Tennis:Die Kraft des Dreiecks

Lesezeit: 4 min

Das konstante Arbeiten in einem kleinen Team macht sich bezahlt: Julia Görges, 28, hat sich klammheimlich zur besten deutschen Spielerin entwickelt und nun sogar Angelique Kerber in der Weltrangliste überholt.

Von Gerald Kleffmann, Moskau/München

Am Sonntag war Julia Görges wieder in Regensburg. Kaum eingetroffen mit Physiotherapeut und Athletiktrainer Florian Zitzelsberger, auch privat ihr Partner, ging es in ein Restaurant. "Wir wollen als Team den Moment würdigen", hatte Michael Geserer am Morgen verraten. Geserer war selbst Tennisprofi, dann unter anderem Coach von Philipp Kohlschreiber. Seit zwei Jahren betreut er Görges. Auch wenn er diesmal nicht live dabei war in Moskau, war es für ihn so, als sei er dabei gewesen. "Wir haben jeden Tag telefoniert, ich habe ihre Matches alle gesehen", erzählte der 47-Jährige, "ich habe quasi die Kamera-Perspektive eingenommen von außen, und das hat auch seine Vorteile. Man erkennt dann andere Aspekte."

Der Lohn: Görges ist für die B-WM in Zhuhai qualifiziert - auch Kerber plant, dort zu spielen

Allein diese Schilderungen erklären bereits, warum Görges eine sehr gute Saison gelang. Warum sie nach sechs Jahren ein Turnier gewann, am Samstag in Moskau mit einem 6:1, 6:2-Finalsieg gegen die Russin Daria Kasatkina, es war ihr dritter nach Bad Gastein (2010) und Stuttgart (2011). Damals weckte sie Hoffnungen, als Mitglied der als goldene Generation bezeichneten Einheit, zu der Sabine Lisicki, Andrea Petkovic und Angelique Kerber zählten. In Görges' Erfolgsgeschichte 2017 geht es viel um Zusammenhalt, Aufgabenteilungen, Vertrauen. Und darum, Situationen trotz Widerständen positiv anzunehmen. Hadern hilft nicht. Und gehadert hatte sie oft, nach 2012, als sie noch 15. der Welt war und alsbald doch den Erwartungen, auch eigenen, hinterherhinkte trotz ihrer ansehnlichen Karriere. Um im Tennis erfolgreich zu sein, seien Schnellschüsse nicht zielführend, macht Geserer klar: "Es geht um ausdauernde Zielstrebigkeit. Nur konstantes Arbeiten führt zu Entwicklungsschritten."

Während bei Lisicki, Kerber, Petkovic seit längerem auffällt, dass sie am Personal tüfteln, hat im Team Jule, wie sie es nennt, jeder fix seit Ende 2015 seine Tätigkeitsfelder. "Wir sind ein kleines Team, jeder deckt viel ab", erklärt Geserer. Diese Effizienz macht sich bezahlt. Görges, 28, aus Bad Oldesloe, seit Ende 2015 in Bayern ansässig, hat in dieser Saison einen Riesenschritt in jene Richtung gemacht, wo sie mal war. Sie zählt nun zum Kreis der erweiterten Weltspitze. In gewisser Weise hat sie ein spektakuläres Comeback gefeiert. Nur dass sich dieses tarnte als unauffälliges.

Erlösung nach sechs Jahren: Julia Görges feiert in Moskau ihren ersten Turniertriumph auf der WTA Tour seit 2011. (Foto: Pavel Golovkin/AP)

Görges triumphierte nicht wie Kerber 2016 bei zwei Grand Slams und musste nicht in einen Fluss springen. Dafür schlich sich Görges mit drei Finals auf der Tour (Mallorca, Bukarest, Washington) und einem Titel in die Top 20 (als 20.) - und überholte nun Kerber (21.) in der Weltrangliste: Damit ist sie die beste Deutsche. Kerbers bescheidene Saison begünstigte die Rochade. Der erste Turniersieg der Hamburgerin Carina Witthöft in Luxemburg war die zweite spezielle Meldung des Samstags, wenngleich die Veranstaltung dort kleiner war als jene in Moskau, die als Premier Event firmiert. Görges jedenfalls hat sich gar für die B-WM Ende Oktober in Zhuhai qualifiziert, wo die besten zwölf Profis antreten, die es nicht zu den WTA Finals (gerade in Singapur) geschafft haben. Auch Kerber plant mit Zhuhai.

