Spanien schlägt Deutschland bei Basketball-EM:Ein Gasol zu viel

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Chris Kaman lässt einen Klappstuhl büßen, Dirk Nowitzki schaut aus seinen müden Augen, als ob man ihm den MVP-Titel der NBA-Finals aberkannt hätte: Die knappe Niederlage gegen Favorit Spanien ist für die deutschen Basketballer nur schwer zu verkraften. Doch angesichts der guten Leistung wäre es verfrüht, das Viertelfinale schon abzuschreiben.

Andreas Burkert, Vilnius

Diese Niederlage ist schwer zu verdauen, man braucht nur Chris Kaman hinterherzusehen. Während sich die anderen von den Spaniern verabschieden, trottet der Centerspieler zur Bank, wo ihm ein Klappstuhl im Weg steht. Der Stuhl muss gleich büßen, das ist schon klar, bevor ihn dieser 2,13 Meter große Naturbursche aus Michigan sehr energisch durch die Gegend tritt. Kaman entschwindet wortlos, es kommt Dirk Nowitzki vorbei. Er schaut aus seinen müden Augen, als sei ihm soeben der MVP-Titel aus den NBA-Finals aberkannt worden. Auch Nowitzki ist bedient nach dem 68:77 (33:36) gegen Spanien. Denn ein Coup wäre möglich gewesen zum Auftakt der EM-Zwischenrunde in Vilnius, bis tief ins letzte Viertel brachte die Mannschaft von Trainer Dirk Bauermann den Favoriten in Bedrängnis. Doch dann fielen einige Dreier einfach nicht mehr, auch nicht bei Nowitzki. Er ist sichtbar erschöpft nach dem Sommer seines Lebens und dem sechsten EM-Spiel binnen einer Woche. Er ist ein Mensch.

Der 33-Jährige war mit 19 Punkten abermals bester Schütze vor Kaman (15). Doch in den entscheidenden Schlussminuten erhielt er auch keine Foulpfiffe mehr von den Schiedsrichtern. "Die kannst du hier nicht erwarten", sagt er lapidar, er verweist wieder nur auf den eigenen Beitrag zur der Niederlage. "Wir haben halt immer in entscheidenden Momenten diese kleinen Fehler gemacht."

Somit bleiben die Deutschen das einzige Team in der Sechsergruppe ohne Sieg, für die Teilnahme am Viertelfinale und das Fernziel Olympia 2012 ist mindestens Platz vier nötig. "Es ist noch alles drin, jetzt geht es halt um alles oder nichts, die letzten beiden Spiele müssen wir unbedingt gewinnen", sagt Nowitzki. Tatsächlich wäre es angesichts der Leistung verfrüht, das Team schon abzuschreiben vor den Spielen am Freitag gegen die Türkei, die am Mittwoch 64:68 gegen Frankreich verlor, und am Sonntag gegen Gastgeber Litauen, das Serbien 100:90 bezwang. Eventuell könnten zwei Siege zum Sprung in die K.o.-Runde reichen. Mit der Form des Spanien-Spiels sind zwei Siege drin. "Man hat gesehen, wie sehr diese Mannschaft am Leben ist", sagt Bauermann. "Und es ist sicher hilfreich, dass es erst gegen die Türkei geht. Wir haben sie in diesem Sommer bereits zweimal geschlagen."

Die Spanier hatten Respekt, das sah man, und er galt natürlich Nowitzki. Sie haben selbst einen NBA-Champion in ihren Reihen, Pau Gasol, 31, der schon zweimal die Meisterschaft mit den Lakers gewann. Doch die Bewunderung für seine Leistung im glamourösen Team um die Diva Kobe Bryant ist nicht ganz so intensiv ausgefallen wie diesen Juni - als Nowitzki mit Dallas den Titel holte. "Der erste Champ mit einem europäischen Leader", urteilte El País und adelte den Würzburger zum "NBA-Kaiser".

Zu Beginn eliminierten sich die NBA-Schwergewichte allerdings gegenseitig. Nur zwei von neun Würfen traf der Deutsche (am Ende 7:17), Pau Gasol blieb bis zu Beginn der zweiten Hälfte ohne Korberfolg. Zur allgemeinen Verwunderung führte die DBB-Auswahl aber auch nach acht Minuten, und was sie zeigte, war das Beste, was sie bisher in Litauen anbot. Konzentriert lief sie ihre Systeme durch, und Spielmacher Heiko Schaffartzik bestätigte mit fünf schnellen Punkten erneut seinen Aufstieg im deutschen Team.

Vor der Pause ließen sich die Deutschen auch nicht von den ersten Distanztreffern der Spanier und deren Vorstoß auf 26:18 irritieren. Die Männer von der Bank übernahmen ihre Rollen, die Rebound-Bilanz war positiv (39:33, zwölf von Kaman). Denn es wurde intensiv verteidigt, auch von Nowitzki; Flügelspieler Johannes Herber ging frech zum Korb, und der eingebürgerte Kaman versteht vielleicht doch nur Englisch: Den Zuruf eines deutschen Zuschauers in der nachmittags noch schlecht gefüllten Arena ("Go to the Basket, Chris Kaman!") nahm er sich zu selten, aber zumindest gleich in dieser Szene zu Herzen - nach seinem Hakenwurf stand es 27:26 (17.).

Dirk Nowitzki kann nur untätig zusehen, wie Marc Gasol einen Dunking versenkt. (Foto: AFP)

Als sie mit knappem Rückstand in die Pause gingen, hielten die Deutschen den Kopf sehr hoch, denn sie hatten ihre erste EM-Überraschung erreicht: ein offenes Spiel gegen den Titelverteidiger.

Nachteilig wirkte sich allerdings auch nach Wiederbeginn aus, dass die Spanier einen zweiten Gasol dabei haben: Marc Gasol (24 Punkte), den jüngeren Bruder. Der 26-Jährige, wie früher auch Pau in Memphis am Brett aktiv, hat seine Athletik stark verbessert und wirkt selten so lethargisch wie bisweilen der Bruder. Der doppelte Gasol schien die Deutschen zu zermürben, zumal nun auch Pau (19) mit dem Punkten begann. So kompensierte der Gegner die für seine Verhältnisse bescheidene Dreierquote (25 Prozent).

Auf 50:41 (25.) zogen die Iberer davon, angesichts der Tiefe ihrer Bank drohte ein Schlussviertel ohne Spannung. Und was geschah? Die Deutschen bewegten lange viel sicherer als zuletzt den Ball, verblüfften die Gegner mit mutigen Aktionen (Steffen Hamann) und harter Manndeckung. Und Nowitzki war ja auch noch da - sein Sprungwurf zum 55:56 machte Spanien endgültig klar: Es wird ein Krimi. Der war dann erst zwei Minuten vor Schluss entschieden: Nowitzki verfehlte, Robin Benzing (10) ebenso, und Hamann und Schaffartzik brachten den Ball nicht mehr sicher zu Nowitzki. Über die Verteidigung erzwang Spanien im Finish die Entscheidung. "Sie waren nicht gut, und doch fehlte nicht viel", klagte Schaffartzik später. "Das ist besonders bitter."

© SZ vom 08.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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