Tennis:Erfolgreicher als Djokovic

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Andrej Rublew meisterte bislang das schwierige Jahr auf der Tour am besten: Der Russe, dessen Entwicklung zu stocken schien, triumphierte bei fünf Turnieren und ist in den Top Ten angekommen.

Von Gerald Kleffmann, Paris/München

„Ich bin jetzt selbstbewusst“: Tennisprofi Andrej Rublew, 23. (Foto: Florian Schrötter/AFP)

Zum Anfang der Saison führte die ATP Tour unter Tennisprofis eine kleine Umfrage durch. Es ging um die Frage, welcher Spieler 2020 auf sich aufmerksam machen wird. Stan Wawrinka tippte auf den jungen Südtiroler Jannik Sinner, der sich tatsächlich prächtig entwickelt hat. Alexander Zverev erwartete vom Kanadier Denis Shapovalov große Dinge, die dieser nicht ganz erreichte. Mehrere ließen den Namen Felix Auger-Aliassime fallen - und einer erwähnte einen Russen: "Andrej Rublew könnte etwas Spezielles schaffen", sagte Roger Federer ein bisschen gegen den Strom. Nach zehn Monaten ist klar: Federer hat's wieder am besten gewusst - keiner gewann mehr Titel in dieser Saison als der 23-Jährige aus Moskau: fünf. Rublew liegt damit sogar vor dem Weltranglistenersten Novak Djokovic (vier).

Rublew ist nun als Achter erstmals in die Top Ten der Weltrangliste geschlichen, fast unbemerkt, was auch daran lag, dass Asse wie der Deutsche Zverev oder der Grieche Stefanos Tsitsipas höher gehandelt werden und mehr im Fokus stehen. Und doch ist seine Bilanz beeindruckend; Doha: Sieg. Adelaide: Sieg. Australian Open: Achtelfinale. Rotterdam: Viertelfinale. Dubai: Viertelfinale. US Open: Viertelfinale. Hamburg: Sieg. Roland Garros: Viertelfinale. St. Petersburg: Sieg. Wien: Sieg. 39 Matches gewann Rublew, so viele wie Djokovic, verlor indes vier mal öfter (siebenmal). Wie er sich seinen Sprung in den edelsten Kreis der Männertour erklärt? "Ich weiß nicht, warum es so gut läuft. Ich habe ein so tolles Team, so tolle Freunde um mich, die mich immer unterstützen, und wahrscheinlich spiele ich deshalb so gut ", sagte er jüngst in einem ATP-Interview. Dass er sich nicht so wichtig nimmt, zeichnet ihn aus.

Ganz sicher jedenfalls ist er kein junger Wilder, wie Rublew gerne genannt wurde. Auch wenn er mal mit seiner Matte zum Friseur gehen könnte und früher mit Freunden einen Popsong in bester Boygroup-Formation coverte. Vielmehr ist er ein auf dem Platz zwar aggressiv spielender, aber ansonsten fast derart demütiger, ernsthafter Mann, dass man ihm zurufen möchte: Sie müssen sich nicht immer für alles bedanken! Selbst auf höflich formulierte Journalistenfragen antwortet er schon mal: "Thank you for your nice words!"

Wer ihn einmal nur seine Vorhand entschlossen treffen sah, die einem Homerun-Hit von Baseballern gleicht, mag kaum glauben, wie sehr ihn innere Kämpfe begleitet hatten. Er selbst hatte gestanden, dass er "Momente einer Depression" durchlebt hatte, vor allem in jenen Monaten in 2019, als er länger verletzt war. "Ich wurde geboren, um Wettkämpfe zu bestreiten, und auf einmal ging es nicht mehr", so erklärte er sein mentales Tief. Erschwerend, so empfand er es, kam hinzu, dass seine "Peers", Kumpels wie Zverev oder der Russe Daniil Medwedew, munter im Ranking nach oben marschierten, aber er, genauso talentiert, in einer Warteschleife festzuhängen schien. 2017 bei den US Open, war Rublew bis ins Viertelfinale vorgestoßen - mit 19 Jahren. Und dann? Ging es nicht ähnlich rasant weiter mit der Entwicklung. Er galt er doch wie vorbestimmt für Erfolge. Aber seine Einstellung stimmte oft nicht. Emotional geriet er bei kleinsten Widerständen aus der Balance.

Mutter Marina und Schwester Arina sind Tennis-Coaches, Marina arbeitete mal mit Anna Kurnikowa zusammen. Vater Andrej war Boxer, ehe er Restaurator wurde. Mit drei schlug der Junior erste Tennisbälle, mit 14 gewann er den Orange Bowl, das berühmteste Nachwuchsturnier in Florida. Mit 17 wurde er fürs russische Davis-Cup-Team nominiert und schaffte es erstmals, als Qualifikant, ins Hauptfeld eines Grand Slams in New York. Den entscheidenden Schritt nach vorne machte er, als er vor eineinhalb Jahren gezwungen war, mit Rückenbeschwerden zu pausieren. So seltsam das klingt. "Wenn du für drei Monate nicht spielst, ist es schwierig. Man sieht manche Dinge in einem anderen Licht", sagte Rublew bei tennisnet.com. "Ich bin mental seither viel stabiler."

Manchmal ist er noch nah an der Explosion, sein Temperament kann er nie ganz unterdrücken. Aber er arbeitet an sich. Auch taktisch. Früher hätte er nur geschlagen, immerzu hart geschlagen. Inzwischen baut er Punkte geduldiger auf. Studiert permanent, was die Besten auszeichnet, allen voran Federer und Rafael Nadal, die er bewundert. "Ich bin jetzt selbstbewusst genug, dass ich mein Spiel durchziehen kann", findet Rublew, "letztes Jahr fühlte ich mich nicht so." Und die Saison ist ja noch nicht zu Ende. An diesem Mittwoch startet er in Paris gegen Radu Albot aus Moldawien ins dortige Masters-Turnier. Als Belohnung wird Rublew danach eine Ehre zuteil: Er wird der fünfte Russe in 50 Jahren sein, der am ATP-Finalturnier der besten Profis teilnimmt, vom 15. bis 22. November in London. Er freut sich, typisch Rublew, vor allem auf den Lernprozess: "Das wird eine tolle Erfahrung, zu sehen, wo ich mich verbessern muss, um mit den besten Spielern mitzuhalten."

© SZ vom 04.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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