Tennis:Energie für D'Artagnan

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Kaum scheint die Sonne frühlingswürdig, ist Münchens Tennis-Turnier ein Selbstläufer - zumal es endlich bayerisches Bier gibt. Ein Streifzug.

Von Gerald Kleffmann

Der Stechschritt ist das beste Indiz dafür, dass großer Sport ansteht. Wenn die Fußballfans des FC Bayern die rot illuminierte Arena von der U-Bahn-Station aus sehen, schreiten sie los, als hätten sie Hummeln im Hintern. Bloß schnell da sein! Man könnte was verpassen! Am Freitagmorgen ist der Stechschritt auch am Aumeisterweg die bevorzugte Gangart. Viertelfinaltag bei den BMW Open, nach Tagen fiesen Wetters herrschen Frühlingstemperaturen. Vor dem Eintrittskarten-Büdchen ist schon um neun Uhr eine Schlange, dabei macht die Kasse um zehn Uhr auf. In fünf Minuten sind die nur noch 30 verfügbaren Tickets weg, immer wieder sagt eine junge Frau geduldig zu neuen Stechschritt-Kunden: "Wir sind ausverkauft, heute bis Sonntag. Aber vielleicht kommen noch Sponsoren-Rückläufer." Zu 72 Euro wäre dann eine Karte der guten Kategorie zu haben, 5000 Zuschauer passen auf den Centre Court. "Wir bieten auch für 20 Euro Anlagen-Tickets an", sagt die Frau. Dann kann man etwa Fabio Fognini oder Alexander Zverev beim Training sehen. Oder ein Doppel-Halbfinale auf Court 1. Oder Turnierdirektor Patrik Kühnen, wie der Sponsorenvertretern eine Trainerstunde gibt. "Vorhand außen! Vorhand Mitte! Bälle sammeln und jetzt ausruhen!" Animateur Kühnen als Allzweckfachkraft.

Das erste Match beginnt um elf Uhr, der österreichische D'Artagnan Dominic Thiem gegen den kroatischen Ringer Ivan Dodig. Thiem ist in Austria das, was Zverev hier ist: die Rettung einer Tennis-Nation. 22 ist er, seine Grundlinienschläge sind Säbelhiebe, eine Augenweide. Peter Haas, Vater des seit ca. 20 Jahre verletzten Tommy Haas, der um ein schönes Karriere-Ende kämpft, sitzt neben Thiems wolfsschlauem Coach Günter Bresnik und klatscht. Thiem, schon 15. in der Weltrangliste, wird das Halbfinale erreichen, mit 6:4, 4:6, 6:3 und einem Aufreger, für den er wenig konnte. Dodig verließ in Satz drei kurz nach einer strittigen Schiedsrichterentscheidung den Platz. Beleidigt nahm er eine WC-Pause, auf dem Centre Court herrschte Irritation: Wirft Dodig hin? Er kam zurück, übel gelaunt. Thiem fand dessen Auftritt "nicht okay", denn: "Er kann nicht einfach einen Notfall vortäuschen." Der Ärger war schnell vorbei und Thiem entspannt. Auch wenn München eines der kleineren ATP-Turniere ist und er alle großen permanent spielt, sagt er: "Das Turnier ist mehr ein Energiespender als ein Energierauber." Er reiste mit dem Auto an, kein Jetlag, Smalltalks hier und da auf der Anlage - Thiem ist sehr bodenständig.

ATP-Turnier in München Tennis: ATP-Turnier am 29.04.2016 in München (Bayern). Dominic Thiem aus Österreich spielt gegen Dodig aus Kroatien. Foto: Angelika Warmuth/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Das bestätigt Marcus Hoser. Hoser ist einer der fleißigen Besaiter, die für die Profis die Schläger bespannen. 25 Minuten benötigt er, 35 am Tag macht das Team. Die weichste Saite wünschte sich der Kasache Michail Kukuschkin, mit 13 Kilo Bespannungsgewicht. "Mit dem Trampolineffekt hat er viel Power", erklärt Hoser, "aber schlechte Kontrolle." Der Deutsche Dustin Brown ist das andere Extrem, mit 37 Kilo. "Hohe Kontrolle, null Beschleunigung", sagt Hoser. Für Ballzauberer Brown genau das Richtige. Und wegen des feuchten Wetters gingen die Profis noch um zwei Kilo runter. Bezahlen müssen die Profis, die im Match oft nach sieben oder neun Spielen das Racket wechseln, den Service nicht. Er würde sonst einiges kosten. Vorjahressieger Andy Murray verbrauchte 42 Schlägersaiten, von Hoser & Kollegen bespannt.

