Tennis:Auf dem besten Weg zum Ex-Rüpel

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Spiel mit dem Rüpel-Image: Nick Kyrgios bekommt nach seinem Turniersieg in Tokio eine riesige Weinflasche gereicht - und setzt diese prompt an. (Foto: Kiyoshi Ota/dpa)

Nick Kyrgios tritt wie ein kontrollierter Tennisprofi auf - und gewinnt sein bisher größtes Turnier.

Von Gerald Kleffmann

Die Nachricht an sich klingt wenig spektakulär: Nick Kyrgios hat am Sonntag die Japan Open in Tokio gewonnen. In der ersten Runde besiegte der Australier aus Canberra den Amerikaner Ryan Harrison, in der zweiten trat der Tscheche Radek Stepanek nicht an, in der dritten war der Luxemburger Gilles Muller chancenlos, wie der Franzose Gaël Monfils im Halbfinale. Am meisten kämpfen musste Kyrgios im Endspiel gegen den Belgier David Goffin, ehe das 4:6, 6:3, 7:5 feststand. Auffälligkeiten in der Woche seines dritten und größten Erfolges auf der ATP Tour? Einmal versorgte er einen kollabierenden Fan mit Wasser. Drei-, viermal schlug er den Ball durch die Beine. Im Großen und Ganzen hat Kyrgios kontrolliert agiert, nicht lamentiert, nicht mal, als es irgendwo klingelte. Er hat die Hände geballt beim Jubel. Kyrgios ist wie ein ernsthafter Profi aufgetreten.

Genau das ist aber eine Nachricht, die sehr bemerkenswert ist. Der Spieler, der als Obermacker und Rüpel gilt, der Spieler, der gerne mit Aktionen auffällt, die nichts mit seinem von Natur aus leichten Spiel zu tun haben, der Olympia wegen Eskapaden verpasste, dieser Spieler war nun einer, der versuchte, sein Können abzurufen - sofort gewinnt er, überzeugend dazu. Wenn Kyrgios dieses schwammige Wort Potenzial sichtbar machen wollte - in Tokio ist es ihm gelungen.

Experten sagen seit Jahren, dieser Kyrgios mit dem unermesslichen Ball- und Schlaggefühl könne die Nummer eins der Weltrangliste werden. Auch Andre Agassi wiederholte jüngst erst, Kyrgios könne den Thron erklimmen. Aber der achtmalige Grand-Slam-Champion ermahnte ihn auch, besorgt darum, dass er nicht sein Potenzial ausschöpfe: "Er muss offenbar eine Form der Inspiration finden, um in Fahrt zu kommen." Die fehlt Kyrgios tatsächlich immer wieder phasenweise, denn hinter seiner coolen Fassade ist auch ein nachdenklicher, feinfühliger junger Mann, dem Tennis nicht alles bedeutet. Er könne sich nicht vorstellen, mit 30 noch zu spielen, sagte er mal; 21 ist er jetzt. Im Internet veröffentlicht er gelegentlich Aufnahmen von sich und seiner Freundin Ajla Tomljanovic, die anrührend sind. In Kroatien waren sie im Sommer wandern wie normale Backpacker.

Auf den Rat von John McEnroe, er solle sich etwas anderes suchen, wenn er keine Lust auf Tennis habe, ging er aber bislang nicht ein. Der frühere Profi wollte ihn wohl ohnehin nur anstacheln, wie Agassi, denn Kyrgios, das wissen auch die namhaften Experten, tut der Szene gut. Vor allem wenn Roger Federer und die großen Vier einmal abtreten, sind Erben vonnöten. Die drängen zumindest bei den kleineren und mittelgroßen Turnieren nach vorne. Der Hamburger Alexander Zverev gewann kürzlich in St. Petersburg seinen ersten Titel, der junge Russe Karen Khachonow triumphierte in Chengdu.

Mit dem Sieg in Tokio erreicht Kyrgios als 14. seinen höchsten Weltranglistenplatz. Bei der Ehrung dankte er seiner Mutter, am Abend nahm er den Flieger nach Shanghai, zum nächsten Turnier. Wenn Kyrgios nicht aufpasst, gilt er bald als Ex-Rüpel.

© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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