Tennis:Schnelle Beine

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Überwältigt: Belinda Bencic, 18, kann nicht glauben, dass sie soeben Serena Williams im Halbfinale von Toronto besiegt hat. (Foto: imago/Icon SMI)

Die 18-jährige Schweizerin Belinda Bencic vollzieht ihren nächsten Entwicklungsschritt - und besiegt beim hochkarätigen Turnier in Toronto Serena Williams.

Von Gerald Kleffmann, Toronto/München

Natürlich war Ivan Bencic in der Nähe, der Vater, der Mentor, der Trainer, er stand wie alle im Tennisstadion von Toronto und hörte zu. Auf dem Platz wurde seiner Tochter Belinda ein Mikrofon hingehalten, und als diese gefragt wurde, was sie gleich dem Papa sagen werde, meinte sie: "Danke für alles." Sie schluckte. "Das sind zwar nur drei Worte. Aber sie bedeuten die Welt für mich." Auch Mutter Daniela, die zu Hause in der Schweiz vor dem Fernseher saß, schloss sie mit in ihre Huldigung ein. Denn die Geschichte der Belinda Bencic ist auch eine sehr spezielle Familien- und Fördergeschichte. Sogar ein Investor mischt loyal im Hintergrund mit. Und nun ist es tatsächlich so weit: Die nun 18-Jährige emanzipiert sich von dem ihr oft zugeschriebenen plakativen Titel Wunderkind und wird eine ernst zu nehmende Tennisspielerin auf höchstem Niveau. Beim WTA-Turnier in Kanada hat sie der Reihe nach Eugenie Bouchard, Caroline Wozniacki, Sabine Lisicki und Ana Ivanovic ausgeschaltet - sowie am Samstag nun Serena Williams. Kein Wunder, dass bei ihr die Tränen flossen, als sie das Platzinterview beendet hatte.

Wie hoch ihre Leistung einzustufen ist, lässt sich leicht erklären. Bouchard und Lisicki standen im Wimbledon-Finale, Ivanovic gewann die French Open , Wozniacki war die Nummer eins der Welt, Williams ist mit 33 in einer der besten Phasen ihrer langen Karriere. Bei den US Open, die Ende August beginnen, könnte diese gar den Grand Slam schaffen, alle vier Major-Turniere einer Saison gewinnen. "Ich habe heute einen ziemlichen Mist zusammengespielt", sagte die Weltranglisten-Erste zwar nach der Niederlage, "um ehrlich zu sein, habe ich wie ein Amateur gespielt." Das mochte einerseits stimmen. Allein zwölf Doppelfehler zehrten an ihren Nerven. Andererseits hatte Williams aber auch bei ihren Triumphen in Melbourne, Paris und Wimbledon das eine und andere Mal einen ziemlichen Mist zusammengespielt - und doch gewonnen. Die Kraft ihrer Schläge und der unbändige Wille retteten sie stets, überhaupt ist ihre Bilanz atemberaubend: Nur die Tschechin Petra Kvitova besiegte sie 2015, im Halbfinale von Madrid. Und nun Bencic, die das schaffte, was all die anderen, die oft nah dran waren, nicht bewältigen konnten: an einen Sieg gegen Williams zu glauben, nicht die Zitterhand zu bekommen - und wirklich den letzten Punkt für sich zu entscheiden. Beim 3:6, 7:5, 6:4 war es ein Vorhandwinner, mit dem sie diesen überraschenden Erfolg abschloss und mit dem die Schweizerin aus Flawil ihr zweites WTA-Finale erreichte. Am Sonntagabend bezwang sie in diesem die Rumänin Simona Halep, die beim Stand von 7:6 (5), 6:7 (4), 3:0 aufgab. Die Personalie Bencic ist deshalb so spannend, weil sie eine im Frauentennis nicht unübliche Geschichte erzählt - die aber doch gänzlich anders ist. Es gibt unzählige Vater-Tochter-Bündnisse, die tragische Noten beinhalten. Bencics Landsfrau Timea Bacsinszky hatte erst in Paris, wo sie im Juni das Halbfinale erreicht hatte, ausführlich von den Qualen berichtet, die sie unter ihrem Vater erleiden musste. Der frühere Eishockeyspieler Ivan Bencic, ein gebürtiger Slowake, forderte und förderte auch seine Tochter, aber er ist ein einfühlsamer, intelligenter Mensch, der Belinda stets auch schützte, indem er Erwartungen bremste und sich gegen den Begriff Wunderkind wehrte. Um die Karriere zu finanzieren, griff er auf das Geld eines befreundeten Geschäftsmannes zurück, aber nur, weil es sein musste. Die Bencics waren normale Mittelstandsarbeiter. Unterstützung erhielt Belinda zudem von Melanie Molitor, der Mutter der früheren Nummer eins Martina Hingis. Aber alles geschah unaufgeregt und gut überlegt im Hintergrund.

Dass mit Bencic zu rechnen war, deutete sie früh an. 2013 gewann sie als Juniorin in Wimbledon, 2014 erreichte sie Runde zwei der Australian Open, die Frauentour WTA adelte sie als "Neuling des Jahres". In dieser Saison tat sie sich aber anfangs schwer, ihr Körper besaß noch nicht die Athletik, die auf hohem Niveau erforderlich ist. Bencic, die ja kraft ihres Alters erst dabei ist, den Übergang vom Teenager zur Frau zu absolvieren, hat viel gearbeitet, "meine Beine waren so schnell", das merkte sie nach dem Sieg gegen Ivanovic erstaunt an. Nein, sie ist kein Wunderkind. Sie ist eine junge Spitzenspielerin, die noch viel Potenzial besitzt. Mit ihrem Finalerfolg rückt sie in die Top 15 ein.

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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