Spanien:Der freundliche Herr Dracula

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Unai Emery, Trainer des FC Sevilla, nach dem Triumph von Basel. (Foto: Martin Meissner/AP)

Unai Emery hat geschafft, was vor ihm noch niemandem gelang: Der Trainer führte den FC Sevilla zu drei Europa-League-Titeln in Serie. Am Sonntag will er den nächsten Pokal gewinnen.

Von Sebastian Fischer, Basel

Die Legenden großer Trainer werden oft in der Halbzeit geboren. Appelle an die Ehre am Boden zerstörter Fußballer haben verloren geglaubte Spiele in Siege verwandelt, Wutausbrüche verschlafene Stars geweckt und Motivationsreden voller Pathos Unterlegene zu Überlegenen gemacht. Eine historische Halbzeitansprache in Basel in dieser Woche war allerdings wohl nichts von alledem. "Der Mister hat uns gesagt, dass wir uns vorstellen sollen, daheim zu spielen", erzählte Coke, der Kapitän des FC Sevilla. "Wir sollten uns an unseren Plan halten." Und Sevillas Mittelfeldspieler Vitolo berichtete: "Der Mister sagte uns, dass unser Moment im Spiel kommen würde."

Es sind also wahrlich keine außergewöhnlichen Worte, die aus der Kabine der Mannschaft an die Öffentlichkeit drangen, die am Mittwochabend zum dritten Mal in Serie die Europa League gewann. Dabei ist Sevillas Trainer Unai Emery - der Mister, wie ihn seine Spieler nennen - durchaus ein Mann voller Pathos. Und vor allem ist er spätestens seit dieser Woche ein großer Trainer, seitdem seine Mannschaft am Mittwoch ein 0:1 gegen den FC Liverpool in einen 3:1-Sieg verwandelte. An diesem Sonntag kann Emery, 44, ein noch größerer Trainer werden.

"Wir haben noch ein Finale vor uns"

Er selbst wollte gar nicht lange über seine Rolle reden, als er am Mittwoch im Bauch des Basler St-Jakobs-Park von allen Seiten beglückwünscht wurde zu seinem Meisterstück. Sevilla hatte gegen Liverpool ja wie der sichere Verlierer ausgesehen, bis der Trainer in der Halbzeit schlafende Geister weckte. "Adelante, adelante!", habe er seinen Spielern zugerufen, "wir müssen nach vorne spielen!" - das erzählte er, erstaunlich nüchtern, in der Pressekonferenz. 17 Sekunden waren in der zweiten Halbzeit gespielt, als Kevin Gameiro den Ausgleich schoss. Der Rest, zwei Tore durch Kapitän Coke, den Emery in weiser Voraussicht als Rechtsaußen aufgestellt hatte, ist Geschichte. Doch Emery betonte: "Wir haben noch ein Finale vor uns."

Sevilla, dieses Pokalmonster, ist in dieser Spielzeit ja nicht nur durch Europas zweitwichtigsten Pokalwettbewerb gestürmt, sondern auch durch die Copa del Rey - an diesem Sonntag treffen sie im Finale in Madrid im Estadio Vicente Calderón auf den FC Barcelona. In der Liga wurde der durch die Dreifachbelastung geschwächte Kader Siebter, Sevilla hat für eine 38 Spiele lange Saison sicher keine herausragende Mannschaft. Umso höher sind die Fähigkeiten Emerys einzuschätzen.

Der Trainer, geboren in der baskischen Stadt Hondarribia als Sohn eines Torwarts, war selbst nie ein großer Fußballer, sondern ein mittelmäßiger Mittelfeldspieler in Spaniens zweiter Liga. Seine Trainerkarriere in der dritten Liga begann dagegen rasant, als er als 34-Jähriger in seiner Premierensaison den Verein Lorca Deportiva in die zweite Liga führte. Zwei Jahre später, 2007, stieg er mit UD Almeria in die erste Liga auf. Im Sommer 2008 verpflichtete ihn der FC Valencia. Doch ruhiges Arbeiten ist bei dem verschuldeten Klub kaum möglich, Emery wurde in vier Jahren nie richtig glücklich. Als er auf seiner ersten internationalen Trainerstation bei Spartak Moskau nach nur einem halben Jahr gefeuert wurde, schien der rasante Aufstieg des jungen Trainers jäh gestoppt.

Drei Uefa-Cup-Siege gelangen zuvor nur Giovanni Trapattoni

Doch dann holte "Monchi", der inzwischen legendäre Sportdirektor Ramón Rodríguez Verdejo, den Basken zum FC Sevilla. Die spanische Sportzeitung Marca schrieb in einer Würdigung des Trainers nach dem Sieg gegen Liverpool, Emery habe in Monchi seinen idealen Tanzpartner gefunden: Der Sportdirektor finde die Talente wie Rohdiamanten - und der Trainer poliere sie, füge sie in sein System ein und multipliziere ihren Wert.

Drei Uefa-Cup-Siege gelangen zuvor nur Giovanni Trapattoni mit Juventus Turin (1977 und 1993) und dem AC Mailand (1991). Dreimal hintereinander gewann den Wettbewerb noch niemand. Auch den in Sevilla legendären Juande Ramos, der 2006 und 2007 den Pokal holte, hat Emery nun übertrumpft. Die Popularität des Mannes, der mit spitzer Nase, nach hinten gekämmten schwarzen Haaren und beim Lachen entblößten Zähnen ein wenig aussieht wie ein freundlicher Graf Dracula, zeigt sich in einem Lied, das die Fans des Klubs über ihren Trainer gedichtet haben, und das auch in der magischen Nacht von Basel durchs Stadion hallte. Angelehnt an Enrique Iglesias` Liebesschnulze "El Perdon" singen die Sevillistas: "Yo sin ti, Emery, no podria ser feliz". Ohne dich, Emery, kann ich nicht glücklich sein.

Dem Vernehmen nach haben große Mannschaften in Europa inzwischen Interesse an dem Trainer, der als Meister der Spielvorbereitung gilt, als unermüdlicher Arbeiter. Doch Emery kann, zumindest vorerst, wohl auch nicht ohne die Sevillistas glücklich sein, und seinen Tanzpartner Monchi will er auch nicht alleine lassen. "Ich bin sehr glücklich hier in diesem Verein. Solange mich Sevilla will, bereiten wir zusammen die Gegenwart und die Zukunft vor", sagte er am Mittwochabend. Und auch wenn es keine großen Worte waren, so waren es doch die Worte einer werdenden Trainerlegende.

© SZ vom 22.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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