TBV Lemgo reist nach China:Auf Schlüsselsuche im Handball-Nirwana

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Was Fußballklubs wie der FC Bayern schon seit Jahren praktizieren, wagt nun auch der Klub aus der Handball-Bundesliga: Der TBV Lemgo reist zur Saisonvorbereitung nach China und hofft, vor Ort neue Sponsoren zu finden. Ganz freiwillig geschieht die Reise nicht.

Carsten Eberts

Volker Zerbe wird eine Attraktion sein in China, so viel steht fest, mit 2,11 Metern Körpergröße ist der frühere deutsche Handball-Nationalspieler fast 50 Zentimeter größer als der Durchschnitts-Chinese.

Auf nach China: die deutschen Nationalspieler Carsten Lichtlein und Florian Kehrmann. (Foto: imago sportfotodienst)

Zerbes Verein, der TBV Lemgo, hat in der kommenden Woche Erstaunliches vor: Der TBV wird ab dem 22. Juli für acht Tage durch das Land der Mitte reisen, dabei viermal gegen die chinesische Nationalmannschaft antreten, erst in Shanghai, später in Shangijagang, Danyang und Peking. "Wir sind dort in offene Türen gelaufen", sagt Zerbe, 44, Geschäftsführer des TBV, wenige Tage vor dem Abflug. So recht weiß er nicht, was seinen Klub erwartet, die Reise ist schließlich ein Novum: Noch nie hat sich ein deutscher Handball-Erstligist zuvor nach China aufgemacht.

Will Lemgo den Chinesen beibringen, wie man richtig Handball spielt? Auch, sagt Zerbe, jedoch nicht nur. Die Reise des Bundesliga-Neunten ist nicht nur die erste Kooperation eines deutschen Klubs mit dem chinesischen Verband; sie ist auch der vorsichtige Versuch, auf den gigantischen Sport- und Werbemarkt vorzustoßen. Im Fußball sind Asienreisen schon seit längerer Zeit Usus, in diesem Sommer machen sich der FC Bayern und der VfL Wolfsburg auf, um wertvolle wirtschaftliche Kontakte zu knüpfen (und nebenbei locker gegen den Ball zu treten). Im Handball ist der chinesische Markt hingegen unerforscht, aber die Überlegungen sind ähnlich. Vielleicht findet sich ja ein handballbegeisterter Geschäftsmann, der künftig ein paar Euro in den Lemgoer Bundesliga-Etat einbringt?

Schlecht wäre das nicht, erst am Montag wurde bekannt, dass der TBV im Juni eine große Finanzlücke zu stopfen hatte, wozu auch die Profis mit einem Gehaltsverzicht beitrugen. Wer nicht gerade THW Kiel oder HSV Hamburg heißt oder zumindest unter den Top Fünf der Liga mitmischt, muss schließlich sehen, wie er an sein Geld kommt. Tradition reicht im deutschen Handball längst nicht mehr, um eine Marke zu sein. In der vergangenen Saison hätte es mit dem VfL Gummersbach und dem TV Großwallstadt beinahe zwei Altmeister erwischt: Gummersbach vermied knapp den Konkurs, Großwallstadt erhielt die Lizenz erst im Nachfassen.

Auch in Lemgo sind die unbeschwerten Zeiten vorbei, als der Klub noch die Liga dominierte und die halbe deutsche Nationalmannschaft in seinem Kader hatte. Der Klub aus der Region Ostwestfalen-Lippe kommt aus einem wenig strukturstarken Gebiet, auf der Suche nach Geldgebern müssen Zerbe und sein Kompagnon Fynn Holpert erfinderisch sein; gerade erst haben sie ein IT-Unternehmen als Trikotsponsor gewonnen.

"Vielleicht ist China der Schlüssel, den wir suchen", sagt Zerbe vorsichtig. Ein TBV-Sponsor in Lemgo hat bereits gute Kontakte nach China, Zerbe und Holpert wollen diese nutzen, womöglich ausbauen, viele Gespräche führen.

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Carsten Eberts

"Wir suchen ja keinen neuen Eigner", sagt Zerbe. Aber mittelfristig auszahlen soll sich die Reise schon. Auch bei der Handball-Bundesliga (HBL) wird die Reise mit Spannung verfolgt. HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann wird die Delegation sogar fünf Tage begleiten, um zu sehen, was in Sachen Sponsoring für die Liga machbar ist. "Über einen der größten Märkte der Welt sollte man sich auch im Handball Gedanken machen", sagt Bohmann.

Will den TBV Lemgo fit für die Zukunft machen: Geschäftsführer Volker Zerbe. (Foto: imago sportfotodienst)

Während der Tischtennis-Weltmeisterschaft im Frühjahr in Dortmund hatte der 47-Jährige bereits erste Gespräche geführt, diese will er nun intensivieren. Ob die deutsche Liga bald einen offiziellen Sponsor aus China hat? Bohmann weiß es nicht. Das Lemgoer Engagement kommt ihm jedenfalls gelegen. "Ob Kontakte nach China ein Allheilmittel sind, weiß ich nicht", sagt Bohmann zwar, "aber sie sind zumindest eine Chance."

Bleibt der sportliche Wert der Reise ins Handball-Nirwana, die mitten in die Vorbereitung auf die neue Bundesligasaison fällt. Die gesamte Profimannschaft wird dabei sein, auch Nationalspieler wie Carsten Lichtlein oder Martin Strobel, der Trip wird eine Belastung werden. Hinzu kommt, dass der sportliche Wert ziemlich überschaubar ist.

Echte Gegner warten kaum, Handball in China beschreibt TBV-Geschäftsführer Zerbe als "zartes Pflänzchen", einen vergleichbaren Ligaspielbetrieb wie in Europa gibt es nicht. Dennoch traut Zerbe den Chinesen in Zukunft einiges zu: Die Trainerausbildung wird immer professioneller, die Sportart profitiert auch von den staatlichen Strukturen und den guten Trainingsstätten, die es überall im Land gibt.

"Jede Sportart, die in China unterstützt wird, hat ein klares Ziel", erklärt Zerbe. Bis 2020, so lautet der Plan, will China auch im Handball Weltspitze sein. Wenn die deutsche Nationalmannschaft in acht Jahren im Olympia-Halbfinale plötzlich an den austrainierten Schlacksen aus China scheitert, ist schon klar, wer Mitschuld daran trägt: der TBV Lemgo aus Ostwestfalen-Lippe.

© SZ vom 19.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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