Tennis:Meilenstein am Killesberg

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Roger Federer will in Stuttgart die Wende in einem schwierigen Jahr schaffen.

Von Gerald Kleffmann, Stuttgart

Um halb zwölf am Montag betritt eine blau gekleidete Person mit Turnschuhen die Tennishalle des TC Weissenhof. Steigt Stufen hinab. Blickt umher und setzt sich vor ein Mikrofon. Da sitzt also ein Sportler in einem Trainingsoutfit, könnte man denken. Einige Fragen und Antworten reichen aber, schon steigt in einem das Gefühl: Der hat keine blaue Jacke an. Der ist nicht akkurat gescheitelt. Es geht nicht um Sport, nicht um ein Spiel, bei dem Menschen einen Ball über ein Netz schlagen. Das Gefühl ist: Der trägt einen roten Hermelinmantel. Eine Krone bestückt mit Diamanten. In der Hand hält er einen Stab, beschichtet mit feiner Schweizer Schokolade. Das, was er sagt über dies und das, kommt einem göttlichen Gericht gleich. Wenn er spricht, herrscht Stille wie in der Kirche.

Roger Federer sitzt ja wirklich da vorne.

Er ist, symbolträchtig umschrieben, auch frisch aus dem Verletztenstand kommend immer noch der Maestro, der König von Wimbledon, New York, Melbourne und Paris, zumindest 17 Mal wurde er an diesen Stätten gekrönt und seitdem wird der elegante Akteur so gesehen. Im Grunde ist die Tenniswelt wie immer zu dieser Jahreszeit wieder voller Sehnsucht, dass er in vier Wochen ein weiteres Mal einen Thron besteigt, in SW19, London. Was wäre das für eine Geschichte! "Er ist kein Tennisstar, er ist ein globaler Weltstar", weiß Edwin Weindorfer. Weil der Österreicher als Turnierveranstalter gut darin ist, Dinge griffig zu kategorisieren, fügt er zur Teilnahme Federers in Stuttgart an: "Das ist ein Meilenstein für den Mercedes-Cup."

Oben auf dem Killesberg schlägt der Meilenstein an diesem Mittwoch erstmals nach einer mehrwöchigen Pause auf. Beginnt für Federer endlich die Saison? Kann er sich hier (und nächste Woche in Halle) in Siegform spielen für Wimbledon, das er sieben Mal gewann? 2015 war das Turnier der kleinsten Kategorie (250er) der ATP-Profiserie nach der Umstellung von Sand auf Rasen eine fröhliche Erfolgsgeschichte mit der zweitbesten Trophäe, die jeder Veranstalter als Sieger präsentieren kann: der Spanier Rafael Nadal gewann. 2016 wird das Stuttgarter Turnier erneut eine Erfolgsgeschichte. Eine gar mit der besten Trophäe, die jeder Veranstalter präsentieren kann. Im November wurde Federers Start verkündet, an Weihnachten waren die Spieltage Donnerstag bis Sonntag ausverkauft. Eine weitere Tribüne wurde errichtet. Aber fröhlich? So entspannt sich Federer auch gibt, es liegt eine gewisse Bedeutungsschwere auf seinem Start.

Dass Djokovic gerade der Elite enteilt, sieht Federer gelassen

Am Killesberg versucht Federer, in die Spur zu kommen für das große Ganze, das folgt: "Wimbledon, Rio, US Open werden für mich die nächsten Wegweiser sein", sagt er. Es war für ihn bisher ein "schwieriges Jahr, um es freundlich auszudrücken". Wenn man ihn richtig verstanden hat, möchte er selbst wissen, wo er im Welttennis derzeit steht. In diesem Jahr zwickt's plötzlich mehr bei dem 34-Jährigen, teils aus skurrilen, teils aus bekannten Gründen. Bei einem Ausrutscher im Bad verletzte sich Federer am Knie, eine Operation war nach den Australian Open nötig. Wegen des Rückens, seiner Schwachstelle, verpasste er nach einer Reihe von Turnieren auch die French Open und den 66. Start bei einem Grand-Slam-Event in Serie. Der Verzicht löste ein Beben aus. In Stuttgart rechtfertigt er seine Entscheidung: "Nur für den Rekord anzutreten, ein, zwei Runden zu spielen und ein Risiko für den Rest meiner Karriere und mein Leben einzugehen, darauf hatte ich keine Lust." Wichtig sei für ihn, "dass ich jetzt zurückkomme von meinen Verletzungen. Das ist das einzige, was mich großartig interessiert". Er sagt das beiläufig und doch deutlich.

Federer fühlt sich, darüber ist er sichtlich erleichtert, fit für den Auftritt gegen den 18 Jahre alten Überflieger Taylor Fritz (USA), gleich ein nettes Generationenduell. Er habe viel an der Rumpfmuskulatur gearbeitet, oft zweimal pro Tag trainiert. Auch in Stuttgart spult er, der ehrgeizige Arbeiter, sein Pensum ab. PR- und Pressetermine flankierten standesgemäß seine Schichten: Mit Tommy Haas spielt er auf einen Hochhaus, mit Mesut Özil steht er vor der Kamera. Federer hat längst ein Stadium erreicht, in dem ihn höchstens beunruhigt, wenn eines seiner vier Kinder krank ist. Dass Novak Djokovic gerade der Elite enteilt, kommentierte er jedenfalls auffallend generös, "für das Tennis ist das super", meinte er sanft lächelnd zum vierten Grand-Slam-Sieg des Serben in Serie. Federer mag Rekorde. Rekorde seien "positive Nachrichten". Dieses Tennisjahr, auch das ordnete er korrekt ein, hat diesbezüglich nach Aufregerthemen wie Wettbetrug und Meldonium und verletzten Spielern noch etwas Nachholbedarf.

In Stuttgart könnte Federer selbst die Schlagzeilen zum Guten beeinflussen, schon 16 Mal gewann der Schweizer auf seinem bevorzugten Untergrund. Nur, das gibt er zu: Er musste seine Ziele neu definieren: "Wenn ich hier ein paar gute Spiele mache, wäre es eine tolle Woche. Wenn ich ins Finale käme, wäre es eine fantastische Woche - wenn ich das Turnier gewänne, wäre das ein Traum."

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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