Tennis:Die Kerzen brennen noch

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"Normalerweise hätte ich mich tierisch drüber geärgert, aber ich bin einfach froh, hier zu sein": Tommy Haas ließ sich von der Kälte nicht entmutigen. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Nach einer langen Auszeit hat sich Tommy Haas sportlich stabilisiert.

Von Gerald Kleffmann

Um Viertel nach drei geriet die Familie Haas schwer in Bewegung. Die Schwestern Sabine und Karin sprangen auf und hoben erfreut die Hände. Mutter Brigitte klatschte euphorisch, ihre Augen strahlten. Vater Peter zückte derweil sofort das Smartphone, dieser spezielle Moment musste festgehalten werden. Unten auf dem Sandplatz stand ja Thomas Mario, den alle Tommy nennen, der Sohn und der Bruder und der Onkel (die Neffen waren ebenfalls da). Auch er war außer sich, denn mit einem Aufschlag-Winner hatte der Tennisprofi gerade den allerletzten Punkt gewonnen. 1:6, 6:3, 6:4, mit diesem Ergebnis gegen den Ukrainer Sergej Stachowski zog Haas am Montag in die zweite Runde der BMW Open ein, damit lebt seine Geschichte vom schönen Abschied in München weiter. Mit 39 hat man manchmal ja gewisse Träume. Und Haas, das deutsche Tennis-Fossil, der immer noch einen Waschbrettbauch besitzt, aber tatsächlich schon auch ein paar verräterische Fältchen, möchte ja auf würdige Art jetzt bei jedem seiner letzten Turnier-Auftritte von der Bühne abtreten.

Die 102. Tennismeisterschaften von Bayern werden in jedem Fall eine Zäsur darstellen, und das hat im Übrigen nichts mit dem Wetter zu tun. Das war gewohnt unfreundlich. Wahrscheinlich könnten sie dieses ATP-Event vom MTTC Iphitos in die Sahara verlegen und Kälte wie Regen würden automatisch folgen. Aber die längste Abschiedstournee der Welt, die Haas kurz nach dem Aufstieg Otto von Bismarcks zum deutschen Reichskanzler startete, soll ja nun wirklich irgendwann Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres ihr ultimatives Finale erleben. Ganz genau hat sich Haas noch nicht festgelegt, wo er die Kerzen auf der Abschiedstorte ausbläst. Das kann bei den US Open sein oder in Wien im Herbst - "oder bei den ATP Finals in London, wenn er sich qualifiziert", wie sein Manager Edwin Weindorfer scherzend sagte. Oder war es kein Späßchen? Dieser Haas, zurzeit schmerzfrei, kann ja immer noch herrlichen Ehrgeiz entfalten.

In München hat er sich seinen früheren Trainer Thomas Högstedt zurück in die Box geholt, er wollte sich die wichtigsten Punkte seines Sieges gegen Stachowski noch mal auf Video ansehen, und im täglichen Trainingsmodus ist er ohnehin. "Das Balancieren mit den Emotionen" sei bei allem Einsatz auf dem Platz "nicht ganz einfach", gab Haas zu. Nach dem ersten verlorenen Satz, den er mehr als Zuschauer denn als Gegner erlebte, reichte ein Blick zu seinem Clan, um erkennen: Die lieben Verwandten könnten jetzt vielleicht gleich mein letztes Match gesehen haben! Das kann schon aufwühlen. In Satz zwei versuchte er umso mehr, den Rhythmus zu finden. Und tatsächlich war es phasenweise "richtig gutes Tennis", wie er sagte; auch Stachowski, der auf der Tour als jemand mit manchmal sehr kruden Ansichten zu Geschlechterthemen gilt, hielt variantenreich dagegen. Allein die einhändige Rückhand, mit der Haas im dritten Satz sich seinen dritten Matchball erspielt hatte, war so schön, dass man diese Rückhand als Bronzestatue verewigen sollte. Wie wohl sich Haas fühlte, belegte auch die Tatsache, dass er sich trotz der niedrigen Temperaturen wohl fühlte. "Normalerweise hätte ich mich tierisch drüber geärgert", sagte er, "aber ich bin einfach froh, hier zu sein."

In seinem 895. Profimatch trifft Haas auf Jan-Lennard Struff

Haas, der ungefähr 45 Minuten benötigt, um sich warm zu dehnen und stretchen vor jedem Match, trifft nun auf Jan-Lennard Struff. Der Warsteiner zog ebenfalls am Montag in die zweite Runde ein, er besiegte Daniel Masur 6:3, 6:4 und war danach voller Vorfreude auf sein "Idol" aus Kindheitstagen. Struff ist mit 27 zwar auch nicht mehr so jung, wie er manchmal noch wirkt, aber interessant sollte dieses Generationen-Duell werden. Haas hat sich nach einer mühsamen Findungsphase nach seiner langen verletzungsbedingten Auszeit sportlich wieder stabilisiert. In Monte-Carlo hatte er kürzlich etwa den Franzosen Benoît Paire besiegt. Und Struff ist heimlich gerade dabei, in der Weltrangliste nach oben zu klettern. 48. ist er nun, seine beste Platzierung (46.) möchte er jetzt toppen. Vor allem im Mentalen hat er mit Trainer Carsten Arriens, dem früheren Davis-Cup-Teamchef, viel gearbeitet, er kommt inzwischen ganz gut damit klar, als Favorit seine Spiele zu bestreiten. Er gehe "entspannter in Matches rein", sagte Struff, der Haas am Mittwoch herausfordern wird. Am Montag gelang im Übrigen Yannick Hanfmann ein bemerkenswerter Erfolg. Mit 25 gewann der Karlsruher sein allererstes ATP-Tour-Match, mit 6:4, 5:7, 6:1 gegen den Österreicher Gerald Melzer.

Haas wird für sein 895. Profimatch vorbereitet sein, er lotet immer noch Grenzen aus. In München etwa hat er sich am Ohr kaum sehbar tapen lassen, es ist der Versuch, positive Energie zu absorbieren. Sein Physio habe ihn dazu verdonnert, erzählte er, vielleicht "reiß' ich es heute Abend wieder raus". Haas lachte gelöst, und in diesem Moment wirkte er tatsächlich so, als könne er bald im Frieden mit sich seine Karriere beenden.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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