Wie alles gekommen wäre, wenn er woanders hin gewechselt wäre, weiß Andreas Beck nicht. Er weiß nur, dass alles ziemlich gut gelaufen ist, seit er im vergangenen Sommer entschied, zu Besiktas Istanbul zu wechseln, allen Warnungen vor dem Chaos im türkischen Fußball zum Trotz. Beck, 29, könnte neun Jahre nach seinem Meistertitel mit dem VfB Stuttgart und nach sieben Jahren Mittelmaß bei der TSG Hoffenheim bald wieder eine Trophäe in die Luft stemmen. Wenn Besiktas am Sonntagabend zum Derby bei Galatasaray antritt, kann das Team um Beck und Nationalspieler Mario Gomez an der Tabellenspitze den Dreipunkte-Vorsprung vor Verfolger Fenerbahce verteidigen - drei Spieltage vor Saisonende.
Viele Fenerli, wie die Anhänger Fenerbahces von der asiatischen Seite der Millionenmetropole genannt werden, befinden sich in einem Zwiespalt: Sympathie für den verhassten Rivalen Galatasaray ist eigentlich verpönt. Aber verliert Besiktas, könnte Fenerbahce mit einem Sieg am Montag beim Rangvierten Istanbul Basaksehir punktemäßig gleichziehen. Das Meisterschaftsrennen zwischen Besiktas und Fenerbahce ist also spannend. Und nun steht ein Derby an. Andreas Beck weiß um die hitzige Atmosphäre: "Bei den Derbys, die ich bisher gespielt habe, hat die Stadt immer Kopf gestanden."
Mario Gomez will Champions League spielen
Für Galatasaray geht es auch um viel in diesem Spiel, der Klub erlebt eine außergewöhnlich schlechte Saison. Der Holländer Jan Olde Riekerink ist der vierte Trainer in dieser Spielzeit, die Mannschaft liegt 28 Punkte hinter Tabellenführer Besiktas auf Rang 6. Jüngst sperrte die Uefa Galatasaray für zwei Spielzeiten (eine auf Bewährung) wegen Verstößen gegen die Financial Fairplay Regeln von allen Europapokal-Wettbewerben. Nationalspieler Lukas Podolski trifft zwar ordentlich (zwölf Tore in 28 Spielen), aber der Kölner hat sich die Saison nach seinem Wechsel vom FC Arsenal anders vorgestellt.
Gomez und Beck schreiben positive Schlagzeilen in einer Liga, die seit Jahren im Chaos versinkt. Die Zuschauerzahlen gehen wegen der grassierenden Gewalt um die Spiele und der Einführung eines umstrittenen Ticketsystems seit Jahren zurück. Die Süperlig ist massivem Einfluss der Politik ausgesetzt. Die Entgleisungen gegen Offizielle und Schiedsrichter nehmen seit dem großen Manipulationsskandal von 2011 immer mehr zu. Zuletzt verprügelte ein Fan von Trabzonspor den Torrichter, Platzstürme sind ebenso nicht selten wie die folgenden Platzsperren. Die meisten Klubs sind hochverschuldet, die Zahlungsmoral nicht immer vorbildlich.
Eine positive Geschichte also: Rechtsverteidiger Beck, 29, ist in Istanbul schnell zu einem Publikumsliebling avanciert, und noch nie hat ein Ausländer mehr Tore für den Klub in einer Saison erzielt als Gomez in dieser. Mit bislang 24 Treffern hat sich der 30 Jahre alte Mittelstürmer nach zwei vermaledeiten Spielzeiten in Florenz in der Türkei wieder zurück in die deutsche Nationalmannschaft gespielt - und Begehrlichkeiten anderer Klubs geweckt.
Eine Option für eine Weiterbeschäftigung bei Besiktas über diese Saison hinaus ließ Gomez jüngst verstreichen. Er wolle sich erst nach der Saison entscheiden, erklärte er. In der Türkei wird seither darüber spekuliert, dass Gomez Besiktas verlassen könnte, was der Spieler und der Präsident des Klubs vehement dementieren. Gomez will in der Champions League spielen und abwarten, wie der Kader von Besiktas in der neuen Saison aussehen wird. Am Sonntag aber will er wieder treffen, im Derby. Andreas Beck sagt: "Mario war schon immer eine Tormaschine."
Dass es von Anfang so aufwärts ging für Beck und Gomez bei Besiktas, hat viel mit der Kaderzusammenstellung zu tun. Viele Spieler beim Klub aus dem gleichnamigen Stadtviertel auf der europäischen Seite Istanbuls haben deutsch-türkische Wurzeln. Jüngst feierte die Mannschaft beispielsweise zusammen die Hochzeit des ehemaligen Profis von Eintracht Frankfurt Cenk Tosun. "Die Konstellation hier hat gerade am Anfang natürlich einiges leichter gemacht, wir haben uns super gefunden", sagt Beck. Die Mannschaft spielt erst seit ein paar Wochen nach jahrelanger Bauzeit im neuen, hochmodernen Heimstadion, das direkt am Ufer des Bosporus liegt. Auch die Heimspiele auf fremden Plätzen brachten die Elf nicht von ihrem Erfolgsweg ab.
Besiktas spielt Ballbesitz-Fußball
Mit Senol Günes, 63, trainiert ein erfahrener Trainer die Elf. Der Mann aus Trabzon führte die türkische Nationalmannschaft 2002 zu ihrem bisher größten Erfolg, dem dritten Platz bei der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea. Günes verfolge einen Ansatz, der über den Fußball hinausgehe, fast philosophisch, erzählt Beck, und finde so einen sehr guten Zugang zu den Spielern. Besiktas spiele dominanten Fußball: "Unser Trainer steht definitiv für Ballbesitz-Fußball, sagt Beck, "wir haben in fast allen Spielen mehr Ballbesitz als der Gegner."
Beck und Gomez durchliefen die Jugend-Ausbildung beim VfB Stuttgart und feierten 2007 gemeinsam die deutsche Meisterschaft mit dem VfB. In der Türkei gemeinsam mit Besiktas den Titel zu gewinnen, wäre eine schöne Pointe in der Laufbahn der beiden - und der endgültige Beweis, dass sie im vergangenen Sommer alles richtig gemacht haben.