Überraschend im Halbfinale: Alexander Zverev (Foto: AFP)

Zeit für einen Zwischensnack. Der obligatorische Bratwurst-Check. Vier Euro die Weiße, fünf Euro die "Riesenbratwurst". Die Preise sind stabiler als der Goldindex. Dazu ein Bier einer feinen Giesinger Brauerei (diese nicht-bayerische Plörre, in die man eine Limette tunkt, wurde endlich verbannt), ein Plätzchen in der Sonne vor dem Klubhaus des MTTC Iphitos, so mag es der Münchner Besucher.

"Bei diesem Wetter ist es hier ein Traum", schwärmt auch Klaus Eberhard. Der Sportdirektor des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) saß gerade mit Papa Zverev zusammen, ohne Bier. Eberhard, früher mal 78. der Welt, klappert gerade die möglichen deutschen Olympia-Spieler ab, Athletenvereinbarungen müssen unterzeichnet werden für alle im "Tennisteam Rio". Acht Männer, neun Frauen hoffen auf jeweils einen der vier Einzel- sowie zwei Doppel- und Mixed-Plätze. Zverev als schon 49. im ATP-Ranking wird spielen, Eberhard weiß um dessen Potenzial: "Er hat einen natürlichen Ehrgeiz, in die Weltspitze vorzustoßen, das ist sein Anspruch und nicht weniger", sagt der 58-Jährige aus Datteln. "Er hatte schon mit drei den Schläger in der Hand und ist durch seinen Bruder mit dem Tennisleben aufgewachsen." Beim Gedanken an die eigene Vergangenheit schmunzelt Eberhard. Er muss weit zurückdenken. 1980 stand er in München im Halbfinale, "ich hab gegen Gene Mayer verloren, einen Amerikaner, der Vor- und Rückhand beidhändig spielte." Dann muss er weiter. Zverev gucken.

Das Stadion ist rappelvoll, die Atmosphäre fast im Tennisdeutschland der Neunzigerjahre, und Zverev zeigt, dass er nicht lange warten will mit der Zukunft. Gegen den an Nummer eins gesetzten Wiesel David Goffin aus Belgien bestimmt der 19-Jährige oft die Ballwechsel. 6:3 der erste Satz. Eine schwächere Phase, 4:6. Aber dann: 6:3, Applaus, Winken ins Publikum und Selbstlob: "Je besser das Wetter ist, desto besser spiele ich", sagte er. In der Tat agierte er teils abgeklärt wie ein Routinier, bewies Geduld beim Aufbau von Punkten, vollstreckte mit platzierten Grundlinienschlägen. Noch nie besiegte er einen Spieler, der höher im Ranking stand, Goffin ist 13. derzeit. In diesem Jahr konnte Zverev schon die Top-20-Profis Gilles Simon und Marin Cilic übertrumpfen.

Sein Halbfinalduell mit Thiem ist sein viertes Semifinale auf der Tour und sein zweites 2016 (Montpellier), die beiden sind Kumpel. "Das wird ein interessantes Match", prophezeit Zverev, der abschließend auf seine neue, gesponserte Uhr angesprochen wird, die bescheidene 700 000 Euro kostet, die auch Rafael Nadal trägt, von der es nur 50 Stück gibt. "Die ist nicht so schlecht", sagt er verschmitzt und liest den Namen der Firma eher holprig vor. Er hat den Zeitmesser seit einer Woche. Manchmal kommt Zverev bei den eigenen Erfolgen selbst nicht mit, so schnell reihen sie sich aneinander.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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