Tennis:Der Leidgenosse

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Nach langer Schmerzphase und Verletzungspause wähnt sich der Schweizer Stan Wawrinka bei den US Open endlich wieder in Bestform.

Von Jürgen Schmieder, New York

Stan Wawrinka war kolossal genervt. Da stand er im Schatten des Grandstand, der sich am Rand der Tennisanlage in Flushing Meadows befindet, und er wusste nicht, wohin mit sich. Zurück in die Umkleidekabine im Arthur Ashe Stadium? Der Marsch dorthin dauert schon ohne Verkehr etwa fünf Minuten, doch es ist immer Verkehr in New York, auf den Straßen, in der U-Bahn und zwischen Tennisplätzen. Wawrinka hätte es keinesfalls innerhalb der erlaubten zehn Minuten zurück geschafft zu seiner Partie gegen Ugo Humbert (Frankreich), die er am Ende souverän mit 7:6 (5), 4:6, 6:3, 7:5 gewann.

"Ich bin dann auf die Toilette gegangen und habe mich umgezogen", sagt er danach und erklärt, dass er von dieser Unterbrechung aber mal so was von überhaupt nichts gehalten habe, weil er den Großteil der Zeit nur herumgestanden habe. Aufgrund der extremen Hitze erlauben die US-Open-Veranstalter den Männern eine Pause nach dem dritten Durchgang, und wer im großen Stadion spielt, der kann kalt duschen oder in eine mit Eis gefüllte Wanne hüpfen. Draußen, auf den anderen Plätzen, da huschen die Spieler in den Schatten und wechseln die Klamotten, danach warten sie oftmals sehr ungeduldig darauf, dass es endlich weitergeht mit der Partie.

Mit langer Narbe, aber geheiltem Knie: Stan Wawrinka. (Foto: Julian Finney/AFP)

Geduld gehört nun wahrlich nicht zu den Tugenden des 33 Jahre alten Schweizers, und das mag ihm angesichts der vergangenen zwölf Monate nun wirklich niemand verdenken. Vor einem Jahr saß Wawrinka in der Praxis seines Arztes, und beim Blick auf die Aufnahmen seines linken Knies wusste er: Das wird noch viel länger dauern als befürchtet. Er hatte einen operativen Eingriff wegen eines Knorpelschadens unbedingt vermeiden wollen, er hatte lieber mit Schmerzen gespielt und bis auf den Besuch bei einem Wunderheiler in den Schweizer Bergen so ziemlich alles probiert - doch es half nichts. Zwei Mal wurde er operiert, und die gewaltige Narbe am linken Bein ist der Beweis für das Leiden. "Du solltest mal sehen, wie es drinnen aussieht", entgegnet Wawrinka jedem, der ihn darauf anspricht, und er zwinkert dabei immer mit einem Auge. Er meint das lustig, er meint das aber auch sehr ernst. Das Comeback gestaltete sich kompliziert, weil Wawrinka dem operierten Knie immer wieder Ruhepausen gönnen musste. Er verzichtete im Frühjahr auf die US-Turniere in Indian Wells und Miami und wartete darauf, dass es endlich ordentlich weitergeht mit seiner Karriere. Bei den French Open verlor er gleich zu Beginn, in Wimbledon schied er in der zweiten Runde aus. So was nervt einen, der zu den Besten im Männertennis gehört. Die so genannten Big Four (Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic, Andy Murray) sollten ohnehin die großen Fünf getauft werden, Wawrinka hat drei Grand-Slam-Turniere gewonnen: in Melbourne (2014), Paris (2015) und New York (2016).

Wawrinka legte bislang eine ordentliche Sommer-Hartplatz-Saison hin, er besiegte knifflige Gegner wie Nick Kyrgios (Australien) oder Kei Nishikori (Japan) und schaffte gute Ergebnisse gegen Nadal und Federer. Für die US Open bekam er aufgrund früherer Erfolge eine Wild Card, in der ersten Runde gewann er überraschend souverän gegen den an Rang acht gesetzten Grigor Dimitrov (Bulgarien). Gegen Humbert hatte er, wie so oft in seiner Laufbahn, ein paar Probleme mit der Konstanz: "Ich war unkonzentriert und habe mich in diesen extremen Bedingungen auch nicht besonders wohl gefühlt." Wawrinka gewann, weil er ein viel besserer Tennisspieler ist als der 20 Jahre alte Humbert, der erst am Montag sein erstes Match auf der ATP-Tour gewonnen hatte. Nur: Wie wird es gegen Akteure laufen, die in der Nähe seines Niveaus agieren?

"Ich fühle mich zum ersten Mal gleich zu Beginn eines Turnier wieder auf einem ordentlichen Level", sagt Wawrinka: "Ich spiele richtig gutes Tennis, und ich glaube, dass ich hart genug gearbeitet habe, dass ich jetzt auch wieder selbstbewusst sein darf." Er ist wieder da, und am Freitag spielt er gegen einen, der diese Ungeduld nach langwierigen Verletzungen bestens kennt. Milos Raonic (Kanada) war mal einer, dem viele zugetraut haben, dass er die Regentschaft der großen vier/fünf würde beenden können, 2016 erreichte er in Melbourne das Halbfinale und in Wimbledon das Endspiel. Bei seinen zahlreichen Doktorbesuchen erkannte er zwar keinen Knorpelschaden im Knie, dafür aber eine Häufung von Schwachstellen, wegen denen sein Körper bei seiner aufreibenden Spielweise immer wieder streikt . Erst im Sommer hat er sich, endlich mal ohne Verletzung und Zipperlein, zurück auf Platz 24 der Weltrangliste gespielt.

Sie sind zurück, die beiden, sie fühlen sich wohl, und sie sagen das auch übereinander - wer selbst lange verletzt war, der weiß, wie der andere leidet und wie sich ein paar schmerzfreie Tage anfühlen. Also, Wawrinka über Raonic: "Seine Fitness ist zurück, sein Gefühl ist zurück. Man bekommt gegen ihn kaum Chancen, also muss man jede einzelne nutzen." Raonic über Wawrinka: "Ich habe ihn beobachtet: Er bewegt sich gut, seine Rückhand ist effektiv, er gewinnt die bedeutenden Ballwechsel und nutzt jede Chance, die man ihm lässt." Es könnte eine spannende Partie am Freitag werden, vor allem könnte sie lange dauern. Sollte es nach dem dritten Durchgang eine Pause geben, dann bleibt zu hoffen, dass beide sie in einer Eiswanne genießen können.

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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