Sportpolitik:"Die Spiele müssen politisch geächtet werden"

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Szenen vom Nationalen Volkskongress? Nicht ganz. IOC-Präsident Thomas Bach bedankt sich bei den den Ringe-Mitgliedern nach seiner Wiederwahl, bei der er als einziger Kandidat angetreten war. (Foto: Greg Martin/AFP)

Die Debatte um die Winterspiele 2022 in Peking hält an. Jetzt bilanziert der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten, dass sich die Menschenrechtslage in China kaum verbessert habe - im Gegenteil.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Noch knapp ein Jahr sind es bis zu den Winterspielen von Peking, und als sich die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in der vergangenen Woche zu ihrer Session digital zusammenschalteten, ging es natürlich auch um diese Wettbewerbe. Freudig stimmten sie sich darauf ein, welch tolle Veranstaltung da bevorstehe; und der Spanier Juan Antonio Samaranch, der Sohn des gleichnamigen früheren IOC-Bosses sowie Verbündeter des heutigen Ringe-Chefs Thomas Bach, beschwor gar Spiele, die ein Beispiel für Nachhaltigkeit und eines großartigen Vermächtnisses sein würden.

Das sind Aussagen, die mit Blick auf Olympia in Peking recht vertraut klingen. Vor 13 Jahren fanden bereits die Sommerspiele in Chinas Hauptstadt statt, und damals erklärten Sportfunktionäre vielfach, dass sich die Spiele positiv auf die Menschenrechtslage auswirken könnten. Das klingt für Menschenrechtler wie ein Hohn, wenn sie die aktuelle Situation begutachten: die Internierung von mehr als einer Million uigurischen Muslimen, die zunehmenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit nicht nur in Hongkong, die drakonischen Strafen bei kritischen Äußerungen über das Regime.

Längst laufen deswegen in vielen Ländern Debatten über einen möglichen Boykott der Spiele 2022 heiß, auch auf politischer Ebene. Vor diesem Hintergrund widmete sich jetzt der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages dem Thema Peking 2008 und den Menschenrechten - und in einem Gutachten, das der SZ vorliegt, zeichnen die Juristen ein klares Bild.

Insbesondere arbeiten sie heraus, auf welch schwachem Fundament damals viele Hoffnungen formuliert worden seien. "Konkrete und verbindliche Zusagen der chinesischen Seite für eine Verbesserung der Menschenrechtslage in der VR China" würden sich weder aus den Verträgen zwischen dem IOC und den Ausrichtern noch aus den Bewerbungsdokumenten ergeben, auch nicht aus den Vereinbarungen zur Einhaltung der Olympischen Charta und den Erklärungen der chinesischen Regierung bei der Vergabe und vor den Spielen. Es seien "eher allgemeine Zusagen, Erwartungen und Hoffnungen" zum Ausdruck gebracht worden.

Und weiter: "Die aktuelle Lage im Menschenrechtsbereich der VR China bestätigt jedoch weithin, dass die kritische Einschätzung der Menschenrechtsorganisationen eher der Realität entspricht und keine grundlegende Liberalisierung im Menschenrechtssektor eingetreten ist." Vor allem die Situation der Uiguren und Tibeter habe sich weiter verschlechtert.

Dem Ansinnen mancher Athletenvertreter folgt das IOC bislang nicht

Für die Grünen-Bundestagsabgeordnete Margarete Bause, die als menschenrechtspolitische Sprecherin ihrer Fraktion das Gutachten auf den Weg gebracht hat, bestätigt das damalige Warnungen. "Es war naiv, ja unverantwortlich, sich auf nichtssagende Ankündigungen der chinesischen Gastgeber hinsichtlich einer Verbesserung der Menschenrechtslage zu verlassen. Nichts ist besser geworden - im Gegenteil", sagt sie.

Es ist nur die Frage, was politisch daraus folgt. In manchen Ländern wie den USA haben sich bereits Parlamentarier verbündet, die für ein komplettes Fernbleiben plädieren. Die Grünen-Politikerin Bause hat eine klare Erwartung: "Die Spiele müssen politisch geächtet werden", sagt sie. Auf alle Gesten und Besuche, "die das Regime in Peking aufwerten und ihm als willkommene Staffage für seine Propaganda dienen könnten, muss verzichtet werden". Regierungsvertreter und Politiker seien in der Verantwortung, "mit ihrem Fernbleiben ein klares Zeichen zu setzen, dass sie die Völkerrechtsverbrechen in China scharf verurteilen".

Die Anschlussfrage an das Fazit der Bundestags-Juristen lautet ja ohnehin: Warum soll es mit Blick auf 2022 und mögliche Folgen anders werden als 2008? An den Rahmenbedingungen hat sich kaum etwas Substanzielles geändert. Dem Ansinnen westlicher Athletenvertreter, dass sich das IOC in seiner Charta zur Achtung und Wahrung aller international anerkannten Menschenrechte verpflichtet, folgte das Ringe-Gremium bisher nicht.

Immerhin findet sich im neuen Regierungsprogramm des IOC namens "Olympic Agenda 2020+5" in einer Empfehlung der Hinweis, dass man eine "Stärkung des Menschenrechtsansatzes" befürworte - Konkreteres steht aber noch aus. Stattdessen lieferten die IOC-Vertreter zur China-Debatte zuletzt die traditionellen Hinweise, dass man vom IOC nicht verlangen dürfe, Probleme zu lösen, die selbst die Vereinten Nationen nicht lösen könnten - und dass das IOC die Dinge in seinem Zuständigkeitsbereich adressiere.

Dabei liegen längst konkrete Vorschläge auf dem Tisch. Auch das Gutachten des Bundestages greift einen davon auf. Um einen besseren Menschenrechtsschutz beim Ausrichter zu erreichen, "müsste - sofern ein politischer Wille hierzu besteht - das IOC seine Forderungen konkret und präzise festlegen und sich die entsprechenden Zusagen in schriftlicher und transparenter Form geben lassen", heißt es. Denkbar sei, dies durch ein Schiedsgericht oder eine unabhängige Beobachtermission kontrollieren zu lassen.

"Sofern ein politischer Wille hierzu besteht" - das ist wohl der entscheidende Einschub.

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