Tennis in Stuttgart:Die Rückkehr des Römers

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Aufschlaggewaltig: Matteo Berrettini beherrscht die Spieleröffnung im Tennis wie nur wenige. (Foto: Philippe Ruiz/Imago)

Matteo Berrettini gewinnt verdient das Rasenturnier in Stuttgart, profitiert aber auch von einer Verletzung seines Finalgegners Andy Murray - für Aufregung sorgt der Australier Nick Kyrgios.

Von Gerald Kleffmann, Stuttgart

Gerade erst hatten die Zuschauer energisch applaudiert, einige waren aufgestanden, es herrschte eine fast erlöste Atmosphäre. Andy Murray besaß zweifellos die Mehrheit der Sympathien, schon die ganze Woche über war das so. Schwaben, das weiß man jetzt, mögen Schotten, zumindest diesen leicht knorrigen Schotten aus Glasgow. Kurz hatte es nur wenige Minuten zuvor so ausgesehen, als könnte dieses Finale der Boss Open in Stuttgart bald vorbei sein. Drei Breakbälle beim Stand von 6:4, 4:4 hatte Matteo Berrettini, der auch viele Anhänger hinter sich wusste, doch Murray wehrte diese Chancen des Gegners ab. Und schnappte sich seinerseits das Aufschlagspiel zum 7:5. Dritter Satz. Die Sonne brannte auf den Killesberg herunter, es hatte den Anschein, als würde diese Partie, für Rasentennisverhältnisse, ein kleiner Marathon werden.

Doch dann ging es viel schneller als erwartet. Der Körper von Murray streikte. Er verlor vier Punkte in Serie, gleich zu Beginn, nahm eine Behandlungspause, verlor auch die nächsten vier Punkte. Immerhin kämpfte er weiter. Die Sonne stand nun tiefer, die herrlichen Bäume warfen Schatten, als Murray beim Stand von 2:4, 30:15 die nächste Pause erbat. An der Leiste hatte er Schmerzen, signalisierte er seinem Team.

Berrettini, der Wimbledon-Finalist des vergangenen Jahres, der nach einer Operation am kleinen rechten Finger Ende März erstmals wieder ein Turnier bestritt, transportierte den Vorteil des frühen Breaks durch den letzten Satz. Er gewann, nach einem zweiten Break, mit 6:4, 5:7, 6:3 nach 2:40 Stunden seinen sechsten Tour-Titel, überdies seinen zweiten in Stuttgart nach 2019.

Natürlich wurde der am Ende sichtlich angeschlagene Murray wie Berrettini begeistert gefeiert, tatsächlich hatten sich die beiden eindrucksvoll in Stuttgart präsentiert. In zwei Wochen beginnt das berühmte Turnier in Wimbledon, das Murray zweimal gewann. Sollte der 35-Jährige fit sein bis dahin, dürfte er wie der 26 Jahre alte Römer mit berechtigten Hoffnungen im All England Club antreten. Im Halbfinale hatte der aufschlaggewaltige Berrettini den Kölner Oscar Otte mit 7:6 (7), 7:6 (5) bezwungen, nun strahlte er: "Es ist unglaublich", sagte er, "so nach meiner ersten Operation in meinem Leben zurückzukommen." Murray, der erst sein zweites Rasenturnier außerhalb Englands bestritten hatte, tat ihm leid: "So möchte man nicht ein Match beenden." Die unbeschwerte Siegerehrung wurde dann kurz unterbrochen, nachdem ein Ballkind umgekippt war. Schon während des Matches musste eine Zuschauerin behandelt werden.

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Turbulent waren auch die Ereignisse am Vortag gewesen, indes ganz anderer Natur. Am Samstagabend hatten Menschen in Stuttgart den Notruf gewählt, aber in diese Angelegenheit zumindest war Nick Kyrgios nicht verwickelt. Rammstein, die Berufspyromanen, die nebenbei musizieren, hatten auf den Cannstatter Wasen wieder gezündelt, Rauchschwaden beunruhigten dann Anwohner, die sich an die Feuerwehr wandten, so berichteten es die Badischen Neuesten Nachrichten. Kyrgios freilich wäre nicht Kyrgios, hätte er nicht auch seinen Besuch im Schwabenland mit einem Knall beendet, wobei er zum Teil auch besonders in Schutz genommen werden muss. Der Australier, der Pyromane der Tennisbranche, hatte während der Halbfinal-Niederlage mal wieder gezetert, den Schläger zerbrochen und eine Punkt- sowie dann Spielstrafe kassiert, ehe er mit 6:7 (5), 2:6 gegen Murray verlor. Manche seiner Ausbrüche boten Unterhaltungswert, doch als der 27-Jährige aus Canberra später den Vorwurf erhob, er sei aus dem Publikum rassistisch beleidigt werden, hörte selbstredend der Spaß auf.

"Ich spiele dieses Spiel, um Menschen eine Show zu bieten", sagt Kyrgios

"Eine Sache, die ich niemals tolerieren werde, sind Zuschauer, die Athleten beschimpfen und beschimpfen. Es passiert mir persönlich schon seit einiger Zeit, von rassistischen Kommentaren bis hin zu völliger Respektlosigkeit", so schrieb Kyrgios in einer zweiten Nachricht auf Instagram. "Jahrelang habe ich das verdrängt, aber besonders in Indian Wells und heute in Stuttgart habe ich gemerkt, dass die Leute es für normal zu halten scheinen." In einer ersten Nachricht nach dem Match hatte er bereits geschrieben, was ihm jemand zugerufen haben soll. Ob die Formulierung "du kleines schwarzes Schaf, halt die Klappe und spiel" tatsächlich so fiel und von wem sie geäußert wurde, wird nun untersucht. In einer Stellungnahme distanzierte sich das Turnier entschieden von jeder Form von "diskriminierenden Aussagen seitens der Zuschauer" und betonte: "Wir haben Nick Kyrgios und seinem Team unser Bedauern zu den Vorkommnissen zum Ausdruck gebracht und ihm versichert, dass wir ein derartiges Verhalten nicht akzeptieren."

Zeter-König vom TC Weissenhof: Der Australier Nick Kyrgios bestätigt mal wieder seinen Ruf, ein Hitzkopf zu sein. (Foto: Julia Rahn/Baumann/Imago)

Kyrgios darf sich vorwerfen, die Partie regelrecht weggeworfen zu haben. "Der erste Satz war sehr intensiv", hatte Murray zurecht betont. Das lag auch an Kyrgios, der dem zweimaligen Wimbledon-Sieger ebenbürtig war. Aber dann ging es los, wie es oft bei Kyrgios losgeht: ein Ball an der Linie, ein versprungener Ball, sofort ist er auf 180. Ohne Pause redet er ohnehin ständig, was manchmal immerhin lustig ist. "Ich spiele dieses Spiel, um Menschen eine Show zu bieten, damit sie etwas fühlen, was sich vom gewöhnlichen Tennis unterscheidet", schrieb Kyrgios weiter in seinem Instagram-Post.

Seine Tiraden sind also auch als Konzept zu verstehen - hinderlich nur, dass er sich selbst dann aus dem Konzept bringt. So durfte Murray sein 70. Finale als Profi am Sonntagnachmittag gegen Berrettini bestreiten.

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