Kevin Krawietz, 30, hat schon unzählige Pressekonferenzen abgehalten, besonders viele waren es in den Jahren 2019 und 2020, als er zusammen mit Andreas Mies jeweils in der Doppelkonkurrenz der French Open reüssierte. Damals hatten die beiden, der Coburger und der Kölner, hoch und heilig versprochen, sie wollten aus Freude den Eiffelturm abreißen. Aber dazu kam es zum Glück nicht. Paris braucht das Wahrzeichen noch. Auch auf Pressekonferenzen bei Davis-Cup-Einsätzen war Krawietz zu hören sowie natürlich bei diversen ATP-Turnieren, etwa in diesem Frühjahr in München, als die zwei ihren sechsten Titel errungen hatten. Es sollte der letzte ihres außerordentlich erfolgreichen gemeinsamen Weges bleiben.
Bald merkte Krawietz: Das lief gut mit Tim Pütz, dem cleveren Strategen
Wie Krawietz am Sonntagabend verkündet hatte, wird er in der neuen Saison mit dem Frankfurter Tim Pütz, 34, als neuem Partner auf der Tour unterwegs sein. Trennungen und Neuformierungen kommen im Doppel öfter vor, und doch gab es derart viele Medienanfragen an Krawietz, dass der sich kurzerhand entschloss, an diesem Dienstagvormittag Fragen per Videoschalte zu beantworten. Allein diese Entwicklung zeigt, was er und Mies bewirkt haben. Sie haben tatsächlich in Deutschland das öffentliche Interesse für ihre Variante des Tennisspielens geweckt.
Es klang regelrecht bedeutungsschwer, wie Krawietz seinen Vortrag eröffnete. Seine Entscheidung, Mies, mit dem er 2018 zusammenfand, zu verlassen, sei "auf keinen Fall spontan gewesen", vielmehr hätte "ein längerer Prozess" stattgefunden. In Hamburg kürzlich, als sich das deutsche Davis-Cup-Team in einer Gruppenrunde für die Endspielrunde Ende November in Malaga qualifizierte, hatten er und Pütz ja das Doppel bestritten, ein Abschied von Mies, versicherte Krawietz, sei da "noch nicht so wirklich ein Thema" gewesen. Aber er merkte: Das lief gut mit Pütz, dem cleveren Strategen, der seit Monaten der beste deutsche Doppelspieler in der Weltrangliste ist, derzeit steht er, auf der Tour noch mit dem Neuseeländer Michael Venus unterwegs, auf Rang 17. "Irgendwas lag da in der Luft", registrierte Krawietz.
Eine Woche später telefonierte er mit Pütz, die Vorstellung reifte, es miteinander zu versuchen. Beim Turnier in Tel Aviv gestand er Mies seinen Plan. Der habe es "ganz professionell" genommen, sei zwar enttäuscht gewesen, aber "nicht sauer". Mies habe "sehr, sehr gut reagiert", befand Krawietz, und ein wenig schimmerte da sein schlechtes Gewissen durch, als er sich an den Moment des Austausches erinnerte: "Es war für mich richtig schlecht ... so wie Schlussmachen logischerweise. Es war kein schönes Gefühl." So endete eines der aufregendsten Kapitel im deutschen Männertennis. Ganz friedlich und im fairen Umgang miteinander. Mies hat zwar keine Pressekonferenz einberufen, sich dafür aber im Internet ausführlich bei Krawietz für die "4 unvergesslichen Jahre" bedankt. Der 32-Jährige hat bereits einen neuen Partner gefunden, er verbündet sich mit dem Australier John Peers, der 2017 das Doppelturnier der Australian Open mit dem Finnen Henri Kontinnen gewann.
Ihre gegenseitigen Frotzeleien konnten locker mit denen von Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf mithalten
Die Geschichte von Krawietz und Mies war deshalb so verblüffend, weil sie niemand so kommen sah, nicht mal die beiden. Sie wurden selbst vom Erfolg ihrer Zweckgemeinschaft überrollt. Krawietz, der von beiden der bessere Einzelspieler war und es immerhin auf den 217. Weltranglistenplatz geschafft hatte, schwenkte aus Einsicht aufs Doppel um. Als Solist tat er sich, früh als Talent in Bayern hoch gehandelt, doch schwer. Mies, der den Umweg übers US-College gegangen war, erkletterte nur den 781. Weltranglistenplatz im Einzel. Als er 2018 mit Krawietz die ersten Erfolge bei kleineren Turnieren errang, schuf er sich eine neue Existenz im Tennis.
Die beiden harmonierten, weil sie unterschiedlich waren und sich mit Stärken und Schwächen ergänzten. Krawietz war der Lenker, der Tüftler, Mies der Impulsive, der "am Netz abräumt", wie Krawietz es am Dienstag ausdrückte. Auf diese Art gewannen sie 2019 als erstes deutsches Männerdoppel seit Gottfried von Cramm und Henner Henkel 1937 einen Grand-Slam-Titel, 2020 verteidigten sie ihn gar. Im Aktuellen Sportstudio im ZDF versenkte Krawietz dann vier Bälle in der Torwand. Plötzlich waren diese Doppelspieler populär, was auch darin zum Ausdruck kam, dass sie einen Spitznamen erhielten und dankend annahmen. Sie waren "Kramies". Die beiden verstanden das mediale Spiel bestens. Ihre gegenseitigen Frotzeleien konnten locker mit denen von Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf mithalten.
Krawietz macht kein Geheimnis daraus, dass er sich mit Pütz große Ziele setzt. "Ich glaube, dass wir Grand Slams gewinnen können, klar", bekannte er. Mit Sicherheit wird ihm Pütz mehr taktische Manöver auf dem Platz ermöglichen, schließlich ist er auch etwas solider beim Aufschlag und Return als Mies, wie Krawietz respektvoll andeutete. "Sie haben im Davis Cup schon bewiesen, dass sie Drucksituationen gut meistern können", sagte Michael Kohlmann, der als Davis-Cup-Teamchef die beiden zusammengeführt hatte; da Pütz der ranghöchste Doppelspieler war, musste er sich im September zwischen Krawietz und Mies entscheiden. Drei waren einer zu viel. So nahm auf schicksalhafte Weise das Ende von Kramies seinen Lauf.