Tennis:Festival mit mehreren Bühnen

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Benoît Paire ist ein extrovertierter Franzose, der sich oft in seiner Tenniskarriere im Weg stand. Jetzt wurde er als erster Profi im Zusammenhang mit den US Open positiv auf das Coronavirus getestet. (Foto: Antoine Couvercelle /Imago/Panoramic)

Die US Open dienen nicht nur als Versuchslabor für künftige Sportereignisse sondern auch für die Unterhaltungsbranche.

Von Jürgen Schmieder, New York/Los Angeles

Nein, geplatzt ist diese Blase nicht, dafür war der Knall dann doch zu leise. Es pfeift jedoch zu Beginn der US Open, als hätte jemand mit einer winzigen Nadel ein paar Mal in diesen Luftballon gepikst, der bis zum 13. September heil bleiben soll; es entweicht unüberhörbar ein bisschen Luft. Benoît Paire ist positiv auf das Coronavirus getestet worden, der an Rang 17 gesetzte Franzose musste seine Teilnahme deshalb absagen, seine Landsleute Richard Gasquet, Adrian Mannarino, Gregoire Barrère und Edouard Roger-Vasselin sind erst einmal in Quarantäne. Das geht ja gut los.

Der erste positive Test eines Spielers sorgt für mehr Aufregung als der von Fitnesstrainer Juan Manuel Galván kürzlich; seine Kunden Guido Pella (Argentinien) und Hugo Dellien (Bolivien) dürfen nach mehreren negativen Tests beim Grand-Slam-Turnier in New York starten. Die US Open dienen nicht nur als Versuchslabor für künftige Sportereignisse, sondern aufgrund der einzigartigen Struktur auch für die Unterhaltungsbranche. Also: Wird es funktionieren?

Der europäische Fußball hat bewiesen, dass eine Saison zu Ende gespielt und über Mini-Turniere in Portugal und Spanien Klub-Champions ermittelt werden können, die nordamerikanischen Ligen NBA (Basketball) und NHL (Eishockey) erproben derzeit eine Lösung, bei der die Teilnehmer monatelang in Blasen kaserniert werden. Tennis ist ein Sonderfall, es heißt, dass vor allem Konzertveranstalter genau hinsehen. Die Tennisanlage in Flushing Meadows ist quasi ein Festivalgelände, die Spieler sind Künstler aus aller Welt und treten auf mehreren Bühnen auf. Alle zwei Tage halbiert sich das Teilnehmerfeld - beim Tennis, weil jemand ausscheidet; bei Konzerten, weil Auftritte vorbei sind.

Kurz: Die US Open sollen zeigen, wie es weitergehen wird mit New York.

Der Comedy-Club-Besitzer James Altucher hatte in einem Essay behauptet, dass sich die Stadt nicht von der Pandemie erholen werde - sie sei tot. Der Text sorgte für einen Knall, so laut wie der einer Bombe. Die US Open sind nun die erste Großveranstaltung in der Metropole nach mehreren Monaten, und der Luftballon darf keinesfalls platzen: Nach dem Tennisturnier finden dort die US Open im Golf statt, der Baseballklub New York Yankees will im Stadion in der Bronx möglichst Playoff-Partien austragen, im Herbst sollen die Spielzeiten von NBA und NHL in den Heimarenen stattfinden - so wie Partien der Footballteams Giants und Jets. Und irgendwann sollen ja auch Bars und Nachtclubs wieder öffnen oder wenigstens Live-Musik im Freien bieten dürfen.

"Ich glaube, dass es auf der Welt kaum einen sichereren Ort gibt als hier", sagt Dominic Thiem

"Es sind so viele Leute an diesem Turnier beteiligt. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand positiv getestet wird, ist ziemlich hoch", sagte Dominic Thiem über den Fall Paire und legte demonstrativ einen Finger auf eines der Löcher in der Blase: "Ich glaube, dass es auf der ganzen Welt kaum einen sichereren Ort gibt als hier. Man kann sich vielleicht in eine Höhle einsperren oder irgendwo auf hoher See sein - aber ansonsten ist das supersicher hier."