Ein "Sahnehäubchen" sei ihre Qualifikation, sagte Görges in Moskau. "Doch es zeigt auch", ordnete sie ein, "dass wir auf dem richtigen Weg sind und dass harte Arbeit sich auszahlt - aber natürlich auch nie genug ist und man immer weiter machen muss." Auch Geserer versichert, wie großartig der Sieg sei, "doch man muss die Kirche im Dorf lassen, es geht weiter", sagt er. Dieses Bewusstsein, innezuhalten, zu genießen ob des Erfolgs, andererseits nie in der eigenen Konsequenz des Handelns nachzulassen, ist etwas, das sich diese verschworene Truppe implementiert hat, seit man zufällig zusammenfand. Görges, die viele Jahre von Sascha Nensel trainiert wurde, war Geserer von Dritten empfohlen worden. Für den Neustart, um noch mal "ans Limit zu gehen", wie Geserer schildert, war sie dann willens gewesen, nach Regensburg zu ziehen. Zitzelsberger, ebenfalls von dort, rückte als gelegentlicher Mitarbeiter fest ins Team. Liebe und Beruf trennen Görges und Zitzelsberger im Übrigen, betont Geserer, genau diese Haltung drücke auch ihre Professionalität aus.

Mit harten Schlägen zum ersten Turniersieg: Carina Witthöft, 22, sicherte sich den Titel in Luxemburg. (Foto: Gerry Schmit/imago)

Dass Görges die wohl vielseitigste deutsche Spielerin ist, hat sie bewiesen. Sie war bei den French Open im Achtelfinale, wo auf Sand gespielt wird, mehrmals bei den Australian Open auch, dieses Jahr schied sie in jener Runde bei den US Open erst gegen die spätere Siegerin Sloane Stephens aus. In Mallorca, als sie das Endspiel erreichte, war Gras der Belag. Görges schaffte es überdies 2016 im Doppel zu den WTA Finals nach Singapur. Doch die Kunst, im Einzel dauerhaft stabil aufzutreten, gelang ihr zu selten. Geserer will nicht zu viel verraten, aber ein Ziel, an dem sie gearbeitet haben, war, Görges mehr Struktur im Spiel einzuverleiben. "Sie kann sich jetzt klarer vorstellen, wie ihre Matches ablaufen sollen." Sie will dominieren, versuchen, sich von der Art der Gegnerin unabhängiger zu machen. Die Grundlage davon sei ihre bessere Athletik, hier kommt Baustein Zitzelsberger ins Spiel. Das Finale von Moskau war somit die vorübergehende Vollendung dieser Wechselwirkung im Dreieck. "Kasatkina ist eine intelligente Spielerin", sagt Geserer. Die Nummer 24 der Welt stellt gerne strategische Denkaufgaben. Doch Görges zwang ihr einfach ihr Spiel auf und hielt ihr hohes Niveau bis zum Ende durch.

Sie hat das Beißen auch neu gelernt. "Im Tennis muss man in der Regel jede Woche mit einer Enttäuschung klarkommen", weiß Geserer. Es gehe umso mehr darum, sich am Positiven aufzurichten. Als Görges die Finals verlor, habe sie ja vorher trotzdem vieles richtig gemacht. Ergebnisse erzählen nie die ganze Geschichte. Daher wollen sie jetzt, nach dem Triumph, auch auf keinen Fall satt sein. Geserer sieht "noch viel Luft nach oben" für Görges. Aber auf ein besonderes Essen am Sonntag freute er sich natürlich schon.

© SZ vom 23.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: