Springreiten:Der Rücken! Der Nacken! Die Schulter!

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Olympiasieger mit 58 Jahren: Nick Skelton. (Foto: Jim Hollander/dpa)

Der 58-jährige britische Sieger Nick Skelton war wegen körperlicher Probleme schon oft abgeschrieben worden.

Von Gabriele Pochhammer, Rio de Janeiro

Das Podium erklomm der ältere Herr noch ohne Probleme, zurück in den Sattel seines Pferdes Big Star ging es schon ein bisschen mühsamer. Da war der 58-jährige Springreiter-Olympiasieger Nick Skelton für den kleinen Hocker dankbar, den der Pferdepfleger vorsorglich mitgebracht hatte. Der Rücken! Der Nacken! Die Schulter! Die Liste der Knochenbrüche im mehr als 50-jährigen Reiterleben des Briten ist lang. Er hat zu neun Mannschaftsmedaillen bei Championaten beigetragen, viele Große Preise und den Weltcup gewonnen. Und jetzt ist er Olympiasieger, der älteste der Reitsportgeschichte, bei seinen siebten Spielen. Errungen nach einem rasanten Stechen, das Skeltons Worte Lügen strafte. "Ein bisschen eingerostet" seien er und sein Pferd, hatte er vorher gesagt. Davon war nichts zu merken.

Skelton hatte als erster der sechs Reiter im Stechen die ungünstigste Position. "Mir blieb nur eins: Ich musste die anderen unter Druck setzen", erklärte er. Kurze Wege, hohes Tempo und möglichst keine Stange berühren, die in den Kursen von Rio so leicht davonrollten wie Mikadostäbe. "Ich wusste, dass mein Pferd schnell ist", sagte Skelton. Und Big Star spielte mit, 42,82 Sekunden waren nicht mehr einzuholen. Jedenfalls nicht ohne Fehler. "Ich habe es versucht", sagte der schwedische Silbermedaillengewinner Peder Fredericsson (43,35), "mein Pferd ist auch schnell, aber es ging einfach nicht." Der Bronzemedaillengewinner, der Kanadier Eric Lamaze, setzte als letzter Reiter im Stechen alles auf eine Karte. Der Olympiasieger von 2008 war zwar noch schneller als Skelton (42,09), aber seine Stute Fine Lady ließ eine Stange mitgehen.

Die deutschen Reiter waren im Stechen nicht mehr dabei. Christian Ahlmann mit Taloubet Z und Daniel Deußer mit First Class wurden nach je einem Abwurf in der B-Runde gemeinsam mit fünf anderen Reitern Neunte. Meredith Michaels-Beerbaum gab auf, nachdem Fibonacci zum ersten Sprung im A-Kurs so unpassend hinkam, dass er fast gestürzt wäre. Zufrieden waren sie trotzdem mit dem olympischen Turnier, das von der hart erkämpfte Mannschaftsbronzemedaille gekrönt wurde. "Alle haben hier tolle Runden gedreht, sagte Bundestrainer Otto Becker, "die Weltspitze liegt so dicht beieinander, da macht ein Fehler schon wahnsinnig viel aus."

Skelton triumphiert 16 Jahre nach einem Genickbruch

An dieser 25. Goldmedaille für Großbritannien hat ärztliche Kunst keinen unwesentlichen Anteil. Nick Skelton und Big Star waren schon mehrfach fast abgeschrieben. Vor 16 Jahren brach sich Skelton das Genick bei einem Sturz, sein Leben hing am seidenen Faden, die Karriere schien zu Ende. Monatelang lief er mit einer Art eisernen Halskrause herum, um die Wirbelsäule zu stabilisieren. Kaum konnte sie abgenommen werden, saß er wieder im Sattel. Seine Ärzte warnten ihn: Jeder weitere Sturz würde möglicherweise ein Leben im Rollstuhl bedeuten. Und vor Stürzen ist auch der beste Reiter nicht gefeit. Dennoch: Peu à peu erkämpfte sich Skelton den Weg zurück in den Sport, gewann wieder große Springen. Mit Big Star gehörte er dann zu dem britischen Olympiateam, das in London 2012 die Mannschaftsgoldmedaille holte.

Im Jahr darauf gewann das Paar den Großen Preis von Aachen. Doch dann war erst mal Schluss, Big Star war immer wieder verletzt und musste zwischendurch pausieren, wurde allmählich ein Pflegefall. "Wir haben ihn gepäppelt und gepäppelt, das war wirklich viel Arbeit", sagte Skelton. Die Mühe hat sich gelohnt. Im Mai in La Baule/Frankreich sah er mit einer doppelten Nullrunde im Nationenpreis schon wie ein möglicher Olympiasieger aus, aber Chancen hatten am Ende ein gutes Dutzend Reiter. Skelton schaffte den Sprung ins britische Rio-Team, zusammen mit den Brüdern John (61) und Michael Whitaker (56) sowie Ben Maher (33), zusammen zählen sie 208 Jahre, auch das ein Rekord.

Beim Heimspiel 2012 versagten dem Pferd die Nerven

Seine wilden Jahre, mit denen es Skelton zur trinkfreudigen Romanfigur der Erfolgsautorin Jilly Cooper brachte, sind vorbei. Er lässt es ruhiger angehen, im örtlichen Pub ist er immer noch gerne, aber aus etwas anderen Gründen als früher - inzwischen gehört es ihm. Seine beiden Söhne Dan und Harry sind erfolgreich im Rennsport unterwegs, der eine als Trainer, der andere als Jockey. Der Rennstall ist nur wenige Minuten von Skeltons Haus entfernt, da schaut er häufig vorbei. Bleibt die Frage, warum er sich das immer noch antut, immer noch mit seinem Pferd über 1,60 Meter hohe Hindernisse springt, immer noch den Sekundenbruchteilen hinterherjagt. "Es hat was mit den Pferden zu tun", sagt er. "Wenn du ein Pferd hat, das gut genug ist zum Gewinnen, dann bleibst du einfach dran."

Big Star ist so ein Pferd, und nach London 2012 musste Nick Skelton schon deswegen dranbleiben, weil ihm nur ein unglücklicher Tag den Einzel-Olympiasieg vermasselte. Damals erschrak Big Star vor der jubelnden Menschenmenge, obwohl das braune Tier normalerweise die große Kulisse liebt, es wird berichtet, dass er beim Anblick eines Parcours schon mal freudig wiehert. Ihre Karriere werden sie gemeinsam beenden. "Wenn Big Star geht, dann gehe ich mit", sagte der Reiter in Rio. Also eher kein Tokio 2020. Nick Skelton verabscheut nämlich japanisches Essen.

© SZ vom 21.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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