Tennis:Schlauer siegen

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Datenleser in den Top Ten: Casper Ruud weiß mittlerweile, wie er die wichtigen Punkte während eines Matches gewinnen kann. (Foto: GEPA pictures/ Walter Luger via www.imago-images.de/GEPA pictures/Imago)

Casper Ruud hat sich fast unbemerkt in die Weltspitze geschlichen. Der Norweger kann sich sogar noch für die ATP Finals der besten acht Tennisprofis qualifizieren - der Aufstieg des 22-Jährigen hat auch mit einer besonderen Fähigkeit zu tun.

Von Gerald Kleffmann, Wien/München

Casper Ruud verfügt über eine spezielle Erfahrung: Er hat mal mit Rafael Nadal Golf gespielt. Über 18 Bahnen. Nur er, der 22-jährige Norweger, und der inzwischen 20-malige Grand-Slam-Sieger. Und wie ist der Spanier privat so? Das wurde Ruud im Frühsommer beim Turnier in München gefragt. Da lächelte er. "Er redet nicht so viel beim Golf", schilderte Ruud, "er konzentriert sich lieber aufs Spiel. Vom ersten bis letzten Abschlag." Enttäuscht war Ruud nicht, ihn verbindet ja selbst eine fanatische Liebe zum Golf. Zwar hat er nicht wie Nadal ein Handicap von 0 (für einen Par-72-Kurs benötigt er also 72 Schläge), aber mit dem Wert von 1,5 ist er nah dran an der Perfektion. An diesem Sport schätzt er den Gang in die Natur, das Abschalten, nur der Schwung und die Millimeter beim Einlochen zählen. Ruud tüftelt gerne. Und genau diese Hingabe hat ihn auch in die Top Ten gebracht. Im Tennis.

Casper Ruud, geboren in Oslo, ist eine spannende Figur im Tennis, auch wenn ihn viele für eine der langweiligsten halten, man muss nur in die Sozialen Medien schauen. Wahr ist freilich: Ruud ist einfach extrem nett, zerhackt keine Schläger und hat einen Vater, Christian, der mal die Nummer 39 der Welt war. Seine Freundin hält sich auch im Hintergrund, sie ist keine Sophia Thomalla (für Nicht-Tennisleser: die neue Freundin von Alexander Zverev). Die berühmten Ecken und Kanten also findet man bei Ruud nicht auf Anhieb. Aber, typisch Norweger, möchte man klischeehaft denken: Wer genauer hinschaut, erkennt interessante Details und Denkweisen.

Ruud ist mit fünf Turniersiegen einer der erfolgreichsten Profis in dieser Saison. Er gewann am Dienstag in Wien in Runde eins gegen den Südafrikaner Lloyd Harris sein 50. Match in diesem Jahr; nur der Grieche Stefanos Tsitsipas siegte bislang öfter (54). Achter in der Weltrangliste ist er, dabei hat er nicht mal bei den Grand Slams aufgetrumpft. Nur mit einem Achtelfinale bei den Australian Open fiel er auf. Dafür hat Ruud bislang einen strategisch perfekten Turnierkalender abgearbeitet, um möglichst viele Matches spielen zu können. Heißt: Er ist bei vielen kleineren Veranstaltungen angetreten, etwa Turnieren der 250er-Kategorie, wo der Sieger 250 Punkte erhält - bei Grand Slams sind es 2000 - was seine Chancen erhöhte, weit vorstoßen zu können. In Bastad, Genf, Gstaad, Kitzbühel und San Diego siegte er prompt. "In diesem Jahr habe ich meine Chancen in Matches genutzt", sagte er vor dem Turnier in Wien, einem 500er-Event der ATP Tour. Und diese Effizienz hat, so sieht er das selbst, maßgeblich mit seiner zweiten Vorarbeit zu tun: Ruud ist ein Statistik-Fan. Er liest Zahlen wie eine Gebrauchsanleitung für besseres Handeln.

"Ich habe mich dieses Jahr darauf fokussiert, die wichtigen Punkte gut zu spielen"

Ruud achtet dabei, auch das spricht für seine Analysefähigkeit, besonders darauf, sich nicht zu überfrachten mit Daten. Er pickt sich nur das für ihn Relevante heraus. "Ich habe mich dieses Jahr darauf fokussiert, die wichtigen Punkte gut zu spielen", erklärte er zuletzt seine Herangehensweise. "Viele Matches können durch zwei, drei, vier Punkte entschieden werden. Es ist oft so eng." Um herauszufiltern, welche Punkte die wichtigen sind, zog er auch Daten der Besten heran. Etwa jene von Novak Djokovic aus dem Jahr 2011, als der Serbe eine sagenhafte Saison spielte und zehn Titel in elf Finals errang. Ruud erkannte Erstaunliches: "Djokovic machte nur 52 Prozent aller gespielten Punkte." Er schlussfolgerte: Man muss nicht jeden Punkt gewinnen. Er verlor ja auch Matches, in denen er mehr Punkte erzielt hatte als Gegner - und umgekehrt. Also, was sind die wichtigen Punkte? Gegen Harris am Dienstag lag Ruud dreimal 0:30 bei eigenem Aufschlag zurück - und gewann trotzdem jeweils das Spiel, weil ihm die unscheinbaren Punkte zum 15:30 gelangen. Mit diesen Zählern blieb er dran, ließ nicht abreißen, drehte die Spiele. Er mache jetzt weniger falsch in diesen Momenten, betonte Ruud: "Nun machen öfter die Gegner die Fehler, bevor ich sie mache."

Ruud ist klar, dass ihn noch einiges von den Großen unterscheidet. Einer wie Djokovic zeige konstant mentale Härte, sei schlicht ein exzellenter Spieler. Ruud kann wunderbar erklären, aber es wirkt auch so, als staune er über sich - wie weit er, der Konzeptspieler, mit seinen Möglichkeiten gekommen ist. Er ist ja keiner, der wie Aufschlag-Kanonierer John Isner eine Punktegarantie besitzt. Strategien sind seine Stärke. In der Vorbereitung. Auf dem Platz.

"Es war ein unglaublicher Frühling, Sommer und auch Herbst", resümierte Ruud bereits, "ich bin sehr glücklich." Dass er sogar in Turin teilnehmen könnte, bei den ATP Finals, wo nur die besten Acht starten, motiviert ihn noch mal zusätzlich: "Es ist aufregend in der Gruppe der zwei, drei Spieler zu sein, die noch Chancen haben." Der Unbekannte in den Top Ten hat sich diese Perspektive tatsächlich verdient.

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