Noch 317 Tage, dann könnte Monika Karschs Traum in Erfüllung gehen. In zehn Monaten, fünf Wochen und zwei Tagen findet das Finale im Sportpistolenschießen der Frauen über 25 Meter bei den Olympischen Spielen in Tokio statt - vielleicht auch mit Monika Karsch. In Rio de Janeiro gewann sie 2016 bereits die Silbermedaille - Erinnerungen, "die immer noch tief in meinem Herzen sind und mich bis heute unheimlich antreiben und motivieren", wie die 36-Jährige selbst sagt.
Für die gebürtige Schongauerin von der HSG Regensburg sind die Olympischen Spiele "das höchste, was du als Sportler erreichen kannst." 2016 durfte sie nur mit nach Rio reisen, weil ein Quotenplatz aus dem deutschen Team getauscht wurde. "Nachdem im Mai feststand, dass ich dabei sein werde, war der Jubel erst einmal riesig", erzählt sie heute. "Allerdings ging es dann sehr schnell: Man muss direkt umschalten und braucht einen neuen Plan." Karsch liebt die Atmosphäre bei Großereignissen, allerdings überwiegt auch bei ihr der sportliche Ehrgeiz: "Die Kunst besteht darin, das Drumherum zu genießen und zu lieben und gleichzeitig genau deswegen den Fokus auf dem Wettbewerb zu haben."
Wohl die wenigsten Experten rechneten damit, dass Karsch sich dann auf der größten Sportbühne der Welt bis ins Finale schoss - und am Ende mit Silber dekoriert zurück nach Deutschland fliegen durfte. "Ich habe mir vor kurzem erst wieder das Video angeschaut. Ich war wirklich so nah an Gold dran, ich weiß nicht, ob mir das noch mal gelingt", sagt die zweifache Mutter. "Aber dieses Gefühl noch einmal erleben zu können, ist der Antrieb hinter allem, was ich momentan tue."
Der Plan, den sie sich gemeinsam mit ihrem Mann erarbeitet hat, ist voll und ganz auf die Olympischen Spiele in gut 300 Tagen ausgerichtet. Ein wichtiger Richtungsweiser sind die Europameisterschaften in Bologna, die für sie an diesem Donnerstag starten. Es ist der Höhepunkt der diesjährigen Saison, in der Karsch schon unter Beweis stellen konnte, dass sie inzwischen zu einem festen Bestandteil der Weltspitze geworden ist: In Neu Delhi und Peking landete sie jeweils auf dem vierten Platz, in der Weltrangliste steht sie auf Rang sieben. 2017 in Baku wurde sie Europameisterin. "Ich war jetzt zwei Jahre lang Europameisterin und würde das natürlich gerne wieder werden", sagt sie. "Mein Ziel war es, diese Saison so zu planen, dass ich mich beim Höhepunkt gut fühle. Und ich glaube, die Form ist da." Druck verspüre sie aber nicht. "Ich freue mich, dass ich jetzt mal wieder liefern darf."
Geliefert hatte Monika Karsch in dieser Saison schon einige Male, der vierte Platz in der chinesischen Hauptstadt war auch gleichbedeutend mit einem elementar wichtigen Quotenplatz des Deutschen Schützenbunds (DSB) für die Olympischen Spiele. Ob Karsch diesen Platz auch tatsächlich erhält, entscheidet der DSB allerdings erst nach den internen Qualifikationswettkämpfen im Frühjahr 2020. "Bisher haben wir zwei Plätze für fünf Leute. Ich bin in einer guten Form, deshalb gehe ich da selbstbewusst rein." Doch so hart, wie der Konkurrenzkampf auf dem Papier aussieht, geht es dann doch nicht zu im deutschen Team: "Bei den Europameisterschaften gibt es auch eine Teamwertung. Ich finde schön, dass man nicht alleine am Start ist, sondern geschlossen als Mannschaft auftritt." Nach dem überragenden Abschneiden von Rio mit drei Gold- und einer Silbermedaille sind die Erwartungen an den Schützenbund für die Spiele in Tokio hoch, bisher konnten die deutschen Starter aber nur fünf Quotenplätze sichern. "Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es mit diesen Quotenplätzen ist", sagt Karsch. "Aber ich bin mir ganz sicher, dass einige gute Schützen es noch schaffen, sich einen Quotenplatz zu erarbeiten oder über die Weltrangliste noch einen bekommen." Sie selbst sei das beste Beispiel dafür, denn 2016 bekam sie die Zusage auch erst gut sechs Wochen vor den Olympischen Spielen.
Karsch kann sich im Gegensatz zu anderen Schützen aber dieses Mal voll auf sich und ihre Wettkämpfe fokussieren, das Ziel Olympia steht schon lange über Allem. "Die Spiele sind ständig im Hinterkopf", sagt sie. Ihr Ehemann und Trainer Thomas war damals auch in Rio bei den Spielen dabei, ihre beiden Kinder Lina, 8, und Bruno, 6, feuerten ihre Mama vor dem Fernseher an - auch für Tokio ist das so geplant. "Ich würde es gerne wieder so machen, dass meine Kinder bei meiner Mama bleiben und mein Mann mit nach Tokio fliegt", sagt Karsch. "Es tut einfach gut, wenn man vor Ort eine gute Betreuung hat. Und es ist auch einfach schön, das gemeinsam zu erleben. Immerhin haben wir auch als Team jahrelang darauf hingearbeitet."
Spätestens in 317 Tagen wird sich herausstellen, ob diese jahrelange harte Arbeit sich auch in Edelmetall umwandelt. "Man kann auch jetzt wieder nur von einer Medaille träumen", sagt Karsch. "Schlussendlich entscheidet dann im Finale die Tagesform, wer am Nervenstärksten ist und die richtigen Entscheidungen in den richtigen Situationen trifft." Vor drei Jahren hat Monika Karsch schon einmal bewiesen, dass sie dazu durchaus in der Lage ist.