Tennis:In dünner Luft

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Nahbarer und lockerer in der Öffentlichkeit: Alexander Zverev widmet sich nach einer Trainingsstunde seinen Fans in München. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty)

Alexander Zverev lernt die Tücken des Aufstiegs kennen: Je weiter man kommt, desto schwieriger wird es, höher zu klettern.

Von Gerald Kleffmann, München

Bei der Pro-Am-Party des Münchner Tennisprofiturniers verriet Mischa Zverev jetzt ein Geheimnis: Er hält seinen jüngeren Bruder Alexander, 20, für ein "kleines A...!" Das Gelächter im Auditorium war groß, der 29-Jährige hatte das aber natürlich als vielsagendes Kompliment gemeint. Alexander habe ihn ständig genervt und herausgefordert - als Rivale auf dem Platz. "Sascha ließ mir keine Wahl, wegen ihm spiele ich noch", gab Mischa zu, der sich, nach einer langwierigen Verletzung, von einem Weltranglistenplatz jenseits der Top 1000 so auf aktuell Platz 32 gespielt hat. Als Tage später Alexander in München vom Zitat des Bruders hört und erzählt bekommt, Mischa lasse ihn "vor wichtigen Matches im Training 7:6 gewinnen", ruft Alexander grinsend: "Er ist so ein A....!" In diesem Moment merkt man: Bei den Zverevs ist die Welt in Ordnung.

Seine Konkurrenten da oben sind "besser und konstanter"

Das zurzeit erfolgreichste Brüderpaar im Einzel hält zusammen, das Frotzeln ist Ausdruck ihrer Symbiose, die sich im Ranking griffig wie lange nicht liest. Sportlich stehen sie dicht beisammen, Alexander ist auf Platz 20. Und doch trennen sie perspektivisch Welten. Mischa kämpft darum, sein Niveau zu halten, zuletzt musste der Serve&Volley-Spezialist, nach seinem Erfolg mit dem Viertelfinale bei den Australian Open, frühe Turnier-Niederlagen hinnehmen. Am Dienstag immerhin erreichte er durch einen 6:4, 6:7 (4), 6:3-Erfolg gegen Dustin Brown (Winsen) mal wieder eine zweite Runde. Alexander darf kraft seines Alters und seiner Fähigkeiten höhere Ambitionen hegen, er will "wieder einen Schritt machen", in München verdeutlichte er, dass er um den Charakter seines Karriere-Stadiums weiß: Er ist in dünner Luft angelangt. "Je höher du kommst, desto schwieriger wird es, eine Position hochzuklettern", sagt er. Weil die Konkurrenten dort oben "besser und konstanter" seien. Beim vergangenen Turnier in Barcelona verlor er gegen den gleichaltrigen Südkoreaner Hyeon Chung, einen Qualifikanten, 1:6, 4:6. Solche Schwankungen gehören zum Lernprozess, auch wenn er jetzt in einer anderen Liga ist als vor einem Jahr. Das symbolisierte zuletzt auch eine eher unerfreuliche Geschichte, die sich in Barcelona zutrug.

Rafael Nadal hatte sich kritisch über Zverev geäußert und zu verstehen gegeben, dass er Demut bei ihm vermisse. Dem Spanier war offenbar von der heimischen Presse überliefert worden, Zverev sei nur nach Barcelona gekommen, um Nadal herauszufordern. In München betonte Zverev, wie sehr er dieses "Missverständnis" bedaure, er hatte nur auf eine hypothetische Frage geantwortet - was wäre, wenn Nadal sein Gegner wäre? Da hatte er gesagt: Wäre schön! Nun hofft er, mit Nadal, den er als "eine der größten Tennislegenden" bezeichnet, "mal reden zu können". Klar ist aber auch: Größen wie der 14-malige Grand-Slam-Sieger nehmen Zverev tatsächlich sehr ernst. Weil der im Klub der dünnen Luft Mitglied jetzt ist. In Melbourne hatte Zverev Nadal fast besiegt.

Natürlich hätte Zverev auf diese Art der Anerkennung lieber verzichtet, und doch ging er entspannt mit der Aufarbeitung dieses Themas um. Vielleicht hat das auch mit seinem Reifeprozess zu tun. Anders als bei Mischa, mit dem Gespräche stets leicht dahinfließen wie ein erfrischender Gebirgsbach, mit Sinn für Ironie, neigte Alexander früher gerne rasch zum Schnippischen, Belehrenden. Eine auf der Tour tätige Kraft erzählt, dass hinter den Kulissen dieses Problem durchaus erkannt wurde, es soll auch nicht wenige Spieler gegeben haben, die ob Zverevs intern manchmal zu selbstbewusstem Auftreten die Nase gerümpft hatten. In diesem Jahr sei das ganz anders, Alexander Zverev sei wie ausgewechselt. Bei einer Medienrunde in München fiel immerhin auf: Er war unverkrampft, umgänglich und wirkte nahbarer. Obwohl Profis oft nicht über Einsätze in ferner Zukunft sprechen, sagte Zverev auf die Frage, ob er im September beim deutschen Davis-Cup-Abstiegsmatch in Portugal antrete, sofort: "Ich spiele." Auch sein unprätentiöser Umgang mit dem A-Wort transportierte seine Lockerheit.

Gut möglich, dass ihn Mischa oder Vater Alexander ins Gebet genommen haben, es gibt zumindest nur "wenige Personen", auf die Alexander höre. Sagt er selbst. Oft genug ist das wohl die beste Taktik, denn würde er das ständige Spekulieren, wann er sein erstes Grand-Slam-Turnier gewinne, für bare Münze nehmen, würde er vor Überheblichkeit keinen Ball mehr treffen. In seinem Team, versichert Zverev, werde die Wahrheit jedenfalls schonungslos angesprochen, "sonst wird man nicht besser".

Er denkt darüber nach, einen beratenden Trainer zu holen

Sein Vertrauen in die eigene Familie ist spürbar grenzenlos, "mein Vater wird immer mein Trainer bleiben", sagt Alexander bezeichnend. Und: "Mein Team wird sich nicht ändern." Seit vier Jahren stählt ihn etwa Fitnesscoach Jez Green. Dass sich indes "mein Team erweitert, ist eine Möglichkeit", sagt Zverev. Seit dem Jahreswechsel hat er einen neuen Physio, Hugo Gravil. Ein beratender Trainer könnte aber auch, wie es der Trend ist im Spitzentennis, periodisch mal angeheuert werden. Dieses Gedankenspiel ist tatsächlich neu bei ihm.

Mit welchem Ehrgeiz Zverev die Sandplatzsaison angeht, belegt die Tatsache, dass er vorerst auf Teilnahmen im Doppel mit Mischa verzichtet. Ab jetzt könnte es auf jede Nuance ankommen. So ist das in dünner Luft.

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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