Die Veranstalter haben ein Umfeld geschaffen, in dem sich die Spieler wohlfühlen und dennoch die Regeln einhalten können.

Allerdings musste der amerikanische Tennisverband auch Zugeständnisse machen, weil sonst noch mehr Teilnehmer als ohnehin schon abgesagt hätten: Statt der geforderten zwei Wochen Quarantäne gab es nur zwei Tests innerhalb von 48 Stunden nach der Ankunft in New York und danach einen je alle vier Tage. Es sind drei Begleitpersonen statt nur einer erlaubt, und wer es sich leisten kann wie etwa Novak Djokovic oder Serena Williams, der darf in Privatunterkünften nächtigen.

Die gesammelten Daten sollen möglichst viele Erkenntnisse liefern, die sich dann beim Planen künftiger Events verwenden lassen. Also: Bleiben Spieler in ihren Lounges oder flanieren sie über die Anlage? Nutzen sie die Freizeitangebote? Halten sie den Abstand ein oder versuchen sie dann doch, sich mit anderen Teilnehmern zum Abendessen zu treffen? Wäre es vielleicht sogar möglich, Zuschauer auf eine Anlage wie die in Flushing Meadows zu lassen? "Es ist ein Experiment", sagt Andrew Wallach, Leiter der New York City Health and Hospitals: "Was wir lernen werden, dürfte sich unterscheiden von dem, was wir zum Beispiel bei Fußballspielen gesehen haben."

Über all dem schwebt die Frage: Und wenn es mehr Fälle à la Paire gibt? Wenn die Blase platzt - gerade während der ersten Turniertage? Es wäre ein Knall, der weit über New York hinaus zu hören wäre.

Es heißt, dass die Veranstalter das Turnier in die beiden Wochen unterteilt haben. Der positive Test von Paire wird erst einmal behandelt wie eine Verletzung. Seine Landsleute sind isoliert und werden intensiver getestet, keiner von ihnen gilt als Favorit auf den Turniersieg.

Nicht ganz so entspannt sieht das der Tennisprofi Noah Rubin, der am Montag in seinem Podcast "Coffee Cast" lästerte: "Erzähl mir keinen Scheiß von einer Blase". Für den Doppelspieler aus den USA ist die Sicherheit nicht mehr als Gerede, "Politik, aber das verstehe ich". Was Rubin nicht versteht: "Elf Spieler hatten engen Kontakt zu Benoît Paire. Sie werden das Turnier spielen." Rubins Spekulation: "Mindestens ein Topspieler ist unter den elf, und sie wollen ihr Turnier nicht aufgeben. Oder Elf ist einfach eine zu große Zahl." Zudem sei die Blase durchlässig, die Argumentation der USTA "absurd". Wenn die Shuttle-Fahrer nach getaner Arbeit nach Hause fahren, "warum muss ich dann im Hotel bleiben?", fragt Rubin. Vielleicht spielt die USTA auf Zeit, denn das ist ja das Einzigartige am Tennis: Nach sechs Tagen sind von 258 Teilnehmern im Einzel nur noch 32 dabei, vom Achtelfinale an soll es ruhiger werden, weil nicht nur weniger Spieler anwesend sein werden, sondern es weniger Personal zur Durchführung braucht - so wie beim legendären Woodstock-Auftritt von Jimi Hendrix 1969 auch keine anderen Bands und kaum Security-Leute mehr da waren.

Es ist ein Testballon, und normalerweise schauen die Leute von Queens aus sehnsüchtig nach Manhattan, das in diesem Jahr absolute No-Go-Zone ist. Gut möglich, dass die Leute in der City nun hoffnungsfroh nach Osten schauen. Es geht um den Sieg bei einem Tennisturnier, es geht aber auch um sehr viel mehr. Im Park vor dem Eingang zur Tennisanlage steht eine riesige Bronzestatue, sie heißt "Freedom of the Human Spirit", und die beiden nackten Figuren sehen tatsächlich so aus, als wären sie am sichersten Ort der Welt.

© SZ vom 01.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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