Tennis:Die Liebe der Leute

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Geschafft: Tennisprofi Novak Djokovic legt sich nach seinem insgesamt dritten Gewinn der US Open erst einmal hin. (Foto: Julie Jacobson/dpa)

Bei den US Open hat Novak Djokovic mit seinem Finalgegner Juan Martin Del Potro wenig Mühe, zu schaffen macht ihm eher das Publikum. Der Serbe muss sich den Respekt der New Yorker erkämpfen.

Von Jürgen Schmieder, New York

Novak Djokovic stand vor seinem Aufschlag an der Grundlinie und tippte den Ball auf den Boden. Plopp, plopp, plopp, einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal, sechsmal. Es ist sein Ritual der Konzentration, also tippte er auch vor diesem Ballwechsel im zweiten Durchgang des US-Open-Endspiels gegen Juan Martin Del Potro. Plopp, plopp, plopp, siebenmal, achtmal, neunmal, zehnmal. Gewöhnlich tippt Djokovic etwa zehnmal, die Anzahl ist ein Indiz dafür, wie wichtig der folgende Punkt sein wird und wie aufgeregt Djokovic in diesem Moment ist. Er tippte weiter, als würde er nie wieder in seinem Leben aufschlagen wollen, plopp, plopp, plopp, 19 Mal, 20 Mal, 21 Mal, und vielleicht hat er in diesem Augenblick an seinen Gegner gedacht.

Dieser Gegner, das war nicht Del Potro, der war chancenlos an diesem Sonntagnachmittag, Djokovic gewann das Endspiel 6:3, 7:6(4), 6:3. Er war all seinen sieben Gegnern bei diesen US Open überlegen gewesen. Hätte er in diesem Augenblick an sie gedacht, hätte er den Ball kein einziges Mal auftippen müssen. Er hat insgesamt nur zwei Durchgänge verloren, einen in der ersten Runde gegen Marton Fucsovics (Ungarn) und noch einen in der nächsten Runde gegen Tennys Sandgren (USA). Dieses Turnier war eine Botschaft von Djokovic, dass er wieder der beste Tennisspieler der Welt ist.

Vielleicht hat er in diesem Moment, beim 21-maligen Auftippen, zuerst einmal an das New Yorker Publikum gedacht, über das er sich kurz davor massiv aufgeregt hatte. Die wollten Del Potro regelrecht zum Sieg brüllen, den Außenseiter, der schlimme Verletzungen überstanden und entgegen allen Wahrscheinlichkeiten mal wieder ein Grand-Slam-Finale erreicht hatte. Moment mal, mag sich Djokovic in diesem Moment gedacht haben, ich habe doch ebenfalls eine knifflige Zeit hinter mir - warum in aller Welt ist dann schon wieder der andere der Publikumsliebling?

Das war ja schon 2015 so gewesen, das Publikum war damals auf der Seite von Roger Federer: Die New Yorker bejubelten Doppelfehler von Djokovic und ließen zum taktisch klugen Zeitpunkt auch mal den Bierbecher fallen, um dessen Konzentration zu stören. Djokovic gewann dennoch, das Publikum war darüber nicht erfreut, es buhte zwar nicht, aber es verließ noch vor der Siegerehrung das Arthur Ashe Stadium. Das Gegenteil von Liebe, vor allem im Sport, ist Gleichgültigkeit.

"Die Liebe der Leute ist mindestens so wichtig wie diese Trophäe", sagte Del Potro nach dem Spiel mit einer Sentimentalität, die nicht kitschig klingt. Djokovic hat nun 14 Grand-Slam-Titel gewonnen, so viele wie Pete Sampras, und er hat auch in den vergangenen zwei Wochen mal wieder alles dafür getan, dass ihn die New Yorker endlich in ihr nicht immer freundliches Herz schließen. Er hatte beim so genannten "Kids Day" zwei Tage vor Turnierbeginn ein paar Spaßübungen absolviert, nach jeder einzelnen Trainingseinheit geduldig Autogramme geschrieben und für Fotos posiert, nach jeder Partie bedankte er sich artig beim Publikum und versicherte ihnen, dass sie in der großartigsten Stadt der Welt leben.

