Tennis:Gegen den Schmerz

Lesezeit: 3 min

Starker Auftakt: Alexander Zverev in Köln. (Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

Alexander Zverev zeigt sich beim Turnier in Köln gut erholt - obwohl er noch immer vom verlorenen Finale bei den US Open träumt.

Von Milan Pavlovic, Köln

Am vierten Tag war alles anders. Als Alexander Zverev und Fernando Verdasco den Center Court betraten, begann das Tennisturnier von Köln von neuem. Der Auftritt der beiden, ihre Körpersprache, ja selbst das Einspielen signalisierten, dass zwei Größen des Tennis gleich loslegen würden. Verdasco ist ein Veteran der Tour, 2009 brachte der inzwischen 36-Jährige bei den Australian Open Rafael Nadal in einem elektrisierenden Halbfinale an den Rand einer Niederlage; erst in diesem Spätsommer 2020 riss Verdascos beeindruckende Serie von 17 Jahren ohne verpasstes Grand-Slam-Turnier. Und Zverev mag zwar immer noch darunter leiden, dass er Anfang September die Trophäe der US Open in die Hände von Dominic Thiem hat gleiten lassen - trotzdem hat er damit sein Versprechen, eine dominierende Kraft des Tennis sein zu können, untermauert.

Das Tempo der beiden, die Variation der Schläge und der Winkel, die Tiefe und die Härte und der Spin, die sie den Bällen gaben, unterschieden sich schlagartig vom Spiel der anderen Teilnehmer; so als hätte man bisher Jugendlichen zugesehen - und jetzt hätten die Männer übernommen. Und selbst zwischen den beiden Athleten erkannte man dann rasch einen Unterschied: Verdasco, der zuletzt die French Open verpasst hatte, weil er positiv auf das Coronavirus getestet worden war, ist noch auf der Suche nach seiner Konstanz; Zverev hingegen ist wieder im US-Open-Rhythmus. Das bekam Verdasco zu spüren, nach nur 63 Minuten stand es 6:4, 6:1, und das Viertelfinale am Freitag war erreicht. Ob er etwas am Match auszusetzen habe, wurde der 23-jährige Deutsche gefragt. "Wenig", sagte Zverev. "Das Level im ersten Satz war sehr hoch, ich habe dann so weitergespielt, und er hat etwas nachgelassen. Es war eine gute erste Runde."

Die Erkältung, die seine Niederlage im Achtelfinale der French Open beeinflusst hatte, ist überstanden, "mir geht's gut", versicherte die Nummer sieben der Welt. Zverev hatte fast eine Woche lang keinen Schläger in die Hand genommen, er sei "die ganze letzte Woche extrem erschöpft" gewesen. "Auch in Corona-Zeiten kann man einfach eine Erkältung bekommen", sagte der 23-Jährige, "das haben viele nicht verstanden", obwohl jeder doch mal krank gewesen sei.

Wie gut er sich am Donnerstag fühlte, konnte man schon an seinem Service ablesen, bei dem er unantastbar war. Er verteilte nicht bloß die Bälle mit 225 km/h über den Platz, sondern prügelte zweite Aufschläge mit über 220 km/h ins Feld des frustrierten Spaniers. Kaum zu glauben, dass es noch zu Jahresbeginn eine Phase gab, in der Zverev groteske Doppelfehler servierte und ihm eigene Aufschlagspiele zum Nachteil gereichten.

Man konnte Zverev anmerken, dass er froh war, dass er wieder auf den Platz konnte. Die Hoffnung, sich die Zeit auch mal im Fußballstadion zu vertreiben, hatte er zu Wochenbeginn wegen der Pandemie-Regeln aufgeben müssen. "Ich wäre gerne zum Länderspiel gegangen", sagte er. "Und ein paar Fußballer wären gerne zu unserem Turnier gekommen. Nun durften sie genauso wenig wie ich."

Bleibt Tennis - und der Versuch, die Erinnerungen an die jüngere Vergangenheit auszublenden. Denn das Paradoxon, dass sein bestes Grand-Slam-Turnier, vor einem Monat in New York, ihn immer noch schmerzt, muss auch erst einmal verarbeitet werden. "Was denken Sie denn?", fragte Zverev, als jemand wissen wollte, ob er noch an das verlorene Finale gegen Dominic Thiem denkt. Und dann bestätigte er: "So jeden Tag 20 bis 25 Mal. Nachts auch. Und in meinen Träumen auch. Ich war zwei Punkte davon entfernt, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen ...", sagte er und ließ den Satz ziehen wie einen starken Tee.

Da hilft es sogar, bei einem kleineren Turnier wie dem in Köln als Favorit gesehen zu werden. Als nächster Gegner wartet der relativ unbekannte Lloyd Harris, ein Südamerikaner mit Zottelhaaren, der sich durch die Qualifikation ins Viertelfinale gespielt hat. "Ich kenne ihn ehrlich gesagt nicht", sagte Zverev. "Aber mein Bruder Mischa hat mal gegen ihn gespielt. Ich werde ihn mal fragen." Doch wenn man an Nummer eins gesetzt sei, "will man das Turnier auch gewinnen". Ganz egal, wie leer die Halle ohne Fans ist und wie gruselig der monotone Applaus ist, der von draußen - und oft an den falschen Stellen - eingespielt wird.

Der Beifall vom Band war Zverev "egal", wie er lakonisch zu Protokoll gab. "Sie können es lauter oder leiser machen oder ganz weglassen, irgendwann hab ich's gar nicht mehr gehört." Die Show zur Begrüßung der Spieler, die sei beeindruckend gewesen, so Zverev: "Aber mit 10 000 Zuschauern wäre sie noch schöner gewesen."

© SZ vom 16.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: