze und brauche. Verglichen mit Melbourne 2016 hatte sie allerdings auch eine neue Physiotherapeutin dabei sowie einen neuen Manager, der schon mal für sie gearbeitet hat. Aber er hielt sich ebenso im Hintergrund wie Torben Beltz, Kerbers kompetenter und loyaler Trainer, der vor einem Jahr noch stets Rede und Antwort stand. Das alles muss wenig bedeuten, aber in der Summe wirkte es so, als stünde Kerber bei ihrer Mission Titelverteidigung allein auf der Bühne. Sie wolle jetzt auch über all ihre Erfahrungen der letzten Wochen nachdenken, sagte Kerber.

Sollte Williams ihren siebten Titel in Melbourne am kommenden Samstag holen, wäre sie wieder ganz vorne platziert. Dazu sagte Kerber noch, die bereits am Montag nach Deutschland zurückflog: "Natürlich ist es schön, die Nummer eins zu sein. Aber das liegt ja nun eh nicht mehr in meinen Händen." Es klang, als sei sie froh, dass jetzt mal eine andere den Druck hat.

Bevor sie verschwand, wurde sie gefragt, ob sie nicht gerne wie nach ihrem Sieg 2016 in den Yarra River gesprungen wäre. "Das hatte ich diesmal gar nicht vor, es gab keine Wette", sagte sie. Diesmal war die Sache zu ernst.

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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