Nur: Über die Anlage liefen die Leute vor allem in Federer- und Nadal-Devotionalien, außer Freunden und Verwandten trug kaum jemand eine Mütze mit Djokovic-Logo. Er besitzt eben nicht die Leichtigkeit und Eleganz des Schweizer Maestros, auch nicht das Kämpferherz des spanischen Stiers. Das plagt ihn, seit Jahren, die Liebe der Leute ist schließlich mindestens so wichtig wie Trophäen.

"Es war eine tolle Stimmung heute, wie bei einem Fußballspiel, die einen waren für Juan Martin und die anderen für mich", sagte Djokovic. Das war freilich eine akustische Täuschung, es waren viel zu viele für Del Potro, als dass man von den einen und den anderen sprechen könnte, doch Djokovic erklärte das mit einem Kniff, den er während der Partie angewendet hatte: "Ihr wisst ja, dass mein Spitzname Nole ist. Wenn die Leute also ,Olé, olé, olé, olé' rufen, dann höre ich meinen Spitznamen." Er meine das ernst, versicherte er: "Ich habe mir das angewöhnt."

Wahrscheinlich hat Djokovic in diesem Moment, beim 21-maligen Auftippen, an die vergangenen beiden Jahre gedacht. Er trennte sich von seinem Trainerteam, zu dem auch Boris Becker gehört hatte, er kämpfte mit privaten Problemen, dann kam auch noch eine Verletzung am Ellenbogen dazu und ein äußerst holpriges Comeback - er schied im Frühjahr recht schnell in Indian Wells und Miami aus. Er versöhnte sich danach mit seinem langjährigen Trainer Marián Vajda, und nach seiner Viertelfinalniederlage bei den French Open, da bestieg er mit seiner Frau Jelena einen Gipfel im südfranzösischen Montagne Sainte-Victoire. "Ich habe dort die Welt mit anderen Augen gesehen", sagt er nun über diese Reise: "Ich habe plötzlich nur noch die positiven Dinge gesehen, im Sport und im Leben." Also: sich nicht über das Publikum aufregen, das den anderen anfeuert, sondern sich einreden, dass es der eigenen Name sein könnte.

Er gewann danach in Wimbledon, wurde mit dem Turniersieg in Cincinnati der erste Spieler der Geschichte, der alle vier Grand-Slam-Turniere sowie sämtliche neun Veranstaltungen der Masters-Serie gewann, und nun siegte er bei den US Open. Den Punkt übrigens, vor dem er den Ball 21 Mal auf den Boden ploppte, den gewann er auch. Es war der Punkt, mit dem er in einem mehr als 20 Minuten dauernden Aufschlagspiel einen Breakball abwehrte und dadurch die einzig wirklich knifflige Situation meisterhaft und nervenstark löste. Als er dieses Spiel gewann, da bemerkten auch die Anhänger von Del Potro, dass da nicht mehr viel gehen würde an diesem Abend - im dritten Durchgang begannen sie, Djokovic zu applaudieren, ja sogar anzufeuern.

Die New Yorker wollen Del Potro siegen sehen, weil der eine schlimme Leidensgeschichte hat

Die New Yorker wollten am Sonntagabend den anderen gewinnen sehen, weil die Leidensgeschichte von Del Potro noch ein bisschen schlimmer ist und weil er immer gar so nett daherkommt und gar so sentimental über die Fans spricht. Den Respekt der New Yorker, den bekommt man nicht geschenkt, den muss man sich erarbeiten. Djokovic weiß das. Nach der Partie stand er alleine auf dem Platz, und er forderte das Publikum auf, ihm zuzujubeln. Das gelang ihm tatsächlich, die meisten waren geblieben und feierten den würdigen Sieger dieser US Open. Dieser Applaus, der Respekt der Leute, dürfte Djokovic mindestens so viel bedeuten wie der Pokal, den er gleich danach bekam.

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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