Sportpolitik:Mehr als 60 Kriterien

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Nach den Spielen in Rio soll die große Reform des Leistungssports beginnen - im Kern geht es um die Frage, nach welchen Kriterien die Gelder verteilt werden.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Neben so wunderbar klingenden Worten wie Copacabana ist rund ums deutsche Team in Rio auch ein Begriff dauerpräsent, der sich deutlich sperriger anhört. "Leistungssportstrukturreform", heißt das Wortmonstrum, und es ist auch weitgehend egal, ob die Mannschaft das Ziel von 44 Medaillen am Ende verpasst oder die Bilanz in den Schlusstagen noch etwas poliert. Im Herbst soll sie beschlossen werden, die große Reform.

Im Kern geht es um die Frage, nach welchen Kriterien das zuständige Bundesinnenministerium (BMI) das für den Sport vorgesehene Steuergeld (derzeit zirka 150 Millionen Euro) unter den Verbänden verteilt. Durch Rio wabert die Reform bisweilen noch wie ein schwer fassbares Gespenst, und in der Tat ist manches noch unklar. Aber andererseits sitzen Vertreter des BMI und des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) seit geraumer Zeit an dieser Reform - und kurz vor Rio verabschiedeten sie in ihrem gemeinsamen "Beratungsgremium" ein Papier mit den Kernelementen. Darüber stehen oft gehörte Schlagworte wie mehr Effizienz und mehr Athletenfokussierung, und inhaltlich ist schon manches abzuleiten. Erstens: Es wird ziemlich kompliziert. Zweitens: Einige Verbände müssen drastische Kürzungen befürchten. Und drittens: Der DOSB könnte an Einfluss verlieren.

Das bisherige und wenig transparente Konzept aus Grund- und Projektförderung wird vollständig abgeschafft. Stattdessen ist ein mehrstufiges Verfahren vorgesehen. In der ersten Stufe soll es künftig eine Bewertungskommission geben. Dazu gehören nicht nur Vertreter des DOSB, sondern auch externe Experten und Wissenschaftler. Diese Gruppe soll jede Disziplin (nicht nur jeden Verband) in mehr als 60 minutiös aufgeschlüsselten Haupt- und Unterkriterien bewerten. Diese Kriterien betreffen ganz verschiedene Aspekte des Sports, von den Erfolgen bei den letzten Spielen über die Entlohnung des Spitzenpersonals und die Trainingssteuerung bis zur Vertretung eines Fachverbandes in internationalen Gremien. Der proklamierte Grundgedanke: Anders als bisher sollen nicht die vergangenen Erfolge zuvorderst wichtig sein, sondern Potenziale in der Zukunft. In jeder Kategorie kann eine Disziplin bis zu zehn Punkte erhalten, für die Gesamtrechnung fallen die Gewichtungen der Kategorien unterschiedlich stark aus.

Dann kommen alle diese Daten in einen großen Computer namens Permit, der berechnet und verknüpft, und am Ende landet jede Disziplin in einer von drei Fördergruppen ("Cluster"). Die Disziplinen aus Gruppe eins dürfen sich künftig als "Exzellenzcluster" fühlen und mit umfassender Unterstützung rechnen, Gruppe zwei kommt als "Potenzialcluster" immerhin noch in den Genuss einer anteiligen Förderung. Aber wer in Gruppe drei landet, muss sich darauf einstellen, quasi nichts mehr zu bekommen.

Gibt es vom Ministerium künftig mehr als 150 Millionen Euro?

So weit, so scheinbar objektiv und transparent. Aber mit den Berechnungen von Permit ist der komplizierte Prozess noch nicht zu Ende, sondern dann setzt Stufe drei ein. Das sind sogenannte Abstimmungsgespräche zwischen DOSB, Ministerium und Ländern mit den Verbänden - und daraus entstehen Vorschläge für die neue Förderkommission. Wenn sich DOSB und BMI einig sind, ist alles klar. Doch wer hat das letzte Wort, wenn sie sich uneinig sind? Nach Vorstellung des Ministeriums kann das nur der Innenminister Thomas de Maizière sein - schon haushaltsrechtlich gesehen. Dem Sport fällt es schwer, sich mit diesem Gedanken abzufinden.

Aber andererseits kann der Protest des Sports nicht zu rabiat ausfallen. Denn er erhofft sich im Zuge der Struktur eine kräftige Aufstockung der Mittel, wie der DOSB-Vorstandsvorsitzende Michael Vesper in Rio unverhohlen zugab. Und wenn auf die bisher 150 Millionen Euro noch ein paar Dutzend Millionen obendrauf kommen, können die Reformen auf dem Papier noch so grausam aussehen. Dann gibt es einfach wieder mehr Geld zu verteilen, mit dem sich die Verbände zufriedenstellen lassen.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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