Tennis:Der Pirscher von Rang 16

Lesezeit: 3 min

Beim Münchner ATP-Turnier kämpfen sehr konträre Spielertypen um den Sieg. Roberto Bautista Agut ist am Finalwochenende der Geheimfavorit.

Von Gerald Kleffmann

Kurz kam Unruhe auf unter den Zuschauern, plötzlich betraten echte Tennisprofis am Mittag die Trainingsplätze. Auch Roberto Bautista Agut wagte sich hinaus und schlug Bälle. Doch als der Regen wieder zunahm, flüchtete er zurück ins Klubhaus des MTTC Iphitos. Er musste sich keinen Weg durch die tapfer ausharrenden Besuchergruppen pflügen. Der Spanier ist zwar im Viertelfinale, das aufgrund des Weltuntergangswetters am Freitag ausfiel und am Samstag nachgeholt wird, nach der Nummer eins Andy Murray als Drittgesetzter der noch ranghöchste Teilnehmer dieser BMW Open. Gleichwohl aber dürfte Bautista Aguts Promifaktor, ohne ihm zu nahe zu treten, ungefähr mit dem der Nummer 100 korrelieren. Er ist der vielleicht unbekannteste Top-20-Spieler weltweit. Bautista Agut ist der Pirscher, der Schleicher, der Anachronist auf dem Platz. Eigentlich müsste Bautista Agut so berühmt sein wie ein Weltranglisten-16. - genau dieser ist er ja.

Unter den besten Acht sind wahrlich konträre Charaktere zu finden. Wer behauptet, das moderne Tennis würde nurmehr gleiche Typen produzieren, sollte jetzt nach München kommen. Der schlaue Konterspezialist Andy Murray, Nummer drei der Welt, misst sich mit dem gerne attackierenden Tschechen Lukas Rosol. Philipp Kohlschreiber, ein Könner des wohldosierten Winkelspiels, trifft auf den Belgier David Goffin, ein wendiger Athlet mit Biss. Österreichs Dominic Thiem (gegen Landsmann Gerald Melzer) ist aufgrund seiner einhändigen Rückhand und dynamischen Art ein Ereignis. Victor Estrella Burgos fällt mit Herz und Rückhandsäge auf. Aus armen Verhältnissen hat er sich als erster Profi der Dominikanischen Republik in die Top100 gerackert, zurzeit ist der Mann mit den Stahlwaden die Nummer 51. Einst spielte er nur mit weichen Saiten, damit diese nicht schnell reißen und er Geld spart. Bautista Agut, der auf Estrella Burgos trifft, bietet wieder ein ganz anderes Profil - ein unscheinbares. Der Vater ist Banker, die Mutter besitzt ein Bekleidungsgeschäft. Mit 14 war Bautista Agut ein guter Fußballe, C.F. Villarreal ist noch heute sein Team. Er ist ein fähiger Reiter, besitzt zwei Pferde. Er entschied sich aber für Tennis. Seit 2006 ist er Profi und krebste lange herum. 2011 qualifizierte er sich nicht mal für ein einziges Hauptfeldspiel auf der ATP Tour. Und dann war er einfach da, oben im Ranking. Verblüffend, dieser Sprung.

Die Frage, wie sich der 27-Jährige selbst aus dem Hut gezaubert hat, dieser höfliche Spanier aus Castellón de la Plana bei Valencia, lässt sich nicht leicht beantworten. Sein Englisch ist noch ausbaufähig, in Interviews führt er schlicht sein gestiegenes Selbstvertrauen und eine endlich stabile Fitness als Gründe seines späten Durchbruchs an. Im Januar 2014 rang er Grand-Slam-Sieger Juan Martin del Potro bei den Australian Open in fünf Sätzen nieder - "nach diesem Match spürte ich, dass ich gute Gegner schlagen kann", sagte er später. Bautista Agut ließ Taten folgen, er gewann seine ersten Turniere, bemerkenswerterweise auf zwei gegensätzlichen Belägen, in s'Hertogenbosch auf Gras, in Stuttgart auf Sand. Dass er seitdem die Form hält, hat auch mit einem neuen Coach zu tun. Javier Piles trainiert ihn. Piles war Trainer von David Ferrer und formte diesen zum Top-10-Spieler, der von den spielerischen Mitteln her eher ein Top-20-Spieler ist. Einen Wunderschlag sucht man bei Ferrer vergebens, bei dem 33-Jährigen stechen Wille und Energie hervor. Wie bei Bautista Agut. Mit diesen Fähigkeiten hat er sich zum viertbesten Spanier entwickelt.

"Er ist wirklich nett", sagt Stephan Fehske, Trainer und Manager von Kohlschreiber, wobei sich das mit der Nettigkeit auf dem Platz erledigt. "Wenn man nur ein wenig nachlässig ist, ist er zur Stelle", weiß Fehske, der seinen eigenen Mann beim Masters in Monte Carlo jüngst gegen Bautista Agut verlieren sah. Kohlschreiber schlug zum Matchgewinn auf, einige falsche Entscheidungen, Bautista Agut war zur Stelle - mit seinen eigenwilligen Schlägen. Er spielt die Bälle flach wie kaum ein anderer übers Netz, mit verhältnismäßig wenig Spin. Einen Hauch Siebzigerjahretennis strahlt er aus. Die Rückhand ist mehr ein Treibschlag, wie einst bei Jimmy Connors. Die Vorhandbälle beschleunigt Bautista Agut durch einen Schlenker der Handgelenks in letzter Sekunde. Nicht aus dem Lehrbuch, aber effektiv.

Das belegt die Rangliste. Und eine Ehrung. 2014 wählten ihn die Kollegen zum "Most Improved Player". Konkurrenten haben ein Gespür dafür, wer sich wie verbessert. Natürlich hat Bautista Agut die Ehrung beim Tour-Finale ohne große Worte entgegengenommen. Das Scheinwerferlicht überlässt er lieber anderen.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: