Tennis:Option Umzug

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Der Weltranglisten-Erste Novak Djokovic ist der Favorit in London. Bei den ATP Finals spielt der Serbe in einer Gruppe mit dem Deutschen Alexander Zverev. (Foto: Frank Augstein/AP)

Die ATP-Finals im Tennis könnten London 2021 verlassen. Zehn Jahre an einem Ort findet auch die Nummer eins Novak Djokovic zu viel. Er ist in diesem Jahr der Favorit.

Von Gerald Kleffmann, London

An der Station North Greenwich neben dem mächtigen Hallenkomplex namens O2-Arena stiegen sie ein: Sie trugen schicke Anzüge, weiße Hemden, elegante Schuhe. Als sie die Tube betraten, die U-Bahn, die Röhre, staunten einige sehr. Mancher wie der 2,08 Meter lange John Isner aus den USA musste sich tief bücken. Festgehalten wurde der Ausflug von dem Österreicher Dominic Thiem in einem Video, Spaß haben die Profis gehabt, sonst reisen sie ja eher in Privatjets und Limousinen. Nach sieben Stationen stiegen die acht Teilnehmer des ATP-Finales in Westminster aus, nun stand ein Besuch im Parlament an: John Bercow, der Speaker of the House of Commons, hieß sie willkommen; ein Führung folgte durch holzvertäfelte Räumlichkeiten, auch durch die Bibliothek. Die 16 Doppelspieler, die in ihrer Disziplin ebenfalls in dieser Woche ihren Saisonsieger ermitteln, waren stets im Gefolge, und so strahlte diese Aktion tatsächlich Leichtes und doch Bedeutsames zugleich aus. Genau das, was die Verantwortlichen der Männertour ATP beabsichtigten.

Ihr Finalturnier bildet den Abschluss der Saison 2018, und an der Zielsetzung, dass diese Veranstaltung Maßstäbe setzen soll, was alles möglich wäre in Organisation und Erscheinungsbild, hat sich über die Jahre nichts geändert. Ein Muster-Event soll es sein. Früher hieß das Turnier Masters und fand im Madison Square Garden in New York statt, Boris Becker stand dort viermal im Finale und siegte 1988 auf dramatische Art mit 7:6 im fünften Satz gegen Ivan Lendl (allein den kurios langen Matchball im Internet anzusehen, lohnt sich noch immer). Anschließend dokterte die ATP am Abschlusswettbewerb herum, der erst ATP-WM hieß, in Frankfurt und Hannover aufschlug und danach als Masters Cup in Lissabon, Sydney, Shanghai, Houston und wieder Shanghai Station machte. Diese Phase war eine Zeit, in der das Wiedererkennbare schleichend an Strahlkraft einbüßte. Erst ab 2009, als London Austragungsort wurde, konnte die Marke ATP Finals (bis 2016 ATP World Tour Finals) an Kontur zurückgewinnen. Den Spielern kam man entgegen, indem nur noch über zwei Gewinnsätze gespielt wurde.

Dieser Hintergrund wird wichtig sein demnächst, aktuell befindet sich der Prozess, wie und wo es mit den Finals ab 2021 weitergeht, in der entscheidenden Phase. 40 Städte hatten Interesse bekundet, im Dezember soll eine Shortlist mit drei bis fünf Bewerbern verkündet werden. London steht nach wie vor bereit, die Stadt hat trotz der zigfachen Unterhaltungsangebote die nahbare, aber auch luxuriöse Tennismesse der Besten angenommen: Im November kommen jeweils 250 000 Zuschauer in die Halle mit den vielen Flaniergängen und Restaurants. Die Kniffligkeit für ATP-Boss Chris Kermode besteht darin, Wiedererkennungs- wie Stellenwert des Turniers zu erhalten und dabei das Finanzielle klar im Blick zu behalten. Da die ATP keine Stiftung ist, ist der Engländer Kermode schon von Amts wegen verpflichtet, Erlösquellen zu erschließen. Dass die ATP Finals inzwischen vom japanischen Mischkonzern Nitto (auch Titelsponsor) maßgeblich unterstützt werden, zeigt bereits: Der Markt in Europa ist weitgehend erschlossen, neue Märkte bieten nur andere Regionen. Die Frauentour, marketingbezogen gern eher schlafmützig, konnte durch den Wechsel der WTA-Finals ab 2019 von Singapur nach Shenzhen immerhin das Preisgeld verdoppeln (auf 14 Millionen Dollar).

Der globale Tennissport ist, bei allem Bewusstsein um Tradition und unverrückbarer Pfeiler wie Wimbledon und dessen drei Grand-Slam-Partner, in einer ständigen Transformation, und natürlich versucht der eine oder andere Einfluss zu nehmen. Auch namhafte Spieler. "Ich habe große Erfolge in London gefeiert und liebe es, hier zu spielen", sagt Novak Djokovic, der sein wundersames Comeback-Jahr mit seinem sechsten Titel in London abschließen will: "Ich denke jedoch, dass das Konzept der ATP-Finals einem gewissen Turnus unterliegen sollte. Das Turnier sollte umherziehen. Es ist das größte Event, dass die ATP besitzt. Die besten acht Spieler in einem einzigartigen Gruppenmodus. Das ist eine großartige Möglichkeit den Tennissport weltweit zu promoten. Zehn Jahre an einem Ort können dann bereits zu viel sein." Dieser Sicht widerspricht Roger Federer, der findet: "Es ist eine großartige Formel hier. Ich genoss es immer, in einer Stadt zu spielen, die Tennis versteht und in der viele Medien darüber berichten. Es ist ein guter Ort, um unsere Talente zu zeigen."

Vermutlich wird die Lösung aber zwischen diesen beiden Präferenzen liegen. Kermode deutete im Tennis-Magazin an, dass man eine feste Vergabe an einen Ort bevorzuge, eventuell für fünf Jahre, damit der neue Ausrichter Zeit habe, Profil zu entwickeln. Die Entscheidung solle nicht vor März 2019 fallen.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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