Tennis:Das geheime Stichwort

Wimbledon 2018

Im Glücksmoment des Sieges klettert Angelique Kerber auf die Spieler-Tribüne des Centre Courts, um ihrem Trainer Wim Fissette zu danken.

(Foto: Steven Paston/dpa)

Coach, Analytiker, Psychologe: Wim Fissette hat Angelique Kerber zum Wimbledon-Sieg geleitet. Seine Gabe als Trainer besteht darin, dass er jeden Spieler besser macht.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon/München

Es gibt einen Tennistrainer, der etwas Besonderes schaffte. Er betreute vier Spielerinnen, die unter seiner Anleitung Serena Williams besiegten. Die Amerikanerin ist heute immerhin 23-malige Grand-Slam-Gewinnerin. Die Spielerinnen waren Kim Clijsters (2009), Sabine Lisicki (2013), Simona Halep (2014), Viktoria Asarenka (2016). Seit einer Woche sind es fünf.

"Ich möchte auch Grand Slams gewinnen", sagt Wim Fissette entspannt zu seiner Bilanz. Am 14. Juli ist ihm der neueste Coup gelungen. Mit Angelique Kerber, die bei einem nicht ganz unbedeutenden Rasenturnier im All England Club in London den Titel eroberte. Fissette ist ihr Coach, er arbeitet erst seit neun Monaten mit Kerber zusammen. Und der Triumph der 30-Jährigen war nicht der erste für Fissette bei einem der vier größten Turniere.

Seiner belgischen Landsfrau Kim Clijsters hat er zu drei Grand-Slam-Trophäen verholfen. Nach Lage der Fakten ist Fissette eine Art Pep Guardiola des Tennis, er macht jede Spielerin, die er anleitet, nachweislich besser. Er sieht übrigens auch lässig aus, wenn er mit einer Sonnenbrille regungslos in der Box sitzt, oberhalb der Centre-Court-Plätze, während Kerber unten den Bällen hinterherrennt. Nur kennt ihn kaum jemand, wobei sein Ruf in der Branche natürlich exzellent ist. Wer ist der Mann, der dafür gesorgt hat, dass Deutschland das erste Mal seit 22 Jahren wieder eine Wimbledonsiegerin hat?

Fissette, verheiratet, ein Kind, ist zunächst ein freundlicher, leise sprechender Mann. Er weicht Blicken nicht aus. Er beantwortet unaufgeregt jede Frage. Aber er drängt sich nicht auf. Er vermarktet sich nicht laut. Er ist kein Patrick Mouratoglou; der französische Coach von Serena Williams ist schneller als TV-Experte zu sehen, als die 36-Jährige aufschlagen kann. Williams hat Mouratoglou in Wimbledon erstmals zurückgepfiffen und ihm die häufigen Medienauftritte untersagt. Kerber müsste so etwas nie veranlassen.

"Mein Ziel ist es, eine Spielerin zu verbessern", sagt Fissette. Eine Selbstverständlichkeit für einen Trainer, aber er ordnet diesem Ansatz eben persönliche Befindlichkeiten unter. Er will nicht recht haben, er sagt vielmehr: "Ich versuche immer, kritisch zu sein, aber immer positiv gegenüber der Spielerin." Er kritisiert, ohne dass es sich wie Kritik anhört. Er hat den Ton, der zu Kerber passt. Sie mochte noch nie Belehrungen, selbst wenn sie wahr sind. Für sie ist Fissette ein Glücksfall. Dass sie sich nach der schwierigen Saison 2017 für den 38-Jährigen entschied, war nicht überraschend. Kerber suchte jemanden, der sein Handwerk in der obersten Liga versteht. Fissette war nach der Trennung von der Engländerin Johanna Konta als Trainer auf dem Markt. Seit Konta sich von ihm losgesagte, geht deren Leistungskurve steil nach unten. Kerber zählt als Vierte wieder zu den Top 5 der Welt.

Fissette war selbst kein Profi, auch wenn er in Belgien lange als Talent galt neben Xavier Malisse und Olivier Rochus. Er merkte, dass sein Potenzial begrenzt war, und fing mit 20 Jahren an, sich fürs Coaching zu faszinieren. Die Analysefähigkeit war ihm früh gegeben, und er kann sich selbst nüchtern von außen betrachten: "Ich war nicht gut genug, da bin ich realistisch." 2004 nahm er als Trainingspartner von Clijsters Kontakt zur Spitze im Frauentennis auf. Als Clijsters, die ehemalige Nummer eins, Mutter wurde und auf die Tour 2009 zurückkehrte, heuerte sie Fissette als Coach an. Sie gewannen zweimal die US Open, die Australian Open, das WTA Finale. Und doch hatte er Zweifel an seinem eigenen Wirken. "Ich wusste nicht: Liegt es an mir? Oder an der Spielerin alleine?" So von sich eingenommen wäre er nie: Clijsters hätte ja vielleicht auch ohne ihn die Titel geholt, sie hatte die Qualität. Erst als er die Deutsche Sabine Lisicki nach kurzer Zusammenarbeit gleich ins Wimbledonfinale führte, hatte er das Gefühl: Er habe eine Gabe. "2013 war ganz wichtig für mich", ordnet er ein. Ganz klar war nie, warum Lisicki und er sich trennten. Klar wurde nur: Sie hatte nie mehr einen vergleichbaren Erfolg. Fissette schon. Mit der Rumänin Halep erreichte er das Finale der French Open und das Halbfinale von Wimbledon. Mit Konta stand er im Halbfinale von Wimbledon. Als Konta und er nicht mehr in die gleiche Richtung dachten, trennten auch sie sich. Aber nie kam nachträglich ein böses Wort von ihm.

Fissette liest Biografien erfolgreicher Menschen - weil er von ihnen lernen kann

Fissette ist offensichtlich eine Mischung aus Coach, Analytiker und Psychologe. "Ich lese viel", sagt er. Bücher über Techniken, Taktiken. Auch Autobiografien über erfolgreiche Menschen. Er will von ihnen lernen. Er studiert leidenschaftlich Statistiken, Daten, Fakten, er nennt das "mein Hobby". Dieses Hobby kommt auch Kerber zugute. Wobei Fissette auffällig darauf achtet, nicht zu viel auf einmal zu kommunizieren. Kerber verriet, sie nehme nur "Stichworte" mit auf den Platz. "Mein Ziel ist es, dass die Spielerin zu 100 Prozent vorbereitet ist", sagt Fissette. "Und dass ich die zwei Prozent finde, die den Unterschied ausmachen."

An Kerber bewundert er, "dass sie große Matches kann", er glaubt auch, dass "da noch mehr kommt". Er sagt das aber nicht wie eine forsche Behauptung. Es klingt so, als erkläre er einen normalen Entwicklungsprozess, den er auch auf sich bezieht. "Ich lerne jeden Tag von jeder Spielerin", sagt er.

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